Die größte Propaganda-Maschine der Geschichte

Digitalisierung „Borat“-Darsteller Sacha Baron Cohen kritisiert in einer Rede Tech-Firmen wie Facebook, YouTube, Google oder Twitter scharf. Hier können Sie sie im Wortlaut lesen
Sasha Baron Cohen: „Es darf nicht sein, dass Menschen wegen dem, was sie sind, woher sie kommen, wen sie lieben oder wie sie beten, verfolgt, belästigt oder ermordet werden“
Sasha Baron Cohen: „Es darf nicht sein, dass Menschen wegen dem, was sie sind, woher sie kommen, wen sie lieben oder wie sie beten, verfolgt, belästigt oder ermordet werden“

Foto: Astrid Stawiarz/Getty Images

Der britische Schauspieler und Komiker Sacha Baron Cohen hat in einer Rede Facebook und andere soziale Medienplattformen scharf kritisiert, die Verbreitung von Hassreden und Falschinformationen zu unterstützen. Seine Dankesrede für die Verleihung des International Leadership Awards der amerikanischen Anti-Defamation League (ADL), war bemerkenswert ernsthaft. Der unter anderem als „Borat“-Darsteller bekannte Komiker hielt erstmals eine Rede als er selbst und nicht als eine der satirischen Figuren, in deren Rolle er schlüpft.

Baron Cohen bezeichnete die Tech-Unternehmen als „größte Propaganda-Maschine der Geschichte“. Insbesondere kritisierte er Facebook und folgerte: Da politische Werbung nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werde, hätte das Unternehmen auch Hitler erlaubt, die Plattform für Propaganda zu nutzen.

Die Rede nach seinem Skript im Wortlaut (hier im englischen Original):

Zunächst möchte ich der ADL für ihre Anerkennung und für ihren Einsatz im Kampf gegen Rassismus, Hass und Fanatismus danken. Und wenn ich „Rassismus, Hass und Fanatismus“ sage, meine ich nicht die Namen von Trump-Berater Stephen Millers Labradoodles.

Mancher von Ihnen wird jetzt denken: Was zum Teufel macht ein Komiker als Redner auf einer solchen Konferenz!? Und ein Komiker bin ich. Den Großteil der vergangenen zwanzig Jahre habe ich damit verbracht, verschiedene Rollen zu verkörpern. Heute ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich als der am wenigsten beliebte meiner vielen Charaktere auf der Bühne eine Rede halte – als Sacha Baron Cohen. Und ich muss zugeben, es macht mir Angst.

Auch ist mir klar, dass mein Hiersein aus einem anderen Grund unerwartet sein könnte. Gelegentlich halten Kritiker mir vor, meine Art der Comedy berge das Risiko, alte Stereotype zu verstärken.

Aber die Wahrheit ist, dass mein Leben lang mein Anliegen war, Fanatismus und Intoleranz zu bekämpfen. Als Teenager in Großbritannien demonstrierte ich gegen die faschistische National Front und für die Abschaffung der Apartheid in Südafrika. Als Student bereiste ich Amerika und schrieb meine Abschlussarbeit über die Bürgerrechtsbewegung, wobei ich in den Archiven der Anti-Defamation League recherchierte. Und als Komiker setzte ich meine verschiedenen Rollen ein, um die Menschen dazu zu bringen, ihre Deckung aufzugeben und zu zeigen, was sie wirklich denken und ihre eigenen Vorurteile zu erkennen.

Nicht alles, was ich gemacht habe, diente einem höheren Zweck

Dabei möchte ich nicht so tun, als hätte alles, was ich gemacht habe, einem höheren Zweck gedient. Ja, ein Teil meiner Comedy – ok, wahrscheinlich die Hälfte meiner Comedy – hatte etwas Jugendliches und die andere Hälfte war komplett infantil. Ich gebe zu, dass ich nichts besonders Erleuchtendes an mir hatte, als ich – als Borat aus Kasachstan, dem allerersten Fake-News-Journalisten – komplett nackt durch eine Versammlung von Hypothekenmakler rannte.

