Somalia Präsident Sharif Sheikh Ahmed kann man kaum noch Präsident nennen. Er regiert im Chaos eines Bürgerkriegs an der afrikanischen Küste. Ein Treffen in Mogadischu
Am besten lässt sich das jeweilige Ausmaß der Gewalt, die in Mogadischu herrscht, einer kleinen Tafel entnehmen, auf der Doktor Taher Mahmoud täglich die Zahl der Patienten seines Hospitals festhält. Seit 20 Jahren behandelt der groß gewachsene Chirurg nun schon Opfer eines Bürgerkrieges, der kein Ende findet. „Gerade sind die Zeiten gut“, meinte er vor wenigen Wochen. „Pro Tag werden nur vier bis sechs Verletzte mit Schusswunden eingeliefert.“ Er wies auf die mit seiner akkuraten Handschrift bedachte Tafel: 86 Patienten. „Während des Krieges mit Äthiopien vor zwei Jahren hatten wir mehr als 300 Menschen in diesem Haus.“
In der vom Krieg verwüsteten Stadt sind Atempausen selten. So auch diesmal: Nur ein paar Ta
in paar Tage nach dem Gespräch mit Taher Mahmoud weicht die relative Ruhe anhaltenden Gefechten zwischen den Streitkräften des nominellen Präsidenten Sharif Sheikh Ahmed und der militanten islamistischen al-Shabaab-Bewegung. Mehr als 200 Menschen sterben während der Kämpfe, mindestens 60.000 treibt es zur Flucht.Die Räume von Doktor Mahmoud sind danach überfüllt, so dass etwa 40 Patienten draußen unter Bäumen liegen müssen. „Wir brauchen Zelte, um die Verwundeten vor dem Regen zu schützen. Wenn die Kämpfe andauern, stehen wir außerdem bald ohne Medikamente da.“ Auf Mahmouds Tafel ist diesmal zu lesen: 167 Patienten.Gefangen im Feuer Der Zustand seiner Klinik wird zum Sinnbild für die prekäre Lage, in der Mogadischu vor sich hin vegetiert. In der dunklen, niedrigen Notaufnahme liegen fünf Männer auf zerschlissenen Betten. Bei allen müssen Bauchschüsse behandelt werden, alle hängen am Tropf, allen setzen die Fliegen furchtbar zu – alle wurden verletzt, als Milizen um eine Kreuzung in einem von der Regierung kontrollierten Areal der Hauptstadt kämpften. „Ich stand dort herum, als die Schießerei begann. Ich versuchte mich zu verstecken, aber sie trafen mich“, keucht einer der verletzten Männer unter pfeifenden Atemzügen. Auf der anderen Seite des Hofes in einem dunklen Gebäude voller Insekten und kranker Menschen sitzt ein Mann mit einem Wedel bei seinem kleinen Sohn, dessen Fleisch verbrannt ist. Das Kind war in einem Feuer gefangen, als beim Zusammenstoß zweier rivalisierender Gangs eine Granate in das Haus der Familie einschlug.Im Januar wurde Sharif Sheikh Ahmed von Parlament zum neuen Präsidenten gewählt. Er gehörte zu den Führungsmitgliedern der Union Islamischer Gerichte (UIC), die 2006 die berüchtigten Warlords besiegten und Mogadischu erstmals seit Jahrzehnten einen gewissen Frieden brachten. Doch wurde die Union bald durch einen von den USA unterstützten Einmarsch äthiopischer Truppen verdrängt. Die verbliebenen UIC-Milizen wehrten sich mit einem heftigen, wenngleich unkoordinierten Aufstand, der freilich nicht viel bewirkte.Heute kann sich Sheikh Ahmed nur im weitesten Sinne des Wortes als Staatschef fühlen. Als ich ihn treffe, kontrolliert er vielleicht zwei Fünftel von Mogadischu. Eine Woche später ist es nur noch halb so viel. An der Pforte seines Palastes sind ein paar Toyota Pick-Up-Trucks geparkt, auf denen sich Luftabwehrkanonen türmen, vor den präsidialen Amtsräumen lungern zwei ugandische Soldaten auf Plastikstühlen und geben sich als Mitglieder des Schutzkorps der Afrikanischen Union (AU) zu erkennen, die Mogadischu den Frieden sichern sollen, aber nicht können.