Zukunftsvision Was wäre, wenn es Barack Obama wirklich gelänge, einen Frieden zwischen Arabern und Israelis zu vermitteln? Eine Chronologie des Nahen Ostens der nächsten 20 Jahre
Wagen wir einen Blick in die Glaskugel. Angenommen Barack Obama gelänge es wirklich, einen neuen Anfang zwischen den USA und der muslimischen Welt einzuleiten. Der Lauf der Welt würde vier starken Tendenzen folgen:
Erstens wird der Islam langsam eine Vorstellung davon entwickeln, wofür er steht und nicht mehr einfach wogegen. Er wird nicht mehr länger als anti-westliche Ideologie missbraucht werden, seine Eigenschaft als destabilisierender Faktor aber bewahren und die Menschen gegen Unterdrückung und Korruption mobilisieren.
Zweitens wird der arabische Nationalismus nach Jahrzehnten der Erfolglosigkeit verschwinden und es werden wieder vermehrt nicht-arabische Identitäten auftauchen. Der arabische Nationalismus war eine wichtige Grundlage für den Kampf gege
che Identitäten auftauchen. Der arabische Nationalismus war eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen die Kolonialmächte und dann den gegen Israel, bis diesen Anfang der achtziger Jahre der politische Islam übernahm. Aber er unterdrückte die eigentliche religiöse, ethnische und kulturelle Vielfalt des Nahen Ostens. Mit dem Bedeutungsverlust des arabischen Nationalismus werden die urbanen Eliten kosmopolitischer werden, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen werden ihre kulturelle Identität stärker betonen, was auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen könnte.Drittens wird die Demokratisierung der Region langsam, aber sicher voranschreiten. Ohne den Konflikt zwischen Arabern und Israelis wird es den Autokraten der Region wesentlich schwerer fallen, Repressionen mit dem Hinweis auf die nationale Sicherheit zu rechtfertigen. Herrscher in Ländern wie Ägypten, Saudi-Arabien, Tunesien und Algerien werden nicht mehr länger wie selbstverständlich mit der Unterstützung der USA rechnen können. Die Öleinnahmen werden allerdings viele Regierungen von der Notwenigkeit befreien, sich nach der Meinung ihrer Bürger zu richten – keine Steuern, keine Notwendigkeit der Repräsentation. Geheimdienste und Streitkräfte werden dafür sorgen, dass die diversen Diktatoren der Region sich weiterhin ungestört ihrer Macht und ihrem Reichtum hingeben können.Und viertens schließlich: Der Nahe Osten wird einen unglaublichen Wirtschaftsboom erfahren. Drei der potenziell dynamischsten Volkswirtschaften in der Region sind durch Krieg und/oder politische Sanktionen stark in ihren Entfaltungsmöglichkeiten behindert: Israel, Irak und Iran. Alle drei Länder verfügen über eine gut ausgebildete, unternehmerische Mittelschicht, Irak und Iran zudem über Ölvorräte. Stabilität und offene Grenzen werden Investitionen in Infrastruktur, Immobilien und Dienstleistungen ermöglichen. Geschmälert dürfte das Wachstum allerdings nach wie vor durch Korruption, Vetternwirtschaft und einen durch den Klimawandel verschärften Wassermangel werden. Auch wird der wachsende Wohlstand kaum mit dem Anstieg der Bevölkerungszahlen schritthalten können und die Schere zwischen Arm und Reich auch weiterhin weit auseinander klaffen lassen.Die VisionStellen Sie sich also das Unvorstellbare vor: Barack Obama unterschreibt im Januar 2010 bei einer Zeremonie im Weißen Haus einen umfassenden Friedensvertrag zwischen Israelis und Palästinensern. Wie könnte es weitergehen? Hier ein mögliches Szenario.2010: Marwan Bargouthi, der von Israel 2002 wegen der Anführung der zweiten Intifada, mehrfachen Mordes und Terrorismus zu einer fünffach lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, wird zum ersten Präsidenten eines unabhängigen Palästina gewählt. Die israelische Premierministerin Zipi Livni gibt bekannt, der russische Milliardär Roman Abramowitsch werde den Wiederaufbau der Öl-Pipeline von Kirkuk nach Haifa finanzieren, die 1948 stillgelegt wurde.2011: Die Grundstückspreise in der Westbank verdreifachen sich innerhalb