Aber als es „Borat“ gelang, eine gesamte Bar im amerikanischen Bundesstaat Arizona dazu zu bringen, ‚Werft den Juden in den Brunnen’ zu singen, demonstrierte das die Gleichgültigkeit gegenüber Antisemitismus. Und als ich – als Bruno, der homosexuelle Mode-Reporter aus Österreich – während eines Cage Fight-Kampfes in Arkansas einen Mann küsste und damit fast einen gewaltsamen Aufruhr anzettelte, zeigte das das Gewaltpotential der Homophobie. Ein anderes Mal war ich als ultra-politisch-korrekter Stadtentwickler verkleidet und schlug vor, in einer ländlichen Gemeinde eine Moschee zu bauen. Als ein Einwohner daraufhin stolz zugab: „Ich bin rassistisch – gegen Muslime“ – sagte das viel über die Akzeptanz von Islamfeindlichkeit.

Daher freue ich mich sehr über die Gelegenheit, heute hier zu sein. Auf der ganzen Welt sprechen derzeit Demagogen unsere schlimmsten Instinkte an. Verschwörungstheorien, die früher ein Randphänomen waren, sind im Mainstream angekommen. Es ist, als gehe das Zeitalter der Vernunft – die Ära von beweisbarer Argumentation – zu Ende. Wissen wird abgewertet und wissenschaftlicher Konsens abgelehnt. Demokratie, die auf gemeinsamen Wahrheiten beruht, ist auf dem Rückzug. Dagegen sind autokratische Regierungssysteme, die auf geteilten Lügen basieren, auf dem Vormarsch. Hassverbrechen nehmen ebenso zu wie mörderische Angriffe auf religiöse und ethnische Minderheiten.

Was haben all diese gefährlichen Trends gemeinsam? Ich bin nur ein Komiker und Schauspieler, kein Wissenschaftler. Aber eins scheint mir ziemlich offensichtlich. All dieser Hass und die Gewalt werden durch ein paar wenige Internet-Unternehmen ermöglicht, die zusammen die größte Propaganda-Maschine in der Geschichte darstellen.

Die größte Propaganda-Maschine in der Geschichte

Machen Sie sich das klar. Facebook, YouTube und Google, Twitter und andere erreichen Milliarden von Menschen. Die Algorithmen, von denen diese Plattformen abhängen, unterstützen bewusst Inhalte, die die Nutzer bei der Stange halten – Geschichten, die unsere niederen Instinkte ansprechen, die Wut oder Angst auslösen. Aus diesem Grund empfahl YouTube Videos des Verschwörungstheoretikers Alex Johnson milliardenfach weiter. Fake News stechen echte Nachrichten aus: Studien zeigen, dass sich Lügen schneller verbreiten als die Wahrheit. Dabei überrascht es nicht, dass die größte Propaganda-Maschine in der Geschichte die älteste Verschwörungstheorie in der Geschichte verbreitet – die Lüge, Juden seien irgendwie gefährlich. Wie es eine Schlagzeile formulierte: „Malen Sie sich aus, wozu Goebbels Facebook benutzt hätte“.

Im Internet kann alles gleich legitim erscheinen. Breitbart wirkt nicht anders als die BBC. Die fiktiven Protokolle der Elders of Zion sehen genauso gültig aus wie ein ADL-Bericht. Und das Gegeifer eines Verrückten wirkt genauso glaubhaft wie die Erkenntnisse eines Nobelpreisgewinners. Insgesamt scheint es, als sei der Konsens über die notwendigen Grundlagen für Demokratie verlorengegangen.

In der Rolle des Möchte-Gern-Gangsters Ali G fragte ich einmal den Astronauten Buzz Aldrin: „Wie war’s denn auf der Sonne herumzuspazieren“? Der Witz funktionierte, weil das Publikum das Wissen um die Fakten teilte. Für jemanden, der die Mondlandung für Fake hält, ist der Witz nicht lustig.

