Mit seinem zauseligen Haar, den Baggy-Shorts, dem Streifenshirt und den gelben Bändern, die er um beide Handgelenke trägt, unterscheidet sich der 17-Jährige nicht von anderen Teenagern um ihn herum. Joshua Wong ist zu jung, um Auto zu fahren oder sich in einer Bar einen Drink zu kaufen. Und erst recht, um bei einer Wahl seine Stimme abzugeben. Trotzdem wurde er zum Gesicht der Pro-Demokratie-Proteste in Hongkong und inspirierte Menschen, die dreimal so alt sind wie er.
Als Mitgründer des Studentennetzwerkes Scholarism, das hinter den jüngsten Protesten steht, ist Wong fast so etwas wie ein Veteran der Bewegung. Mit 15 kämpfte er bereits gegen Pläne in Peking, das Schulfach Nationale Erziehung, das Kritiker als Gehirnwäsche bezeichneten, zum Pflichtpen
ten, zum Pflichtpensum zu erheben. Die damals von Scholarism losgetretene Kampagne brachte mehr als 100.000 Menschen auf die Straße. Das Vorhaben wurde zurückgenommen, Wong prominent. Er war vermutlich der erste Anführer von Massenaktionen, der eine Pressekonferenz einberief, um seine Schulabschlussnoten zu diskutieren und nebenher zu erwähnen: „Die Lehrer haben immer gesagt, meine einzige Stärke sei das Sprechen – ich könne sehr schnell reden.“Als Wong vor Tagen mit anderen Aktivisten, die den Regierungskomplex im Hongkonger Viertel Admiralty gestürmt hatten, für 40 Stunden festgenommen wurde, verschaffte ihm das auch international Statur. Die Haft rüttelte jene auf, die dem Studentenprotest bis dahin gleichgültig gegenüberstanden, und stimulierte die Lust am zivilen Ungehorsam. Fasziniert ist Wong von seiner Rolle freilich nicht: „Wenn bei einer Massenbewegung auf einmal eine bestimmte Person verehrt wird, ist das ein Dilemma“, warnte er 2012 nach der Kampagne gegen die Nationale Erziehung. Als er jetzt nach seinen Helden gefragt wurde, antwortete er: „Man braucht keine Vorbilder, um Teil einer sozialen Bewegung zu sein.“ Aus dem Polizeigewahrsam entlassen, wollte er nicht über die Umstände seiner Haft sprechen und wehrte alle Fragen ab: „Persönliche Belange“ ließen sich später klären.Chinas Staatsmedien greifen Scholarism-Aktivisten als Extremisten an, ein pekingfreundliches Hongkonger Blatt schreibt, „US-Kräfte“ hätten dazu beigetragen, Wong zum „politischen Superstar“ aufzubauen. Wong selbst weist das zurück. Trotz seiner Inbrunst sei er kein Hetzer: „Er ist leidenschaftlich, aber maßvoll. Maßvoller, als sein Alter das vermuten lässt“, so der Menschenrechtsanwalt Michael Vidler, der Wong während dessen Haft vertrat. „Er ist so jung und dabei so klug, dass man einfach etwas für ihn übrighaben muss. Er wäre der Stolz jeder Mutter – höflich, zuverlässig, fleißig.“ Wongs Eltern – Grace und Roger Wong – beschreibt Vidler als „ganz normale Mittelschichtsfamilie“, während Joshua selbst über seine Herkunft sagt: „Ich hatte nie Helikoptereltern, niemand verwöhnte mich. Man ließ mir Freiheiten, die mich zu dem gemacht haben, der ich heute bin.“ In einem Blogbeitrag hält er fest, sein Vater habe ihn schon als Kind zu Besuchen bei Not leidenden Menschen mitgenommen: „Er sagte mir, ich solle mich um all jene in dieser Metropole kümmern, die aufgegeben wurden. Sie alle hatten nie etwas vom Evangelium gehört – ihr Leben war einsam und hart.“ Wongs Eltern können das nur bestätigen. „Wir haben Joshua immer zu Mitgefühl, Fürsorglichkeit und Loyalität erzogen. Wir sind sehr stolz auf das, was er tut, um Hongkong zu einem besseren Ort für seine und unsere Generation zu machen.“ Auch wenn sich Wong um mehr Demokratie bemüht, ist er doch zugleich bestrebt, seinen Mitbürgern bewusst zu machen, dass es in der Politik nicht um Werte schlechthin, sondern um das alltägliche Leben geht.„Warum kostet eine Tofu-Lunchbox 50 HK$ (etwa fünf Euro) und ein Getränk noch einmal acht? Warum bricht die innerstädtische East Rail Line wöchentlich zusammen, weshalb steigen die Fahrpreise trotzdem? Viele Themen hängen eng mit der Politik zusammen. Ich finde, die Hongkonger sollten sich mehr dafür interessieren“, sagte er der South China Morning Post.Wong hat das Gebot einer öffentlichen Nominierung von Kandidaten für den Posten des Hongkonger Verwaltungschefs mit der Entscheidung für ein Mittagessen verglichen. Werde die Auswahl der Bewerber weiter so stark reglementiert, wie das derzeit der Fall sei, erhalte der Bürger nur Gelegenheit, zum Essen in eines von zwei Einkaufszentren zu gehen: „Was man dann bekommt, ist sich doch sehr ähnlich. Man isst letzten Endes immer beim gleichen Fast-Food-Anbieter.“Joshua Wong hat nach dem Auftauchen von Gegendemonstranten eingeräumt, die Dinge lägen längst nicht mehr in seiner Hand. Jetzt soll es erst einmal Verhandlungen geben, nachdem die Barrikaden im Finanzdistrikt abgebaut worden sind. „Die Entscheidung, wie es weitergeht, sollte bei den Bürgern liegen – nicht bei Scholarism oder Occupy Central with Love and Peace“, meint Wong. Für ihn gäbe es auch ein Leben außerhalb des Aktivismus. „Mein größter Erfolg könnte der Beweis sein, dass meine Rolle ihre Grenzen hat. Viele Menschen haben zu mir gesagt: ‚Hongkong verlässt sich auf dich‘, manche haben mich sogar zum Helden erklärt“, schreibt er auf seiner Facebookseite und fährt fort: „Ich fühle mich unwohl bei solchem Lob. Als ihr Pfefferspray und Tränengas ertragen habt und trotzdem auf der Straße geblieben seid, konnte ich nichts tun, als die kahlen Wände einer Zelle anzustarren und mich sehr machtlos zu fühlen.“Placeholder authorbio-1Übersetzung: Zilla Hofman