eines Jahres, da ehemalige palästinensische Flüchtlinge mit den 100.000 US-Dollar, die jede Familie vom Wiedergutmachungsfonds für palästinensische Flüchtlinge erhält, Land kaufen oder Häuser bauen wollen.2012: Die Kurden votieren mehrheitlich für eine Abspaltung vom Irak und gründen einen unabhängigen Staat. Kurdische Peschmerga besetzen die umstrittene Stadt Kirkuk – das Zentrum der irakischen Ölfelder. Da Israel sich aber der Blockade des kurdischen Ölexports durch die Pipelines zur Mittelmeerküste anschließt, fällt der kurdische Widerstand nach drei Monaten in sich zusammen. Ein Friedensabkommen gesteht den Kurden die Kontrolle über Kirkuk zu, schreibt aber den Status Kurdistans als semi-autonome Region innerhalb eines föderalen irakischen Staates fest.2013: Die Türkei, Syrien, Libanon, Israel, Palästina, Jordanien und Irak gründen den Wasserverbund Mittlerer Osten (WVMO) dessen erstes Projekt in einer Wasserpipeline von den FlüssenTigris und Euphrat im Süden der Türkei nach Israel, Palästina und Jordanien besteht.2015: Revolution in Ägypten. Präsident Gamal Mubarak (Sohn des gegenwärtigen Präsidenten) flieht in seinem Privatjet nach Dschidda, nachdem millionenstarke Massenproteste der Demokratie-Bewegung Kairo für drei Wochen lahm gelegt haben. Eine von der ehemals verbotenen Muslim-Bruderschaft geführte Übergangsregierung verkündet die Durchführung von Wahlen innerhalb der nächsten drei Monate.2018: Zahra Rahnavard wird zur ersten Präsidentin des Iran gewählt. Sie tritt die Nachfolge ihres Mannes Mir-Hossein Mussawi an. Parolen wie „Tod Amerika, Tod Israel“ dürfen bei den Freitagsgebeten nicht mehr skandiert werden, lange nachdem die Verwünschungen „Tod dem Schah“ und „Tod der Sowjetunion“ sich erfüllt haben.2020: Der Golf-Kooperationsrat (GOR), bestehend aus Saudi Arabien, Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrein, Katar und Oman, geht mit dem Wasserverbund Mittlerer Osten (WVMO) zusammen in der Gemeinschaft des Mittleren Ostens (GMO) auf – einer Freihandelszone, innerhalb derer alle Bewohner in jedem anderen Mitgliedsstaat wohnen, arbeiten und Land erwerben können. Ägypten, Sudan und Jemen treten dem neuen Staatenverbund unverzüglich bei. Die Arabische Liga wird aufgelöst und ihr in den 1950ern erbautes Hauptquartier in Kairo zu einem Freizeitpark umgestaltet.2022: Nach heftig umkämpften Referenden stimmen die Wähler in den 16 Mitgliedsstaaten der Aufnahme Irans zu. Die riesigen Solarkraftanlagen in der Wüste Saudi Arabiens werden nun mit den fünf großen iranischen Atomkraftwerken zusammengeschlossen, wodurch sich die Strompreise in der Gemeinschaft halbieren werden. Cartoonisten verspotten das neue solarbetriebene Parlamentsgebäude der Union als modernen Turm zu Babel, in dem jedes Dokument mit großem Aufwand ins Arabische, Hebräische, Kurdische, Türkische, Farsi und ins Aramäische übersetzt werden muss, obwohl die meisten Amtsgeschäfte auf Englisch abgewickelt werden.2026: Die Rohölproduktion des Nahen Ostens fällt zum ersten Mal in diesem Jahrhundert unter die Marke von 20 Millionen Barrel pro Tag, da die Umweltpolitik die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen immer weiter zurückgehen lässt und den kleineren Förderländern langsam die Ressourcen ausgehen. Die Zahl der Arbeitskräfte hat sich seit der Jahrhundertwende auf 200 Millionen verdoppelt. 60 Millionen davon sind arbeitslos, 7,5 Millionen allein in Saudi Arabien. Dem früheren US-Präsidenten Barack Obama wird die Ehrendoktorwürde der Universität Teheran verliehen.2030: Osama bin Laden stirbt in Nordkorea. Al Dschasira meldet das Ereignis im unteren Teil des Nachrichtenüberblicks. Die Schlagzeilen des Tages sind ein Bericht über die Evakuierung einer weiteren Stadt im Nil-Delta nach der Überflutung eines unzureichenden Schutzwalls gegen den steigenden Pegel des Mittelmeeres und die Entscheidung, dass Jerusalem Austragungsstätte für die Fußball-Weltmeisterschaft 2034 wird.
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