Als Borat die Menschen in der Bar in Arizona dazu brachte, zuzustimmen, dass „Juden das Geld aller Menschen kontrollieren und nie zurückgeben“, funktionierte der Witz nur, weil das Publikum weiß, dass die Beschreibung von Juden als geizig eine Verschwörungstheorie ist, die aufs Mittelalter zurückgeht.

Aber wenn sich dank der sozialen Medien Verschwörungstheorien etablieren, erleichtert das nicht nur Hassgruppen, Anhänger zu rekrutieren. Es hilft auch, ausländischen Geheimdiensten, unsere Wahlen zu manipulieren und einem Land wie Myanmar Genozid an der ethnischen Gruppe der Rohingya zu verüben.

Aus einer Verschwörungstheorie kann Gewalt entstehen

„Es ist schockierend einfach, Verschwörungsdenke in Gewalt umzumünzen“

Foto: Marty Melville/AFP via Getty Images

Dabei ist es schockierend einfach, Verschwörungsdenke in Gewalt umzumünzen. Bei der Vorbereitung meiner jüngsten Show von „Who is Amerika?“ kam mir als Interviewpartner ein gebildeter, normaler Mann unter, der seinen guten Job nicht verloren hatte. Dennoch verbreitete er über die sozialen Medien viele der Verschwörungstheorien, die Präsident Donald Trump mehr als 1.700 Mal über Twitter an seine 67 Millionen Follower geschickt hat. Einmal hatte der US-Präsident sogar getwittert, er überlege die Antifa – Anti-Faschisten, die gegen die Rechtsextremen demonstrieren – als Terrororganisation einzustufen.

Als israelischer Anti-Terror-Experte Colonel Erran Morad getarnt, erzählte ich meinem Interviewpartner, dass die Antifa vorhabe, bei einer Demonstration für Frauenrechte in San Francisco Hormone in die Windeln von Babys einzuschmuggeln, um sie „transgender“ zu machen. Und er hat es geglaubt.

Ich wies ihn an, an drei in Wahrheit unbescholtenen Leuten auf der Demonstration kleine Sprengkörper unterzujubeln. Ich erklärte ihm, wenn er einen Knopf drücke, würde er eine Explosion auslösen, die sie alle tötet. Es war natürlich kein echter Sprengstoff, aber er ging davon aus. Mein Ziel war herauszufinden, ob er es wirklich tun würde.

Die Antwort ist: Ja. Er drückte den Knopf und dachte, er hätte wirklich drei Menschen getötet. Voltaire hatte Recht, als er sagte: „Wer dich veranlassen kann, Absurditäten zu glauben, kann dich auch dazu bringen, Gräueltaten zu verüben.“ Und die sozialen Medien erlauben es Autoritären, Absurditäten an Milliarden Menschen weiterzuleiten.

Zur Verteidigung der Tech-Unternehmen sei gesagt, dass sie durchaus Maßnahmen ergriffen, um Hass und Verschwörung auf ihren Plattformen einzudämmen, aber die Schritte waren zumeist nur oberflächlich.

Die Demokratie steht auf dem Spiel

Ich ergreife heute hier das Wort, weil ich glaube, dass unsere pluralistischen Demokratien vor einem Abgrund stehen und dass die nächsten zwölf Monate und die Rolle der sozialen Medien entscheidend sein könnten. Die Briten gehen zur Wahlurne, während im Internet Verschwörungstheoretiker die verabscheuungswürdige Theorie verbreiten, dass weiße Christen gezielt durch muslimische Immigranten ersetzt werden. Unterdessen wählen die US-Amerikaner nächstes Jahr einen neuen Präsidenten, während Trolle und Bots die widerliche Lüge von einer „hispanischen Invasion“ am Leben erhalten. Und nach der jahrelangen Verbreitung von YouTube-Videos, die den Klimawandel eine Lüge nennen, sind die USA dabei, sich in einem Jahr offiziell aus dem Pariser Klimaabkommen zurückzuziehen.

