Da sind der Kamm, die Zigarettenspitze und die Haustürschlüssel, die er bei sich hatte, als er geschnappt wurde. Die Nadel, mit der er während seiner Verschleppung von Argentinien nach Israel ruhiggestellt wurde und die Box, in der er während der Verhandlung saß: Der israelische Geheimdienst Mossad hat zum ersten Mal den Schleier der Geheimhaltung gelüftet, der über Dokumenten, Geräten, Artefakten und persönlichen Zeugnisse der Auffindung, Entführung und des Verfahrens gegen den Nazi-Kriegsverbrecher Adolf Eichmann hing, der vor beinahe 50 Jahren in Israel gehängt wurde.
Operation Finale, eine Ausstellung im Museum des jüdischen Volkes Beit Hafutsot in Tel Aviv, wurde von dem Mossad-Offizier Avner A. kuratiert, dessen voller Name nicht genannt werden kann. Neunzig Prozent des ausgestellten Materials stammt aus Archiven des israelischen Geheimdienstes, der zum ersten Mal in seiner Geschichte die eigenenTresore geöffnet hat. Die Ausstellung umfasst Spionage-Ausrüstung wie eine in einer Aktentasche verborgene Kamera sowie Material zur Fälschung von Dokumenten und Nummernschildern; das vergilbte Original der handschriftlich verfassten Mossad-Akte über Eichmann, aus der hervorgeht, dass die Zielperson an ihren Ohren identifiziert worden war.
Eichmann war für die Umsetzung von Hitlers „Endlösung der Judenfrage“ verantwortlich, im Zuge derer sechs Millionen Menschen ermordet wurden. Nach dem Krieg wurde er von den Alliierten gefangenengenommen, konnte jedoch entkommen und floh nach Argentinien. Dort schöpfte ein Holocaust-Überlebender, dessen Tochter mit Eichmanns Sohn ausging, Verdacht. Er hegte Zweifel an der Identität des Vaters und alarmierte den israelischen Geheimdienst.
Eine komplizierte Operation wurde vorbereitet und im Mai 1960 ausgeführt. An ihr waren ungefähr ein Dutzend Agenten beteiligt, von denen die meisten heute verstorben sind. Eichmann, der unter dem Namen Ricardo Klement in Buenos Aires lebte, wurde heimlich fotografiert und die Aufnahmen mit denen aus seiner SS-Akte verglichen. Aus der Form seiner Ohren schloss man darauf, dass es sich bei Eichmann und Klement um dieselbe Person handelte.
Bekannte Narben
Auf dem Nachhauseweg wurde er von einer Gruppe von Agenten abgefangen und in einen Wagen verfrachtet. Einer dieser Männer war Rafi Eitan, der bei der Ausstellungseröffnung Anfang Februar anwesend war. Ein Video dokumentiert seine Zeugenaussage. „Eichmanns Kopf lag auf meinem Schoß“, erzählt er. Der Agent untersuchte den Körper des Gefangenen auf bekannte Narben hin und fühlte ein Hochgefühl in sich aufsteigen, als er sie fand.
Eichmann wurde in ein sicheres Versteck gebracht. Als er nach seinem Namen gefragt wurde, gaber zunächst ein deutsches Pseudonym an, dann seine argentinische Identität. Als er das dritte Mal gefragt wurde, antwortete er: „Das ist wirklich mein Name.“ Dann habe er nach einem Glas Wein verlangt, erinnert sich Eitan.
Der sorgfältig ausgearbeite Plan, ihn außer Landes zu bringen, ohne dass die argentinischen Behörden davon Wind bekämen, wurde in die Tat umgesetzt. Eine Maschine der El Al brachte eine offizielle Delegation nach Argentinien, in deren Schutz das wichtige Zielobjekt nach Israel gebracht werden sollte. Die Israelis gaben den in eine El-Al-Uniform gekleideten und unter starke Beruhigungsmittel gesetzten Eichmann als kranken Mitarbeiter der Airline aus und flogen ihn in einem Sitz der ersten Klasse außer Landes.
