Die Gewerkschaft darf bluten

Chrysler Beim Insolvenzantrag von Chrysler geht es nach Chapter 11 des US-Insolvenzgesetzes um eine chirurgische Insolvenz, soll heißen: ein relativ schmerzfreies Verfahren

Unternehmenspleiten lassen sich selten „sauber“ abwickeln. Die gerichtlich angeordnete Restrukturierung zieht sich über Jahre hin, da sich die verschiedenen Gläubiger, Zulieferer und Aktionäre für gewöhnlich bis aufs Messer um den geschrumpften Kuchen streiten. Der Richter im Fall Chrysler, Arthur Gonzales, hatte denn auch schon den Vorsitz in den langwierigen Prozessen um die Aufteilung von Enron und Worldcom, die Jahre dauerten. Wie wahrscheinlich also ist es, dass bei Chrysler nach 60 Tagen alles vorbei ist?

Die Regierung zieht an den Fäden

Zunächst einmal gibt es einen Unterschied zwischen der Restrukturierung eines Unternehmens und seiner Abwicklung. Wenn Chrysler vor Gericht erscheint, dürfte das Management einen Plan in der Tasche haben, der auf Übereinkünften von Arbeitern, Pensionsfonds und den meisten Gläubigern basiert. Zudem wird bei dieser Insolvenz ein gesetzlicher Trick namens „363 sale“ Anwendung finden. Der besteht darin, dass die neue Körperschaft das Vermögen des alten Unternehmens aufkauft – das heißt, der neue Chrysler wird Produktionsmittel und Verträge im Wert von zwei Milliarden Dollar an Gläubiger zahlen und den unrentablen Rest den Geiern überlassen. Es ist kaum wahrscheinlich, dass verwaiste Fabrikgebäude noch einen hohen Marktwert erzielen. Man hofft darauf, das neue Unternehmen von den Forderungen gegen das alte entbinden zu können, was sich freilich erst nach einem Jahre dauernden gerichtlichen Verfahren entscheiden dürfte.

Hegdefonds waren es, die Chrysler vor das Insolvenzgericht zitierten. Sie wollen mehr als die eine Milliarde Dollar, die ihnen angeboten wird. Präsident Obama nennt sie eine „kleine Gruppe von Spekulanten“, die nicht bereit sei, ihren Anteil an der allgemeinen Last zu tragen. Das mag sein, doch können diese „Spekulanten“ für sich in Anspruch nehmen, dass sie abgesicherte Schuldscheine besitzen, denen gemäß der Abwicklungsvorschriften des US-Insolvenzrechts Vorrang eingeräumt werden muss. Nur müssen die Hedgefonds in diesem konkreten Fall anerkennen, dass sich die Prioritäten verlagern, wenn das Weiße Haus die meisten der auf dem Tisch liegenden Jetons hält.

Wendemanöver gegen den Zeitgeist

Wie die Dinge liegen, darf künftig die Gewerkschaft der United Auto Workers (UAW) als Gegenleistung für Zugeständnisse in Milliardenhöhe 55 Prozent der Unternehmensanteile halten, die US-Regierung acht und der kanadische Staat zwei Prozent. Gleichzeitig kann Fiat seinen 20-Prozent-Anteil um bis zu 15 Prozent erhöhen, wenn das Unternehmen bestimmte Vorgaben erfüllt. Demnach muss Fiat ein Auto mit einem Durchschnittsverbrauch von 5,9 Litern auf 100 Kilometer in einer amerikanischen Fabrik produzieren.

So zeichnet sich ein korporatives Führungsmodell ab, bei dem die Regierung und die Gewerkschaft beteiligt sind. Chrysler vollzieht die Wende vom Shareholder- zum Stakeholder-Kapitalismus. Bei ersterem kommt es allein darauf an, dass die Investitionen der Shareholder sich auszahlen. Das Management betrachtet Belegschaft und Zulieferer lediglich als Mittel zur Profitmaximierung.

Im Stakeholder-Kapitalismus haben die angeführten neuen Gesellschafter ein Mitspracherecht und sitzen im Aufsichtsrat. Bei anstehenden Entscheidungen dürfte es dann nicht allein um die reinen Gewinne an sich gehen. Was immer man über die Fabrikation von Fahrzeugen mit niedrigem Verbrauch denken mag, deren Produktion zur Bedingung dafür zu erheben, dass Fiat seinen Anteil steigert, ist ein ungewöhnliches Element für die Finanzstruktur eines jeden Unternehmens. Angesichts der Milliarden an Steuergeldern, die zum Erhalt von Chrysler aufgebracht werden, wirkt das keinesfalls unangemessen. Da die US-Regierung ein großes Interesse an Chrysler hat, ist es vernünftig sicherzustellen, dass das Management auch das Wohl der Allgemeinheit in Form saubererer Autos mit ins Kalkül zieht und sich nicht nur an Gewinmargen ausrichtet.

Die Kritiker eines solchen Ansatzes täten gut daran, sich zu erinnern, dass der Shareholder-Kapitalismus in diesem Fall spektakulär gescheitert ist und die neuen Sitze im Aufsichtsrat massiven staatlichen Finanzhilfen geschuldet sind, die das Unternehmen dringend braucht.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Thomas Noyes, The Guardian | The Guardian

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