Der Königsmacher

Großbritannien Boris Johnson und die Konservativen haben ihren deutlichen Wahlsieg nicht zuletzt Nigel Farage zu verdanken
So hat sich Nigel Farage das vorgestellt
So hat sich Nigel Farage das vorgestellt

Foto: Peter Macdiarmid/Getty Images

Bis zum 11. November gingen viele davon aus, Nigel Farages Brexit-Partei würde im Endspurt zur Wahl noch einmal kräftig aufdrehen. Doch am Morgen jenes 11. November verkündete Farage vor Unterstützer*innen und Journalist*innen in Hartlepool, dass die Brexit-Party in 317, von den Konservativen gehaltenen, Wahlkreisen nicht antreten werde, um eine Zersplitterung der Leave-Stimmen zu vermeiden. Das Publikum war baff, der Applaus am Ende von Farages Rede recht verhalten.

Diese Wahl wird als überwältigender Sieg für Boris Johnsons Konservative in Erinnerung bleiben. Wie schon zahllose Male zuvor, werden sich manche darüber lustig machen, dass Farages Partei keinen einzigen Sitz im Unterhaus gewinnen konnte. Doch jener Morgen des 11. November war der wichtigste Augenblick im gesamten Wahlkampf – den Farage für Johnson gewonnen hat.

Die Entscheidung, nicht gegen die Tories anzutreten, war keine leichte. Ed Jankowski zufolge, der bis Mitte November für die digitale Strategie der Brexit-Party verantwortlich zeichnete, wollte Farage eine ganze Zeitlang in allen Wahlkreisen antreten – und lenkte erst auf Druck seines Leave.EU-Verbündeten Arron Banks ein. Stattdessen arbeitete Farage ursprünglich auf ein Bündnis der Brexit-Parteien hin, das nie wirklich eine Chance hatte, von den Tories offiziell unterstützt zu werden. Als dann die Brexit-Party in den Umfragen zurückfiel, verließ Farage der Mut und er gab dem Druck derjenigen nach, die sich für einen Verzicht zugunsten der Konservativen aussprachen.

Farage versprach, in den Labour-Hochburgen und anderen Gegenden, wo es höchst unwahrscheinlich war, dass die Leute jemals die Tories wählen würden, die Leave-Stimmen einzusammeln. Jankowski zufolge drängte Farage sehr darauf, einen möglichst detaillierten Datensatz über Labour-Wähler*innen zu erhalten, die den EU-Austritt befürworten.

Hauptsache Labour verliert Stimmen

Den Rest des Wahlkampfes verbrachte Farage damit, Wahlkreise zu besuchen, in denen eine Mehrheit Brexit-williger Labour-Wähler*innen vermutet werden konnte und sprach dort dann vor wesentlich kleineren Gruppen als bei den großen Veranstaltungen zu Beginn des Jahres. Doch auch wenn die Brexit-Party ihren Glanz verloren hatte und sie keinen einzigen Sitz gewinnen konnte, so hat ihr Wahlkampf das Ergebnis des Votums doch wesentlich beeinflusst.

Eines der ersten Ergebnisse der Wahlnacht kam aus dem Wahlkreis Sunderland Central, den Labour mit 2.964 Stimmen Vorsprung gewinnen konnte, Hier hatte Labour 13,4 Prozentpunkte verloren, die Konservativen mit zwei Prozentpunkten leicht zugelegt, während die Brexit-Party gleich von Beginn an einen Zuwachs von 11,6 Prozentpunkten verzeichnen konnte. Als die ersten zehn Wahlkreise ausgezählt waren, die meisten im Norden und den Midlands, verzeichnete Labour einen Verlust von fast zehn Prozentpunkten, während die Konservativen sich um 2,1 Prozentpunkte steigern konnten und die Brexit-Partei sechs Prozentpunkte durch Wechselwähler*innen hinzugewinnen konnte.

Mancherorts eroberten die Konservativen schon aufgrund relativ geringer Wählerbewegungen Sitze von den Sozialdemokraten, während die Brexit-Party Zuwächse von über zehn Prozentpunkten verzeichnen konnte. Man kann von Farage halten, was man will, aber in diesem Punkt sollte er Recht behalten. Viele linke Brexit-Befürworter*innen, die es nicht über sich brachten, ihr Kreuz bei den Tories zu machen, stimmten für die Brexit-Party.

Farage als Wahlkampfredner für Trump?

Es ist nicht klar, was nun mit Farages Partei geschieht, da eine absolute Mehrheit der Konservativen den EU-Austritt garantiert. Farage hat bereits den Namen Reform party angemeldet. Im Verlauf des Wahlkampfes fokussierte er sich immer stärker auf radikale Reformen – mehr direkte Demokratie, die Abschaffung des Oberhauses, eine Reform des Wahlsystems. Als ich im Oktober mit Claire Fox von der Brexit-Party sprach, sah sie den Brexit als eine Art Tor für eine unblutige Revolution für die demokratischen Institutionen Großbritanniens. Fox gehört zum Kern einer Gruppe ehemaliger Angehöriger einer revolutionären kommunistischen Partei, die zur Brexit-Party übergewechselt sind, Farage die Treue hielten und sich schließlich um das rechte Medien-Portal Spiked versammelt haben.

Da der Brexit nun in trockenen Tüchern ist, kursieren Gerüchte, wonach Farage unterwegs in die USA ist, um dort für gutes Geld Reden zu halten. In der Wahlnacht soll Farage Andrew Neil gegenüber zugegeben haben, im US-amerikansichen Präsidentschaftswahlkampf für Donald Trump als Wahlkampfredner auftreten zu wollen.

Egal, wo es ihn am Ende hin verschlägt und was jetzt aus der Brexit-Party wird – diese Wahl stellt den Kulminationspunkt einer langen Kampange dar, in der die politische Landkarte Großbritanniens neu gezeichnet wurde, was damit seinen Anfang nahm, dass Farage David Cameron dazu zwang, ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreiches abhalten zu lassen. Ohne Farages Entscheidung, in 317 Wahlkreisen nicht gegen die Tories anzutreten, wäre die Wahl eine ganz andere gewesen. Hätte er sich nicht so intensiv um die Brexit-Befürworter*innen unter den Labour-Wähler*innen bemüht, stünden die Konservativen jetzt bestimmt nicht mit einer solch klaren Mehrheit dar. Auch wenn seine Partei keinen einzigen Sitz gewonnen hat, hat Farage die Ereignisse wieder einmal entscheidend beeinflusst.

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Geschrieben von

Darren Loucaides | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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