Der Schöpfergott und ich

Gentechnik Immer mehr ­Menschen betreiben Gen­forschung als privates Hobby in ihrem Keller. Demokratisierung der Wissenschaft oder tödliche ­Bedrohung für die Menschheit?

Meredith Patterson ist nicht gerade die typische Genforscherin. Ihr Labor befindet sich im Esszimmer ihres Apartments in San Francisco. Sie benutzt ein Salatsieb aus Plastik als Zentrifuge und Frischhaltetüten als luftdichte Container für ihre Proben. Der genetisch modifizierte Organismus, den sie mit einem Budget von weniger als 500 Dollar zu erschaffen versucht, könnte einen Durchbruch in der Lebensmittel­sicherheit bedeuten.

Die 31-jährige ehemalige Programmiererin und jetzige Bio-Hackerin arbeitet mit modifizierten Quallen-Genen, die sie Joghurt-Kulturen zufügt, um in diesen das giftige Melamin nachzuweisen. Letzteres wurde vergangenes Jahr in China in Babymilch entdeckt und hat dort einige Todesfälle und bei Tausenden von Säuglingen schwere Nierenschäden verursacht. Pattersons Idee besteht darin, den Joghurt so zu bearbeiten, dass er fluoreszierend grün wird, sobald das Gift hinzugemischt wird, und so die Verbraucher warnt. Verläuft ihr Experiment erfolgreich, wird sie das Verfahren öffentlich zugänglich machen.

Ein bisschen wie Joghurt machen

„Bislang hatte ich noch nicht allzu viel Erfolg“, sagt Patterson. „Aber in der Wissenschaft muss man oft jahrelang scheitern, bis es schließlich klappt.“ Für den schnelleren Gentransfer hat sie sich ein Elektro­porationsgerät gekauft, das sie bei Ebay für 150 Dollar fand. „Es ist gar nicht so schwer. Ein bisschen, wie Joghurt machen. Und wenn bei dem Experiment etwas übrig bleibt, dann kann ich es aufessen.“

Patterson ist nur eine von Dutzenden sogenannter citizen scientists ­— privater Forscher, die sich in der Hoffnung, neue und nützliche Organismen zu erfinden, ihre eigenen kleinen Genlabore einrichten. Langsam entsteht eine Gemeinschaft, die aus den immer billigeren und kommerziell vermarkteten Zutaten ihren Vorteil zieht. Öffentliche Wettbewerbe wie beispielsweise die International Genetically Engineered Machine (iGEM) und der io9 Mad Science Contest haben bereits eine ganze Reihe von Stars und einige praktische Innovationen in den Bereichen Medizin, Landwirtschaft und Bio-Computing hervorgebracht.

Dennoch ist Helen Wallace von GeneWatch UK der Ansicht, Bio-Hacking könnte gefährlich werden. „Es ist sehr einfach geworden, Gene per E-Mail zu bestellen“, sagt sie. „Sachen wie die Pocken sind schwer zu kriegen, aber es gibt andere Organismen, die gefährlich werden könnten. Wenn man die Anlagen eines lebenden Organismus verändert, ist es gut möglich, dass damit auch seine Interaktionen mit der Umwelt oder dem menschlichen Körper verändert werden. Wissenschaftler sind betriebsblind für die nicht beabsichtigten Folgen.“

Die Macht der Patentinhaber mindern

Reshma Shetty gehört zu den Mitarbeitern von Ginkgo Bioworks, einer in Massachusetts ansässigen Firma, die „Biotechnologie zum Selbermachen“ anpreist. Sie sagt: „Heutzutage ist die Biotechnologie wie eine mittelalterliche Gilde organisiert. Zuerst muss man seinen Doktor machen, und wenn man dann arbeiten möchte, braucht man auch Kapital, ohne geht es nicht.“ Ginkgo zielt darauf ab, alles zu vereinfachen, indem es standardisierte biologische Komponenten und einen Zulieferdienst für die schnelle Fertigstellung von Prototypen anbietet. „Dies wird die Macht von Patentinhabern wie Monsanto mindern und mehr Leuten den Weg ebnen, einen positiven Beitrag leisten zu können.“

Ginkgo hat bereits genetisch modifizierte Organismen hergestellt, die den Geruch von Bananen verströmen, im Dunklen rot werden oder zu leuchten anfangen. „Das sind keine schädlichen Erreger. Komplexe Organismen bedienen sich derselben Komponenten, um all diese unglaublichen Dinge ohne jegliche schädlichen Chemikalien zu machen.“

Jim Thomas von der auf Umweltfragen spezialisierten Denkfabrik ETC Group sagt: „Das Risiko besteht darin, dass wir nur begrenztes Wissen darüber haben, wie das alles funktioniert. Genetisch modifiziertes Getreide hat sich mit anderen Pflanzen gekreuzt, obwohl uns gesagt wurde, dies würde nicht geschehen. Und genveränderte Bak­terien zu Herstellung von Biotreibstoff beschädigen die Bodenflora. Wo ist hier die Aufsicht?“

MacKenzie Cowell ist Gründungsmitglied des in Boston ansässigen Unternehmens DIYbio, das Bio-Hackern Ausrüstung und Beratung zur Verfügung stellt. Im Mai werden sie den ersten „Flash-Lab“ organisieren und tausend Freiwillige losschicken, die an Ampelknöpfen von Fußgängerüberwegen in ganz Boston Abstriche sammeln. Die Daten werden dazu verwendet, eine Karte der in der Stadt kursierenden Bakterien zu erstellen.

