Glamourös lässt sich diese Arbeit nicht gerade nennen. Als junger Spion musste Alexander Lebedev in der vornehmen sowjetischen Botschaft im Londoner Stadtteil Kensington Palace Gardens die britischen Zeitungen lesen. Jeden Morgen durchforstete er die Financial Times, den Guardian, aber auch die berühmt-berüchtigten Boulevardblätter – immer auf der Suche nach kleinen Zeichen, die auf den möglichen Niedergang des Kapitalismus hoffen ließen. Meist ohne Erfolg. Auch der Evening Standard gehörte zu den Zeitungen, die Lebedev damals allmorgendlich in den Händen hielt.
Ironischer Dreh der Geschichte Zwei Jahrzehnte später ist uns der Kapitalismus erhalten geblieben, wenngleich er momentan nicht gerade seine beste Zeit erlebt. Die Sowjetunion e
tan nicht gerade seine beste Zeit erlebt. Die Sowjetunion existiert nicht mehr, Lebedev selbst jedoch war das Glück hold. Der ehemalige Spion ist heute Milliardär. Und bald wird er auch der neue Besitzer des Standard sein, den er einst als Oberstleutnant im Auslandsgeheimdienst erstmals durchgeblättert hatte. John le Carré, der große Ironiker des Kalten Krieges, hätte wohl seine Freude an diesen postmodernen Dreh der Geschichte gehabt.Lebedev selbst ist nicht bereit, sich zu den Details des Deals zu äußern, der ihn zum ersten Oligarchen im Besitz einer britischen Zeitung machte. Ebenso weigert er sich, Einzelheiten der Verhandlungstortur mit Lord Rothermere preiszugeben, dem nunmehr ehemaligen Geschäftsführer des Standard und Haupteigentümer von dessen Muttergesellschaft Daily Mail General Trust. So viel immerhin verrät er, dass die Verhandlungen mit „Jonathan“, wie er ihn nennt, gut ein Jahr gedauert hätten: „Jonathan ist ein sehr guter Mann. Sein Erbe behandelt er eher als eine Verpflichtung als ein Vergnügen.“Engagierter PublizistIn einem Interview mit der Internetredaktion des Guardian zeigt Lebedev sich bemüht darum, klarzumachen, dass er sich von anderen superreichen Russen unterscheide, die britische Institutionen aufgekauft haben. Mit Roman Abramovic, dem anglophilen Besitzer des FC Chelsea zum Beispiel, beteuert er, habe er so gar nichts gemeinsam, ebenso wenig mit Alisher Usmanov, einem anderen Landsmann, der ein Viertel des Fußballvereins Arsenal London hält. „Chelsea ist einfach eine Geldmaschine,“ sagt er mit Geringschätzung.Er selbst habe keine opportunistischen, sondern vielmehr idealistische Motive für den Kauf des Standard. Der Tykon ist bereits Mitbesitzer der Novaya Gazeta, einer kleinen, engagierten Moskauer Oppositionszeitung, deren Korrespondentin Anna Politkovkaya 2006 vor ihrer Wohnung erschossen wurde. Durch seine bekannte Antipathie gegenüber dem Kreml sind Lebedevs publizistische Möglichkeiten enorm eingeschränkt. So wurde er kürzlich gezwungen, den Moskau Korrespondent zu schließen, der ihm ebenfalls gehörte und ein Gegengewicht zu den regierungsfreundlichen Tageszeitungen Moskaus war. Nun wendet er sich also nach Großbritannien.In einem schicken Moskauer Bistro verneint Lebedev über einem Teller Pasta mit Tintenfisch, Einfluss auf die Politik des Vereinigten Königreiches nehmen zu wollen. Auch als Redakteur wolle er sich beim Standard nicht betätigen. „Mir liegt viel daran klar zu machen, dass es sich für einen Russen nicht gehört, sich in die britische Politik einzumischen. Ich werde keinerlei Einfluss nehmen,“ erklärt er. Zurückhaltend lobt er dann den britischen Premierminister Gordon Brown, den er im Juni kennen gelernt hat. „Ich glaube Menschen werden in Kontexten entdeckt. Meiner Meinung nach war er [Brown] ein guter Manager. Er arbeitet hart und hat Werte. Wenn man ihn mit einem durchschnittlichen russischen Bürokraten vergleicht, kommt einem das Lachen.