Das Internet als Kanal für Fanatismus und niederträchtige Verschwörungstheorien, die Demokratie und unseren Planeten bedroht, ist wohl kaum, was die Erfinder des Internets im Sinn hatten.

Es ist an der Zeit, die sozialen Medien und die Art und Weise, wie sie Hass, Komplotte und Lügen verbreiten, zu überdenken. Aber erst vergangenen Monat warnte Facebook-Chef Mark Zuckerberg wenig überraschend in einer Rede davor, Gesetzen und Regulierungen für Tech-Unternehmen einzuführen. Einige seiner Argumente sind einfach absurd. Lassen Sie mich sie Punkt für Punkt durchgehen.

Zunächst versuchte Zuckerberg, das Ganze als ein Problem darzustellen, das „die Redefreiheit betrifft“. Das ist lächerlich. Es geht nicht darum, irgendjemandes Redefreiheit einzuschränken. Hier geht es darum, Leuten – darunter einigen der verwerflichsten Zeitgenossen weltweit – die größte Plattform in der Geschichte zu geben, über die sie ein Drittel des Planeten erreichen. Meinungsfreiheit ist nicht gleich dem Recht auf Reichweite. Leider wird es immer Rassisten, Frauenhasser, Antisemiten und Missbrauch an Kindern geben. Aber ich denke, wir können uns alle darauf einigen, dass wir Fanatikern und Pädophilen keine unbeschränkte Plattform geben sollten, um ihre Ansichten zu verbreiten und ihre Opfer ins Visier zu nehmen.

Zweitens behauptete Zuckerberg, dass neue Beschränkungen für das, was auf den sozialen Medien veröffentlicht werden darf, „die freie Meinungsäußerung einschränken“. Das ist völliger Unsinn. Der erste Zusatzartikel der Verfassung der USA schreibt vor, dass „der Kongress kein Gesetz beschließen darf“, das die Redefreiheit beschneidet. Allerdings gilt das nicht für private Unternehmen wie Facebook. Wir fordern von diesen Unternehmen ja nicht, die Grenzen der Redefreiheit in der ganzen Gesellschaft zu bestimmen. Wir wollen nur, dass sie dafür verantwortlich sind, was auf ihren Plattformen veröffentlicht wird.

Angenommen, ein Neonazi betritt im Stechschritt ein Restaurant, bedroht andere Gäste und verkündet, Juden töten zu wollen. Würden wir dann von dem Restaurantbesitzer erwarten, dass er ihm ein elegantes Acht-Gänge-Menü serviert? Natürlich nicht! Der Restaurantchef hat das gesetzliche Recht und die moralische Verpflichtung, den Nazi rauszuschmeißen. Dasselbe gilt für diese Internetfirmen.

Das ist ideologischer Imperalismus

„Zuckerberg redet Unsinn“

Foto: Saul Loeb/AFP/Getty Images

Punkt drei: Zuckerberg schien, die Regulierung von Tech-Unternehmen mit dem Vorgehen „der repressivsten Gesellschaften“ gleichsetzen zu wollen. Und das von einem der sechs Menschen, die entscheiden, welche Informationen so viele Menschen auf der Welt zu sehen bekommen. Neben Facebook-Chef Zuckerberg sind das Google-CEO Sundar Pichai, Alphabet Larry Page und Sergey Brin beim Google-Mutterkonzern sowie Brins frühere Schwägerin Susan Wojcicki bei YouTube und Twitter-Erfinder Jack Dorsey.

Die Silicon Six sind ausschließlich Milliardäre und alle sind US-Amerikaner oder Amerikanerinnen. Es ist ihnen wichtiger, ihre Aktienpreise in die Höhe zu treiben als die Demokratie zu schützen. Das ist ideologischer Imperalismus – sechs nicht gewählte Individuen in Silicon Valley drücken dem Rest der Welt ihre Vision auf, ohne einer Regierung rechenschaftspflichtig zu sein. Es ist, als stünden sie über dem Gesetz, als lebten wir im Römischen Reich und Mark Zuckerberg wäre Cäsar. Das würde zumindest seinen Haarschnitt erklären.

