Während die europäische Linke in weiten Teilen an dem Versuch verzweifelt, aus der nun schon drei Jahre währenden Finanzkrise einen Wahlerfolg zu schlagen, stellt Dänemark eine Ausnahme dar. Vor zwei Wochen wurde Helle Thorning-Schmidt zur ersten Frau an der Regierungsspitze, nachdem ihre von den Sozialdemokraten geführte Koalition bei den Parlamentswahlen die liberal-konservative Regierung übertrumpft hatte. Unter vielen jungen Dänen allerdings sorgen der außergewöhnliche Einfluss und die große Popularität einer siebzehn Jahre jüngeren Frau für weitaus mehr Aufsehen. Johanne Schmidt-Nielsen gilt als "neue Königin der Rot-Grünen Allianz" – der Partei, in deren Vorstand sie sitzt. Die 27-Jährige ist jung, hübsch, radikal und erhielt bei den Wahlen – bei denen die Wähler zum Ausdruck bringen können, welche einzelnen Politiker sie bevorzugen - deutlich mehr Direktstimmen als die neue Premierministerin.
"Wirklich überrascht" über diese vielen Stimmen sei sie gewesen, sagte Schmidt-Nielsen dem britischen Observer in einem ihrer ersten Interviews mit ausländischen Journalisten. Nach den Gründen frage man "vielleicht aber am besten die Wähler." Eine Aufgabe in einem Ministerium scheint ihr inzwischen gewiss, dabei war Schmidt-Nielsen noch 2007 eher für spektakuläre Aktionen bekannt als für Parteipolitik. Um gegen Kürzungen bei der Ausbildungsförderung zu protestieren, kippte sie 200 Kilogramm Nudeln und 40 Liter Tomatensauce ins Finanzministerium. Aus den Fenstern des Sozialministeriums hängte sie rote Strapse, um ein Zeichen für die Gleichstellung der Frauen zu setzen. In einem Park pflanzte sie Büsche um für die Rechte Homosexueller zu demonstrieren. In ihrem Büro in der obersten Etage des dänischen Parlamentes, wird deutlich, dass sie – die gerade inmitten schwieriger Verhandlungen über die Regierungsbildung steckt – seit ihren frühen Tagen als Aktivistin einen langen Weg zurückgelegt hat. Der einzig sichtbare Hinweis auf ihre radikale Vergangenheit ist ein diskreter Metallstecker im Inneren eines ihrer Ohren.
Das Augenmerk auf ihre Person sieht sie selbst allerdings als Versuch, den Erfolg ihrer Partei wegzureden: "Die Kommentatoren stehen unter Schock. Sie denken: 'Oh, die sozialistische Partei hat so stark zugelegt' und sagen dann, die Leute seien nicht wirklich mit der Politik einverstanden, sondern haben einfach nur Johanne gewählt, weil sie jung ist und gut aussieht." Genau so stellt es Michael Uleveman, der Pressesprecher des Ex-Premiers Anders Fogh Rasmussen dar. Er glaubt nicht, dass Schmidt-Nielsens Popularität sich lange halten wird: "Ich denke, die Bevölkerung wird aufwachen, nicht viele Leute sind wie sie. Es wird nun eine Menge Parlamentsmitglieder mit linksextremenn Positionen geben." Schmidt-Nieseln hat dafür nur Spott übrig: "Die Rechten haben versucht, diese Angstkampagne gegen uns zu fahren und sagen, ich sei in Wirklichkeit eine gefährliche Kommunistin, die das Land zu einen Nordkorea oder Albanien machen wird. Aber wirklich geklappt hat das nicht. Die Leute können mich nicht so einfach für die Sowjetunion verantwortlich machen. Ich bin 1984 geboren."