Primitive Spionage-Methoden
Die heute Mitte Achtzigjährige Luba Volk spielte unwissentlich eine wichtige Rolle bei der Entführung. Die ehemalige El-Al-Mitarbeiterin, die nach Buenos Aires gezogen war, wurde damals kontaktiert und darum gebeten, die Dokumentation des Fluges zu übernehmen. Sie hatte keine Ahnung, welchem Zweck der Flug in Wirklichkeit diente. Nachdem bekannt geworden war, dass Eichmann entführt und aus Argentinien weggebracht worden war, musste Volk Argentinien verlassen und nach Israel zurückkehren. „Meine Name stand auf allen Unterlagen“, sagte sie, während sie die Ausstellung besuchte. „Ich war sehr stolz, dass ich mitgemacht hatte. Eine Sache aber bereute ich sehr: dass ich nicht wusste, was ich tat, während ich es tat.“
Fünfzig Jahre später zeigt die Ausstellung die Spionage-Methoden, welche aus heutiger Sicht primitiv anmuten. Es gab noch keine Computer, auf denen man Informationen speichern und vernetzen konnte oder Dokumente hätte fälschen können. Es gab zwischen den einzelnen sich im Einsatz befindlichen Agenten keine Kommunikationsmöglichkeiten und auf dem Flughafen von Buenos Aires fand noch so gut wie keine Überwachung statt; So konnten die Agenten ihr sperriges Equipment ungehindert in zerbeulten Koffern einführen und Eichmann ebenso unbehelligt außer Landes bringen.
Es war Israels erster Premierminister David Ben-Gurion, der Eichmanns Verhaftung dem israelischen Parlament und gleichzeitig einer erstaunten Weltöffentlichkeit verkündete. Die Anklage gegen Eichmann in 15 Punkten umfasste Verbrechen gegen das jüdische Volk, Verbrechen gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen und Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation. Nach einer achtmonatigen Verhandlung, während derer 99 Holocaust-Überlebende aussagten, wurde Eichmann zum Tode verurteilt und am 31. Mai 1962 gehängt. Es war das einzige Mal in der Geschichte Israels, dass die Todesstrafe vollzogen wurde. Sein Leichnam wurde verbrannt und außerhalb der israelischen Hoheitsgewässer auf dem Meer verstreut.
Ein einschneidendes Erlebnis
Museumsdirektor Avinoam Armoni zufolge war diese Episode für die Bildung der israelischen Identität von großer Bedeutung. „Bis zum Eichmann-Prozess redete in Israel niemand wirklich von den Schrecken des Holocaust. Viele der Überlebenden schwiegen, sogar gegenüber ihren Kindern.“ Für Menschen, die wie er unmittelbar nach dem Krieg geboren wurden, war der Prozess ein einschneidendes Ereignis, welches das ganze Leben veränderte. „Es war wie ein Dammbruch. Ich erinnere mich, dass ich wie festgeklebt vorm Radio saß. Während ich aufwuchs, hatte ich immer gesagt, ich sei kein Jude, ich sei ein Israeli – und plötzlich waren wir mit dieser Geschichte konfrontiert.“. Er hoffe, die Ausstellung könne helfen, die Geschichte im kollektiven Gedächtnis des israelischen Volkes zu bewahren.
Der Auschwitz-Überlebende Micky Goldman, der im jungen israelischen Staat Polizist geworden war, trat der Einheit bei, welche die Beweise gegen Eichmann sammelte. Er trat beim Prozess als Zeuge auf und war bei Eichmanns Exekution anwesend. „Ich hegte keinen Groll gegen ihn“, sagt er in einer Videoaufzeichnung für die Ausstellung. „Ich wusste damals so gut wie heute, dass kein Mensch rächen kann, was die Deutschen uns angetan hatten. Ich sah in ihm ein Werkzeug, durch das ich die Wahrheit über den Holocaust lernen konnte. Davon abgesehen bedeutete er mir nichts. Er, der mich nach Auschwitz geschickt hatte.“
Die Ausstellung habe seit ihrer Eröffnung zu Beginn des Monats eine außerordentliche Resonanz erfahren, so Museumsdirektor Armoni. Wenn sie im April die Türen schließt, hoffen die Organisatoren, sie auch im Ausland zeigen zu können.
Der Kurator Avner A. arbeitet seit 25 Jahren beim Mossad und sagt, die Geschichte sei noch immer unvollständig: „Jeden Tag finde ich etwas Neues, oft erfahre ich es aus den kleinen Geschichten, die mir Ausstellungsbesucher erzählen. Meine Rolle besteht darin, all diese kleinen Teile zu finden und sie zusammenzusetzen. Wir haben immer noch nicht die ganze Geschichte. Aber dies hier kommt ihr so nahe wie möglich.“
Harriet Sherwood ist Nahost-Kolumnistin des Guardian
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.