Für den, der die Präsenz ausländischer Soldaten ablehnt, hat das unerbittliche Töten einen einfachen Sinn: die Besatzung zu beenden. Insofern haben die afghanischen Aufständischen gegenüber den NATO-Truppen den Vorteil zu wissen, wie für sie der Sieg aussehen würde. Die NATO-Soldaten erhalten durch den mörderischen Eifer ihrer Gegner zumindest einen gewissen Grad an Klarheit über ihre Aufgabe. Sie müssen überleben. Sie müssen zurückschlagen. Doch wen oder was genau bekämpfen sie? Diese schreckliche Frage hängt nicht zuletzt über dem britischen Vorgehen. 15 Soldaten sind in den zurückliegenden elf Tagen getötet worden. Wofür?
Die Antwort scheint je nach dem Druck, dem das britischen Afghanistan-Korps ausgesetzt ist, unterschiedlich auszufallen. In Phasen relativer Ruhe erzählen die Politiker in London gern etwas von "Nation-Building" und Menschenrechten. Die Taliban – daran werden wir dann erinnert– hätten sich einer Doktrin des Hasses gegenüber der Freiheit verschrieben. Sie unterjochten die Frauen und unterdrückten mit Gewalt jede Meinung, die von der ihren abweicht. Unser moralisches Ziel sollte sein, sie zu besiegen.
Ablenkungsmanöver der Tories
Wenn sich die Aufständischen allerdings wie im Moment als schlagkräftiger militärischer Gegner erweisen, wird die Zielsetzung unverhohlen strategisch. Wir kämpfen, sagt Außenminister David Miliband, damit Afghanistan nicht zum sicheren Hafen für al-Qaida und den internationalen Terrorismus wird. Theoretisch mögen diese moralischen und strategischen Ziele zusammenhängen. In einem demokratischen Afghanistan würde der Terrorismus mit großer Wahrscheinlichkeit weniger Nährboden finden. Gäbe es die Taliban nicht, wäre auch die Besatzung nicht erforderlich. Aber ein solches Szenario existiert nicht. Die Tatsache der Besatzung selbst zählt zu den Gründen für die Aufstände. Und der Regierung Karsai die Macht zu erhalten, bedeutet, gemeinsame Sache mit Stammesführern zu machen, die kaum aufgeklärter sind als die Taliban.
Ein ideales Afghanistan ist Produkt der Einbildung. Die britischen Politiker stehen also vor der Herausforderung, einen Plan vorzustellen, der überzeugend die afghanische Wirklichkeit berücksichtigt. Der Chef der Liberaldemokraten, Nick Clegg, unternahm einen Schritt in diese Richtung, indem er ausdrücklich die derzeitige Strategie in Frage stellte und sagte, Soldatenleben würden "weggeworfen", um dem politischen Wunsch nach einer Überwindung des derzeitigen Kräftegleichgewichts zu entsprechen.
Die Konservativen klagen derweil über die Versorgung der Truppen. Nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver. Natürlich wüssten die britischen Soldaten zusätzliche Fahrzeuge zu schätzen, doch folgt die Bereitstellung der besten Ausrüstung, um eine Aufgabe zu erledigen, wenn es keine Klarheit über eben jene Aufgabe gibt. Gäbe es endlos viele Helikopter, würden die Tories dann auch eine endlose Besatzung bewilligen?
Ein Glücksspiel
Überdies, daran erinnern die Konservativen doch ständig, stehen uns ohnehin schmerzhafte finanzielle Engpässe bevor. 2008 lagen die Kosten für den Krieg in Afghanistan 2,6 Milliarden Pfund über dem jährlichen Budget des Verteidigungsministeriums. Als Verteidigungsminister Bob Ainsworth Pläne für eine strategische Prüfung des militärischen Vorgehens ankündigte, war auch von dieser Summe die Rede. Die Schlussfolgerung: Wenn Großbritannien weiterhin in Afghanistan kämpfen will, werden an anderer Stelle brutale Einschnitte gemacht werden müssen.
Eines ist sicher: Der plötzliche und rasante Anstieg der Opferzahlen und die dämmernde Erkenntnis einer finanziellen Zwangslage werden das Thema Afghanistan im Wahljahr 2010 auf der politischen Agenda ganz nach oben heben. Jeder Kandidat wird sich fragen lassen müssen: "Warum sind wir dort?" Die Erklärung, die Gordon Brown gerade lieferte, war schlicht eine Umformulierung des ursprünglichen Casus belli: "Es gibt eine Kette des Terrors, die von den Bergen Afghanistans bis durch die Straßen Großbritanniens läuft." Anders gesagt: Wir kämpfen aus krudem nationalem Eigeninteresse und folgen dabei einer kalten, utilitaristischen Logik: Der Krieg macht eine Gräueltat von al-Qaida weniger wahrscheinlich. Die zusätzliche Sicherheit daheim ist das Opfer britischer Soldaten im Ausland wert. 184 tote Soldaten werden gegen die imaginären Verluste bei einem imaginären Angriff im Stile des 11. September 2001 abgewogen. Doch so sehr die Regierung dies auch als Strategie darstellen möchte, bleibt es doch ein bloßes Glücksspiel. Wenn die Umstände sich nicht drastisch ändern, wird die Öffentlichkeit zu dem Schluss kommen, dass der Einsatz zu hoch ist. Die vielen Leben, die gerettet würden, kämen die Soldaten nach Hause, sind ein sichererer Gewinn, gemessen an der unbelegten Hypothese, terroristische Anschläge könnten durch einen Krieg verhindert werden, der Tausende Meilen weit entfernt geführt wird.
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