„Ich habe den schwersten Job der Welt“, klagt der Präsident und wirkt erschöpft. Schweißperlen rinnen in der stickigen Schwüle von seiner Stirn. Er versucht sich an der Fernbedienung der Klimaanlage, um sie schließlich einem Assistenten zu geben. Die Maschine faucht, und ein kalter Wind zieht durch den Raum. „Mein Job unterscheidet sich von dem jedes anderen Staatschefs. Wegen der inneren Zerwürfnisse der vergangenen 20 Jahre haben wir an Ansehen enorm verloren. Eine Wirtschaft ist nicht-existent, staatliche Institutionen sind nicht-existent. Was ein Staat leisten müsste, ist nicht-existent.“ Inzwischen ist es im Raum empfindlich kalt, Ahmed befiehlt seinem Assistenten, die Klimaanlage wieder auszuschalten. „Wir müssen den Leuten erst einmal beibringen, was ein Staat ist.“Im Hof des Sohafi-Hotels in dem auch viele Minister und Berater Ahmeds Schutz suchen, hört man unterschiedliche Begründungen dafür, dass sich Somalias Islamisten gegenseitig bekämpfen: „Sie tun es, weil sie unterschiedlichen Schulen des Islam angehören“, meint ein Journalist. „Der Präsident kommt aus der Muslimbruderschaft, und die al-Sahaab besteht aus Salafis.“ „Unsinn“, lacht ein islamistischer Kommandeur, der ein Verbündeter des Präsidenten sein will und an der Seite der Union Islamischer Gerichte gegen die Äthiopier gekämpft hat. „Wir sind alle Salafis!“ Ein somalischer Offizieller, der aus langjährigem Asyl in den USA einen breiten amerikanischen Akzent mitgebracht hat, meint nur: „Es gibt keinen ideologischen Unterschied. Es geht darum, wer welches Stück vom Kuchen kriegt. In Somalia will jeder Präsident werden.“ Im Präsidentenpalast hatte kurz zuvor ein ugandischer Offizier sein eigenes zynisches Urteil formuliert: „Was die Somalis am besten wissen, ist, wie man andere Somalis tötet.“Nur die ReligionAn einem sengend heißen Tag kommt das Parlament am 18. April zusammen, um die Einführung der Scharia zu diskutieren, eine Hauptforderung der Shabaab-Bewegung, die auch von den UIC durchaus begrüßt wird. Der Polizeibeamte Ali Hassan trinkt an diesem Tag draußen vor der Wache mit seinem Kollegen Tee. Die Scharia sei ein Fortschritt, weil es sonst kein Gesetz gäbe in Somalia. Er habe wie der Rest der Truppe seit anderthalb Jahren kein Gehalt mehr erhalten. „Aber diesen Monat war es gut. Sie haben uns Weizen, Zucker, Tee und Konserven gegeben.“Für die Parlamentssitzung war ein ehemaliges Lagerhaus, das zuvor der Polizei von Mogadischu als Garage diente, umgebaut worden. Außer Plastikstühlen für die 275 Parlamentsmitglieder gab es noch eine bunte Papier-Dekoration und an den Wänden Werbung für etliche Mobilfunkunternehmen.Was denkt der Polizist Hassan über die getroffene Entscheidung? Er lächelt: „In unserer Arbeit haben wir uns schon immer nach der Scharia gerichtet“, sagt er und reicht mir eine Tasse mit trübem Tee. „Wenn der ganze Staat zusammenbricht, bleibt uns nur die Religion.“
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