Vor einigen Monaten wurde lang und breit vom ersten Jahrestag der globalen Black Lives Matter (BLM)-Proteste berichtet. Es gab ellenlange Essays und viele Analysen, die fragten: Was hat sich verändert? „Nicht viel“, schien der allgemeine Eindruck zu sein. Im Rückblick scheint offensichtlich, dass die Aufregung der ursprünglichen Proteste einen organisierten Backlash provozieren musste. In Großbritannien wurde er erstmals im September 2020 deutlich sichtbar, als ein von Black Lives Matter inspirierter Tanz bei ITVs „Britain’s Got Talent“-Show fast 25.000 Beschwerden bei der britischen Medienaufsichtsbehörde Ofcom auslöste.
Der Moment, an dem die öffentliche Meinung sich gegen BLM verhärtet zu haben schien, ist es ebenso wert, erinnert zu werden, wie der Beginn der Proteste – weil er uns eine wichtige Lektion vermittelt: Politischer Wandel folgt nicht automatisch, nur weil die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erreicht wurde.
BLMs eindeutigster kultureller Fußabdruck ist, den Kniefall populär gemacht zu haben. Man könnte argumentieren, dass die Geste wirklich dazu beigetragen hat, einen bedeutenden Wandel in der öffentlichen Haltung auszulösen. Als Protest gegen Polizeibrutalität und Rassismus an den Rändern der US-amerikanischen Basketball-Liga NFL entstanden fand die Geste ihren Weg in die Parlamentssäle der USA und Großbritanniens, wo hohe Poltiker:innen sie aufnahmen, von der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi bis zum britischen Labour-und Oppositionschef Keir Starmer. Aber dazwischen – dass ein Symbol im Mainstream ankommt oder zu einer leeren Geste ausgehöhlt wird – ist es nur ein schmaler Grat. Es ist viel einfacher, die richtige Überzeugung zu haben, als zu versuchen, wirklich etwas gegen Probleme zu tun.
Die Geschwindigkeit, mit der diese Symbole verbreitet und konsumiert werden, erhöht noch die Wahrscheinlichkeit, dass sie vereinnahmt werden, auf einer Art kulturellem Marktplatz, auf dem Politik buchstäblich ein Accessoire ist. Vergangene Woche zum Beispiel trug die US-Kongress-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez zur „Met Ball“-Gala ein weißes Kleid mit dem Slogan „Tax the Rich“ – „Besteuert die Reichen“. Ihre Outfit-Wahl erklärte sie mit der Gelegenheit, ein breiteres Publikum für ihr antikapitalistische Politik ansprechen zu können. „Das Medium ist die Botschaft“, schrieb sie auf Instagram. „Es ist Zeit für Kinderbetreuung, Gesundheitsversorgung und Bekämpfung der Klimakatastrophe für alle.”
Stellen Sie sich Symbole als Dünger vor: sinnlos auf unbestelltem Boden
„Tax the Rich“. Kurz hatte ich eine erschreckende Zukunftsvision von einer „Tax the Rich“-Merchandise-Serie, die von reichen Influencer:innen vorgeführt wird. Oder dass der Slogan vielleicht in Schmuck verwandelt wird, so ähnlich wie die VOTE-Halskette, die von Michelle Obama populär gemachte Aufforderung zu wählen (UVP: 360 Euro). Unter dem Weg zum Mainstream, den Ocasio-Cortez mit dem „Met Ball“ erreichen wollte, hängt ein riesiges kulturelles und kommerzielles Netz, das alles auffängt und so viel wie möglich davon in ein billiges – aber immer noch überteuertes – Produkt verwandelt. Von der US-amerikanische Schriftstellerin, Feministin und Bürgerrechtlerin Audre Lorde stammt der berühmt gewordene Satz: „Die Werkzeuge des Meisters werden nie das Haus des Meisters niederreißen.“ Weniger häufig wird zitiert, wie es danach weiterging: „Sie ermöglichen es uns vielleicht, ihn vorübergehend mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen, aber sie werden uns nie ermöglichen, echten Wandel herbeizuführen.“
Es passiert allzu oft, dass sich politische Symbole und Gesten leicht vereinnahmen und kommerzialisieren lassen – dieses Phänomen ist so alt wie die Werbung. Aber es droht ein noch heimtückischeres Risiko, nämlich, dass wir sie mit einem Sieg verwechseln.
Im vergangenen Sommer standen People of Colour auf der ganzen Welt auf und forderten systematische Veränderungen. Sie erhielten nicht viel mehr, als Diversity-Übungen, die vor allem Unternehmen Rückendeckung geben, Produktumbenennungen und „Pass the mic“-Veranstaltungen, bei denen People of Colour ins Rampenlicht gerückt werden, bevor sie das Mikrofon wieder abgeben müssen.