Da kommt mir eine Idee: Statt die Silicon Six über das Schicksal der Welt entscheiden zu lassen, wie wäre es, wenn die vom Volk gewählten politischen Vertreter aller Demokratien auf der Erde zumindest ein bisschen was zu sagen hätten?

Punkt vier: Zuckerberg sprach davon, eine „Vielfalt der Ansichten“ zu begrüßen, und im vergangenen Jahr hat er uns dafür ein Beispiel gegeben. Er sagte, er fände Beiträge, die den Holocaust leugnen, „zutiefst anstößig“, meine aber nicht, dass Facebook sie aus dem Netz nehmen sollte. Seine Begründung: „Ich glaube, dass es Dinge gibt, die die verschiedene Menschen falsch verstehen“. Auch heute sind noch Holocaust-Leugner auf Facebook. Unterdessen leitet einen Google durch einen einfachen Klick auf die widerwärtigsten Holocaust-Verleugnungsseiten. Unfassbarer Weise sagte mir einer der Google-Chefs einmal, diese Webauftritte zeigten nur „beide Seiten“ des Themas. Das ist doch Wahnsinn.

Um den verstorbenen amerikanischen Journalisten Edward R Murrow zu zitieren: „Nicht bei jedem Thema gibt es zwei gleichwertige und logische Seiten der Argumentation“. Es liegen Millionen Beweisstücke für den Holocaust vor – er ist eine historische Tatsache. Ihn zu verleugnen, ist keine zufällige Meinung. Wer den Holocaust verleugnet, zielt darauf hin, einen neuen zu ermutigen.

Wie soll man wissen, dass eine Lüge eine Lüge ist?

Und dennoch sagt Zuckerberg, dass „die Menschen entscheiden sollten, was glaubhaft ist, nicht Tech-Unternehmen.“ Aber wir leben in einer Zeit, in der zwei Drittel der Millennials angeben, dass sie noch nie von Ausschwitz gehört haben. Wie sollen sie wissen, was „glaubhaft“ ist? Wie sollen sie wissen, dass die Lüge eine Lüge ist?

Es gibt so etwas wie eine objektive Wahrheit. Fakten existieren. Und wenn diese Internet-Firmen wirklich etwas verändern wollen, dann sollten sie genügend Mitarbeiter anstellen, die die Inhalte tatsächlich überprüfen, eng mit Gruppen wie der ADL zusammenarbeiten, auf Fakten bestehen sowie Lügen und Verschwörungsthesen von der Plattform entfernen.

Punkt fünf: Zuckerberg wies auf die Schwierigkeiten hin, die die Sperrung von Content mit sich bringt. „Wo zieht man die Grenze?“, fragte er. Ja, diese Grenze zu ziehen, kann schwer sein. Aber eigentlich sagt er: ,Mehr dieser Lügen und Verschwörungen aus dem Netz zu verbannen, ist einfach zu teuer‘.

Dabei sprechen wir von den reichsten Unternehmen der Welt, mit den besten Ingenieuren der Welt. Sie könnten diese Probleme lösen, wenn sie wollten. Twitter könnte einen Algorithmus anwenden, der mehr „White Supremacy“-Hassreden entfernt. Aber laut Berichten hat das Unternehmen davon Abstand genommen, weil es dadurch einige sehr prominente Politiker von seiner Plattform verbannen müsste. Vielleicht wäre das gar keine so schlechte Sache! Die Wahrheit ist, dass die Tech-Unternehmen sich nicht grundsätzlich ändern werden, weil ihr gesamtes Geschäftsmodell darauf aufbaut, Nutzer zu engagen. Und nichts generiert eben mehr Engagement als Lügen, Angst und Empörung.