„Ich glaube, wir werden jede Menge überraschender Sachen finden“, sagt Cowell. „Im vergangenen Jahr war ich drei Tage lang krank und hatte alle Symptome einer Salmonellenerkrankung, bis ich herausgefunden habe, dass die in New York grassierte, als ich dort zu Besuch war.“

Neues Leben aus dem Katalog

Bio-Hacking nutzt der besseren Verfügbarkeit und Transparenz von Wissenschaft — aber die Behörden haben noch ihre Schwierigkeiten, das so zu sehen. 2004 wurde der Kunstprofessor Steve Kurtz wegen des Verdachts auf Bioterrorismus festgenommen, als in seiner Wohnung im Bundesstaat New York eine Petrischale mit Bakterien gefunden wurde, nachdem seine Frau an einem Herzinfarkt gestorben war. Im vergangenen Jahr nahm die US-Umweltbehörde das Kellerlabor des pensionierten Chemikers Victor Deeb auseinander, nachdem in einer Wohnung seines Hauses ein Feuer ausgebrochen war. Er arbeitete zu Hause an sicheren Oberflächenbeschichtungen für Lebensmittelbehälter und verwendete hier­für Chemikalien, die weniger gefährlich als handelsübliche Haushaltsreiniger sind.

In Großbritannien sind die Auflagen noch strenger. Chris French, Dozent an der Universität Edinburgh und örtlicher Sicherheitsbeauftragter für biologische Gefahren, sagt: „Zu Hause, unter einer Privatadresse, ist bei uns nur sehr wenig erlaubt, und dafür gibt es auch gute Gründe. Die Arbeit mit lebenden Organismen, die zumindest theoretisch entwischen und wachsen können, birgt potenzielle Gefahren.“

Dies hat jedoch diverse Forscherteams an britischen Universitäten in den vergangenen Jahren nicht davon abgehalten, eine Reihe nützlicher biologischer Erfindungen zu machen. Einer der Gewinner des iGEM-Wettbewerbs im vergangenen Jahr war das Bacto-Builders-Projekt der Universität Bristol, das Gruppen von E.coli-Bakterien dazu eingesetzt hat, chirurgische Aufgaben zu übernehmen, die für einzelne Organismen unmöglich wären. Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit dem TiGEM-Genlabor in Italien fortgesetzt.

Homemade Biotechnologie

„Wir befinden uns im Entstehungsstadium einer Art von Do-it-yourself-Biotechnologie-Netzwerk in Großbritannien“, sagt Kim de Mora, Doktorand an der Universität Edinburgh. „Wegen all der Auflagen wird es aber wohl sehr schwer werden, aus der Garage heraus eine Industrie aufzubauen.“

De Mora gehörte zu einem Team, das einen Arsen-Detektor für verschmutztes Wasser in Bangladesh entwickelte. E.coli-Bakterien wurden unter Zuhilfenahme von BioBrick-Komponenten modifiziert, um bei Anwesenheit von Arsen ein Warnsignal abzugeben. Wenn ihr Prototyp in Serie geht, wird er wesentlich günstiger sein als die gegenwärtig existierenden Technologien. „Die Anwendungsmöglichkeiten der Biotechnologie werden in Großbritannien explodieren, sobald die Leute zu Hause damit arbeiten dürfen“, prophezeit De Mora.

Derweil verdoppelt die internationale Datenbank für standardisierte biologische Komponenten die Menge der Einträge in ihrem Katalog jedes Jahr aufs Neue. Innerhalb des kommenden Jahrzehnts werden Abermillionen neuer synthetischer Organismen geschaffen werden. Die Frage ist nur, wem es erlaubt sein wird, sie herzustellen. Im Augenblick sieht es so aus, als könnte sich die Zukunft der Biotechnologie viel vielseitiger und unberechenbarer gestalten als irgendjemand sich dies je vorgestellt hat.



Eine Gruppe, die sich mit Bio-Hacking befasst, ist das experimentelle Kunst- und Theaterprojekt "Critical Art Ensemble" (CAE) , zu dessen Gründungsmitglied auch der im Text erwähnte Kunstprofessor an der State University of New York in Buffalo, Steve Kurtz, gehört.

In seinem letzten Projekt für CAE, "Free Range Grains", schuf Kurtz ein mobiles DNA-Extraktionslabor, welches Lebensmittel auf mögliche Transgene Kontaminierung testet. Über Kurtz hat die Filmemacherin Lynn Hershman einen interessanten Film gedreht

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

James Bloom, The Guardian | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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