Ein wichtiges Stadium für das Erreichen von Veränderung hat tatsächlich mit Bewusstsein zu tun, und damit, „einen Platz am Tisch“ zu erobern. Aber das ist nur ein Teil davon, wie Wandel vor sich geht. Der Rest basiert auf unauffälliger, langfristiger Arbeit, die die Bedingungen dafür schafft, dass neue Ideen Wurzeln schlagen können. Stellen Sie sich Symbole als Dünger vor: sinnlos auf unbestelltem Boden.
Gesten sind notwendig, aber niemals ausreichend
In den vergangenen 18 Monaten hat sich unsere Politik noch mehr als zuvor in diesem eigenartigen Raum des Internets abgespielt. Trotz des momentanen Stillstands gab es zwei große Durchbrüche: die Proteste gegen Rassismus und für soziale Gerechtigkeit, die anhaltende rassistische Diskriminierung und ungerechtfertigte Ungleichheit aufdeckten, sowie dieErkenntnis, dass viele westliche Staaten ihr Wohlfahrts- und Gesundheitssystem so verkümmern haben lassen, dass sie ihre Bevölkerung angesichts der Pandemie nicht ausreichend schützen konnten. Allerdings besteht die Gefahr, dass sich der Gewinn aus diesen seltenen Momenten der Selbstreflektion in die Pixel einer virtuellen Welt auflösen, in der wir – sei es als Zuschauer:innen oder Teilnehmer:innen – unsere Energie verschwenden, indem wir durch die Schlaglichter auf Polizeibrutalität, fallende Statuen und schwarze Quadrate der Solidarität scrollen. Jeder hier gewonnene Boden ist trügerisch. Durch die Ausdehnung des Online-Raums werden die Wirkung und die Reichweite des virtuellen Diskurses überbewertet. Und so lässt sich die Tatsache, dass wir diese Gespräche überhaupt führen, leicht als eine Art Sieg an sich betrachten. Aber wenn die Argumente nicht zu einem Machtgewinn in der realen Welt führen, sind sie nur Hitze und kein Licht.
Damit Demokratie funktionieren und gute, populäre Ideen wie die Bekämpfung rassistischer Ungleichheit oder die Besteuerung der Reichen auf bedeutsame Weise Mainstream werden können, reicht es nicht, den Leuten Informationen vorzulegen und sie als korrekt zu bezeichnen. Die Menschen müssen überzeugt werden. Sie müssen erkennen, was eine bestimmte Politik oder Fakten für ihr eigenes Leben bedeuten. Eine Wahlkampagne, an die ich häufig denke, ist die, die den Weg für Irlands historisches Referendum zur Einführung der Ehe für Homosexuelle 2015 ebnete. Was wie eine dramatische oder sogar unausweichliche Liberalisierung eines gesellschaftlich konservativen Landes wirkte, war tatsächlich das Ergebnis jahrelanger Graswurzelarbeit. Eins der erfolgreichsten Instrumente der Kampagne war der Appell „Ruf deine Oma an“: Junge Leute sollten vor allem in ländlichen Gebieten ihre Großeltern ermuntern, beim Referendum mit Ja zu stimmen. Der Vorschlag wurde mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen angenommen.
Sicher sind konkrete Kampagnen etwas Anderes als generelle Bewegungen mit breiteren Zielen. Aber eine ähnliche Art von Organisation erkenne ich darin, was die britische Black Lives Matter-Bewegung vergangenes Jahr mit der finanziellen Unterstützung tat, die sie für kurze Zeit erhielt. Während die Bewegung gegen Rückschläge und Anfeindungen kämpfte, unterstützte sie finanziell Organisationen wie African Rainbow Family und United Voices of the World. Durch Rechtsberatung sowie Hilfe der Gemeinschaft bestärken diese Organisationen nicht-weiße Menschen darin, den Status, die Dokumente und die Stabilität zu erhalten, um vollwertig an Demokratie teilzuhaben. Meine Sorge ist, dass wir vergessen, dass dies der entscheidende Punkt der Symbole, Statements und Ikonographie ist.
Etwas mehr als ein Jahr nach dem Beginn der Black Lives Matter-Proteste sollten wir ein Kreuz in unseren Kalender machen und daran denken, dass Gesten notwendig, aber niemals ausreichend sind. Geht ruhig auf die Knie und tragt Slogans, aber betrachtet das – wie Audre Lorde mahnte – nur als erste Erfolge in einem Spiel, in dem es letztlich darum geht, den Gegner zu schlagen.
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