Es ist Zeit für Standards

Es ist an der Zeit, diese Unternehmen endlich als das zu bezeichnen, was sie wirklich sind – die größten Verbreiter von Inhalten aller Zeiten. Daher mein Vorschlag an Facebook und Co: Wenden Sie die gleichen grundlegenden Standards und Praktiken an, an die sich Zeitungen, Zeitschriften und TV-Nachrichtensendungen jeden Tag halten. Auch bei Film und Fernsehen gelten solche Standards und Praktiken: Es gibt Dinge, die wir nicht sagen dürfen. In England beispielsweise durfte Ali G nicht fluchen, wenn die Sendung vor 21 Uhr ausgestrahlt werden sollte.

Hier in den USA reguliert und bewertet die Motion Picture Association of America, was wir sehen. Es gab Fälle, in denen ich Szenen aus meinen Filmen schneiden oder kürzen musste, um Standards einzuhalten. Wenn es solche Regeln dafür gibt, was Kinos und Fernsehkanäle zeigen dürfen, dann sollten Unternehmen, die Inhalte an Milliarden Menschen veröffentlichen, sich ebenfalls an grundlegende Standards und Vorgaben halten müssen.

Nehmen wir die Frage der politischen Werbung. Glücklicherweise hat Twitter sie am Ende verboten und Google arbeitet ebenfalls an Veränderungen. Aber wenn man dafür bezahlt, veröffentlicht Facebook jede „politische“ Werbung, die man will, selbst wenn eine Lüge darin steht. Zudem wird das Unternehmen den Inserenten auch noch dabei unterstützen, diese Lügen per Mikro-Targeting gezielt an Nutzer zu schicken, um die Wirkung zu optimieren. Wenn es Facebook in den 1930ern schon gegeben hätte, hätte es nach dieser verdrehten Logik Hitler erlaubt, 30-Sekunden-Werbespots für seine „Lösung“ des „jüdischen Problems“ zu schalten.

Drosselt das Tempo

Eingebetteter Medieninhalt

Hier ein Vorschlag zur Verbesserung von Standards und Praktiken an Facebook: Fangt an, politische Werbung auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, bevor sie veröffentlicht wird, und die Verbreitung von Lügen per Mikro-Targeting sofort zu stoppen. Wenn Werbung Lügen enthält: einfach Geld zurück und nicht veröffentlichen!

Eine weitere „gute Praxis“ möchte ich empfehlen: Drosselt das Tempo. Nicht jeder Beitrag muss sofort veröffentlicht werden. Oscar Wilde sagte einmal, „wir leben in einem Zeitalter, in dem unnötige Dinge das einzige sind, was wir für lebensnotwendig halten“. Aber ist es wirklich notwendig, jeden Gedanken oder jedes Video sofort online zu stellen, selbst wenn sie rassistisch oder kriminell oder mörderisch sind? Natürlich nicht!

Der Schütze, der in Neuseeland zahlreiche Muslime niedermetzelte, übertrug seine Gräueltaten per Live-Stream auf Facebook, wo es dann über das ganze Internet verbreitet und vermutlich millionenfach angeschaut wurde. Es war ein Snuff-Film, also einer, der echte Morde zeigt – der Öffentlichkeit präsentiert von den sozialen Medien. Wieso kann es nicht mehr Aufschub geben, so dass derartiger traumatisierender Schmutz abgefangen und gestoppt werden kann, noch bevor er veröffentlicht wird?

Wo bleiben die Konsequenzen?

Zum Abschluss sprach sich Zuckerberg dafür aus, dass die Social Media-Unternehmen „ihrer Verantwortung gerecht werden“ sollten. Aber er sagte nichts zu den Konsequenzen, wenn sie es nicht tun. Mittlerweil ist ziemlich klar, dass man nicht darauf bauen sollte, dass sie sich selbst regulieren. Wie damals angesichts der Industriellen Revolution ist es heute Zeit für Regulierung und Gesetzgebung, die die Gier dieser skrupellosen Hi-Tech-Kapitalisten Einhalt gebietet.