Schmidt-Nielsen ist gut darin, ihre Jugend für sich einzusetzen, um Kritik abzuwehren oder diejenigen, die sie kritisieren, abgehoben dastehen zu lassen. Als sie mit 23 für ihre Partei an den TV-Wahldebatten teilnahm, bat Konservativen-Chef Berndt Berndtsen sie darum, ihm einen Kaffee zu bringen. Er hatte sie für eine Produktionsassistentin des Senders gehalten. In den Presseberichten nach der Diskussion stellte das alles andere in den Schatten. "So was würden die jetzt nicht mehr machen", lacht Schmidt-Nielsen. "Aus Angst, als sexistische alte Männer auf den Titelseiten zu landen. Ich weiß, ich bin jung. Aber das Parlament sollte die Gesellschaft spiegeln und in der befinden sich auch junge Menschen. Wir sind nicht allesamt 55-jährige Männer in Anzügen, die ein eigenes Unternehmen haben." Dabei ist Schmidt-Nielsen eigentlich schon fast eine Veteranin. Seit fünfzehn Jahren ist sie inzwischen schon in der Politik. "Ich war zwölf, als ich anfing", erzählt sie. "Auf meiner Schule waren viele Kinder, deren Eltern nicht wirklich in der Lage waren, ihnen zu helfen und ich fragte mich, warum die Schule ihnen nicht half." Schließlich wurde sie Vizepräsidentin des Verbandes der dänischen Sekundarschüler, wo sie als Sozialdemokratin antrat. "Mit 15 fand ich deren Position aber zu rechts für mich". Also schloss sie sich der Anti-Globalisierungsbewegung an und protestierte in Prag, Göteborg, Brüssel und Rostock.
Wenn es darum geht, wie weit links sie steht, lässt sie keine Missverständnisse aufkommen: "Ich bin anti-kapitalistisch und sozialistisch, ist das so radikal? Es ist einfach so offensichtlich, dass unsere Art zu produzieren nicht klimaverträglich ist. Mit der Besessenheit von blindem Wachstum kann es nicht weitergehen. Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der reichen Länder ist, noch stärkeres Wachstum zu generieren. Sie besteht vielmehr in der Umverteilung des bereits existierenden Wohlstandes." Diese Wahl, so meint sie, biete die Gelegenheit, Dänemark nach zehn Jahren unter einer rechten Regierung wieder zurück zu gewinnen. Ganz oben auf ihrer Agenda steht die Aufhebung der drakonischen Einwanderungsgesetze, die die rechtsextreme Dänische Volkspartei während ihrer Zusammenarbeit mit der liberal-konservativen Regierungskoalition durchgesetzt hat. Außerdem ist sie entschlossen, Schritte zur Einschränkung der Arbeitslosenhilfe und zur Anhebung des Rentenalters zu blockieren.
Sie hat aber auch radikalere Ziele: Sie will die Energiebranche verstaatlichen, eine Bank in Staatsbesitz schaffen, den Finanzsektor mit einer Tobin-Steuer belegen und aus der EU austreten. "Seit zehn Jahren herrscht die Ansicht, dass plötzlich wie von Zauberhand jede Menge neue Arbeitsplätze in Dänemark entstehen werden, wenn wir nur weiter auf die Arbeitslosen einpeitschen. Aber das passiert natürlich nicht, weil das Problem nicht darin besteht, dass die Leute nicht arbeiten wollen, sondern darin, dass es keine Stellen für sie gibt." Anders als die Marxisten in ihrer Partei, mag sie aber keine vollmundigen Lösungen für sämtliche Probleme Dänemarks offerieren: "Wir wissen, dass wie nicht alles kriegen können, was wir wollen", räumt sie ein. Ihre Rolle sieht sie darin, die Forderungen der Bewegungslinken ins Parlament zu tragen. Ihre Agitprop-Tage sind indes wohl vorbei. "Ich werde wohl keine 200 Kilo Nudeln mehr ausschütten," meint sie selbst. "Wenn Sie bloß wüssten, wie lange es dauert, 200 Kilo Pasta zu kochen. Das ist harte Arbeit."
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