“Stirnrunzeln in Whitehall und Kreml Der frischgebackene Zeitungsbesitzer sagt, er sei sich sehr wohl darüber bewusst, dass sein Kauf in Anbetracht der prekären britisch-russischen Beziehungen für Stirnrunzeln in britischen Regierungskreisen sorgen wird. Denn wenngleich sowohl London als auch Moskau erst kürzlich beteuert haben, ihre Beziehungen verbessern zu wollen, ist die Ermordung Alexander Litvienenkos durch Polonium im Jahr 2006 keineswegs schon überwunden. So hat die britische Regierung aus Angst vor einem schleichend wachsenden Einfluss des Kreml auf der Insel der versuchten Übernahme des britischen Energiekonzerns Centrica durch den russischen Erdgasunternehmens Gazprom einen Riegel vorgeschoben.Doch auch der Kreml, berichtet Lebedev, scheine verdutzt über den Deal mit dem Standard und frage sich, was Lebedevs wirkliche Absichten seien. In seinem Heimatland als Oppositionsfigur bekannt, steht er nämlich schon seit einiger Zeit nicht auf gutem Fuß mit dem russischen Regierungsgespann Putin-Medwedjev. Trotzdem hat er sie aber durch einen Vermittler höflich über sein Vorhaben informiert und das OK erhalten – unter der Vorraussetzung, Russland nicht in Verlegenheit zu bringen.Beitrag zur VölkerverständigungDer Tykon, der letzten Dezember neunundvierzig Jahre alt geworden ist, erzählt, er sei schon sehr gespannt darauf, Inhaber des Standard zu sein. Auch einem anderen Ereignis sieht er mit Freude entgegen: Er wird wieder Vater, seine Freundin erwartet im Juni ein Baby. Von Großbritannien ist er begeistert, vor allem das Klima in der dortigen Presselandschaft hat es ihm angetan. Kein Vergleich zu seinem Heimatland, wo die Mehrzahl der Publikationen und das gesamte Fernsehen in der Hand des Kremls sind.„Das verstehen die Leute in Großbritannien nicht. Ich habe dort viele Freunde, die aus allen Bereichen der Gesellschaft kommen und sich allesamt über ‚diese verdammten Zeitungen’ beschweren,“ erklärt er. „Das gehört zu den Botschaften, mit denen ich mich einbringen möchte. Ich denke, in Großbritannien zählt die Presse zu den bedeutendsten Garanten gegen die Entstehung einer ineffizienten, korrupten und hässlichen Bürokratie.“Auch die britische Hauptstadt ist ganz nach Lebedevs Geschmack und im übrigen findet er, der Standard solle seine anhaltende Fehde mit den Fahrern der „Black Caps“, der Taxis der Stadt beilegen, die seiner Meinung nach den „besten Service der Welt“ liefern. Russland und Großbritannien, meint er, könnten voneinander lernen. „In Wirklichkeit gibt es doch bereits viel Austausch zwischen den Menschen unserer Länder. London ist voll mit Russen und hier in Russland sind eine Menge Briten. Wir denken immer, wir wären weit voneinander entfernt, aber das stimmt überhaupt nicht,“ erläutert er seine Sicht der Dinge.Der Standard soll nach links rückenWeitaus weniger ausführlich möchte er sich zu seinen spezifischen Plänen für den Standard äußern, wo es unvermeintlich zu Stellenkürzungen kommen wird. Wiederholt versichert er, es werde Aufgabe der Redakteure und Journalisten sein, die neue Linie des Blattes zu bestimmen. Die Daily Mail, so will es der Vertrag, wird einen Minderheitsanteil halten und weiterhin als wichtiger Partner im Bunde bleiben. Klar scheint aber auch, dass Lebvedev sein neues Besitztum vom alles überragenden Schatten der Daily Mail und