In jeder anderen Branche kann ein Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sein Produkt Mängel aufweist. Wenn Motoren explodieren oder Sicherheitsgurte nicht funktionieren, müssen Autofirmen zehntausende Autos zurückrufen. Das kostet unter Umständen Milliarden von Dollar. Es erscheint daher nur fair, Facebook, YouTube und Twitter aufzufordern: Euer Produkt ist mangelhaft, ihr seid verpflichtet, es in Ordnung zu bringen, egal, was es kostet, und egal, wie viele Mitarbeiter ihr für die Überprüfung der Inhalte einstellen müsst.

In jeder anderen Branche kann man für den Schaden, den man anrichtet, verklagt werden. Verleger können wegen Verleumdung, Individuen wegen übler Nachrede verklagt werden. Mir ist das schon oft passiert! Gerade werde ich von jemandem verklagt, dessen Namen ich lieber nicht nenne, weil er mich erneut verklagen könnte! Dagegen sind die Social Media-Unternehmen weitgehend von der Verantwortung für Inhalte, die ihre Nutzer veröffentlichen, befreit – egal wie unanständig die Inhalte sind. Diesen Schutz gewährt Absatz 230 des – ziehen Sie sich warm an – Communications Decency Act, dessen Hauptziel die Bekämpfung von Pornographie im Internet war. Absurd!

Freiheiten sind kein Selbstzweck

Zum Glück können Internet-Firmen mittlerweile für Pädophile verantwortlich gemacht werden, die ihre Seiten nutzen, um Kinder anzusprechen. Ich sage, wir sollten Tech-Firmen auch dafür verantwortlich machen, wenn Leute ihre Seiten nutzen, um den Massenmord von Kindern wegen ihrer Rasse oder Religion zu befürworten. Und vielleicht reichen Geldstrafen nicht. Vielleicht ist es Zeit, Mark Zuckerberg und den CEO der anderen Unternehmen zu sagen: Ihr habt bereits zugelassen, dass eine Supermacht sich in unsere Wahlen eingemischt hat, ihr habt bereits einen Genozid in Myanmar unterstützt. Macht das nochmal und ihr geht ins Gefängnis!

Letztlich läuft alles auf die Frage hinaus, was für eine Welt wir haben wollen. In seiner Rede bezeichnete es Zuckerberg als eines seiner Hauptziele, „eine möglichst weite Definition der freien Meinungsäußerung zu erhalten“. Doch unsere Freiheiten sind kein Selbstzweck, sondern auch Mittel für größere Ziele: In den USA bezeichnet man sie als Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück. Doch heute sind diese Rechte durch Hass, Verschwörung und Lügen bedroht.

Erlauben Sie mir, dass ich mit einem Vorschlag schließe, die Zielsetzung unserer Gesellschaft neu zu definieren. Es darf nicht sein, dass Menschen wegen dem, was sie sind, woher sie kommen, wen sie lieben oder wie sie beten, verfolgt, belästigt oder ermordet werden. Das zu verhindern, muss das ultimative Ziel der Gesellschaft sein.

Wenn wir die Wahrheit der Lüge vorziehen, die Toleranz dem Vorurteil, Empathie der Gleichgültigkeit und Experten den Ignoranten – dann können wir vielleicht – nur vielleicht – die größte Propaganda-Maschine der Geschichte stoppen, die Demokratie retten und einen Raum für Redefreiheit und freie Meinungsäußerung erhalten. Und vor allem: Dann werden meine Witze weiter funktionieren.

Ich danke Ihnen allen sehr.

Sacha Baron Cohen ist ein britischer Komiker und Schauspieler, der besonders für die durch ihn verkörperten Figuren Ali G, Borat, Brüno und Admiral General Aladeen bekannt ist

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Carola Torti, Holger Hutt
Geschrieben von

Sacha Baron Cohen | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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