ihres Chefredakteurs Paul Dacre befreien möchte. Er will eine progressivere Linie einführen und dabei weiterhin den Londoner Bürgermeister Boris Johnson unterstützen.Prominente (Wunsch)-ChefredaktionAußerdem würde der Zeitungsmagnat gern Größen wie seinen persönlichen Freund Michael Gorbatschow oder Tony Blair in der Redaktion sehen, die für die Leitartikel zuständig ist. Zu den Themen, die diese Gruppe dann beschließt, könnten, so malt Lebedev sich aus, beispielsweise der Sudan oder Darfur gehören. Dass klingt nicht unbedingt nach der derzeitigen, manchmal sehr engstirnigen und chauvinistischen Haltung des Blattes. Täte Lebvedev sich nicht einen größeren Gefallen, wenn er sich ein progressiveres Blatt zulegen würde, den Independent zum Beispiel?„Ich kenne jeden Chefredakteur in London, wir pflegen sehr gute Beziehungen,“ antwortet er knapp, fügt dann aber hinzu: „Wenn sie mich nach dem Indy fragen, sage ich dazu, dass es keine Verhandlungen gab.“ Seit der Finanzkrise, berichtet Lebedev, habe er eine Milliarde US-Dollar verloren – wodurch ihm allerdings immer noch der kolossale Restbetrag von zweieinhalb Milliarden bleibt. Unter anderen Bedingungen, vertraut er mir an, würde er gerne aus einer britischen Zeitung ein globales Produkt machen, das seine Fühler in die USA, vielleicht sogar nach Frankreich ausstreckt.Zyniker mutmaßen Kaufentscheidung aus EitelkeitZyniker werden vielleicht vermuten, der Kauf sei ein so genannter „Vanity purchase“, eine Anschaffung also, die dazu dient, die Eitelkeit des Käufers zu befriedigen - und im Endeffekt auch ein Geschenk an Evgeny Lebedev, den unterbeschäftigten 28-jährigen Sohn des Russen. Der hat seine Ausbildung in Großbritannien erhalten, lebt jetzt in London und wird aller Voraussicht nach Geschäftsführer der neuen Dachgesellschaft des Standard. Evgeny, der in der Glanz- und Glitter-Gesellschaft Londons kein Unbekannter ist und zurzeit mit der 44-jährigen Schauspielerin Joely Richardson ausgeht, soll auch den Kaufvertrag unterschreiben und dabei seinen Dad repräsentieren.Doch Lebedev winkt schnell ab. Nein, sein Sohn werde nicht neuer Redakteur des Standard werden und auch nicht für die Zeitung schreiben. „Er lernt noch. Er ist ein sehr netter Kerl und sehr kontaktfreudig, aber ich denke nicht, dass er zu diesem Zeitpunkt für die Zeitung von Nutzen sein kann,“ räumt er den Verdacht aus dem Weg. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Standard Gewinne machen sollte, werden diese der von Evgeny geleiteten Lebedev-Stiftung zufließen – einer wohltätigen Körperschaft, die Lebvedev ins Leben will. In Russland ist Lebvedev als Philantroph bekannt, mit Wohn-, und Ernährungsprojekten will er denen helfen, die es brauchen.„Ein guter Weg, Geld zu verlieren.“Will er dem Evening Standard zu neuer Blüte verhelfen, wird er allerdings mehr aufbringen müssen als Altruismus – viel, viel Geld nämlich. Darüber scheint der Milliardär sich durchaus bewusst zu sein und lässt verlauten, sich darauf eingerichtet zu haben, soviel auszugeben, wie es eben brauche. Um genau zu sein, benutzt er die Worte, das Zeitungsgeschäft sei „ein guter Weg, Geld zu verlieren.“„Ich möchte nicht in einem Jahr dastehen, die Zeitung schließen, die Journalisten in die Arbeitslosigkeit schicken müssen und den Leuten Grund geben zu sagen, es hätte da diesen komischen Russen gegeben, der sich ein Spielzeug wie Chelsea zugelegt habe und gescheitert sei. Ich bemühe mich sehr ernsthaft.“
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