Nährstoffe Seit Jahren behauptet die Presse, Fischöl steigere die Leistung von Schulkindern. Ben Goldacre zeigt, dass es für diese Behauptung nicht die geringsten Beweise gibt
„Fischöl fördert die Konzentration von Schulkindern“, lautete die Überschrift eines Artikels, der am Sonntag im Observer erschien. Stammleser werden sich noch an die Debatte um die Omega-3 Fischöl-Kapseln erinnern. Seit Jahren behauptet die gesamte Medienlandschaft, es gebe Beweise, dass die Kapseln die schulischen Leistungen und das Verhalten aller Kinder verbessern können – ungeachtet der Tatsache, dass die Ergebnisse dieser Versuche nie veröffentlicht wurden.
Der Gedanke, dass sich die komplexen Probleme des Bildungssystems mit einer Pille lösen lassen, hat etwas sehr Verlockendes. Hat die Fischölkapsel also wirklich etwas bewirkt? Denis Campbell, der für den Observer regelmäßig über Gesundheits-Themen schreib
twas bewirkt? Denis Campbell, der für den Observer regelmäßig über Gesundheits-Themen schreibt, hat sich hinter den Fall geklemmt - und sieht die Vermutung bestätigt: „Jungen zwischen acht und elf Jahren, die pro Tag ein bis zwei Dosen Docohexaensäure (eine Fettsäure, auch bekannt als DHA) verabreicht bekamen, zeigten deutlich verbesserte Leistungen, wenn Aufgaben besondere Aufmerksamkeit erforderten.“ Wie kommt er darauf? „Die Wissenschaftler verabreichten 33 amerikanischen Schuljungen acht Wochen lang Dosen von 400 oder 1.200 mg DHA oder ein Placebo. Diejenigen, denen die höhere Dosis verabreicht wurde, erzielten bei Denk-Aufgaben, darunter auch Mathe-Aufgaben, weit bessere Ergebnisse.“Großartig! Aber stimmt das so? Nach einigen Schwierigkeiten gelang es mir, das Paper zu finden. Als erstes stellte ich fest, dass es bei dem Versuch nicht darum ging, ob Fischöl die Leistungen von Kindern verbessern kann, sondern ob die Gehirnaktivität zunimmt. 33 Kinder wurden dafür in drei Gruppen aufgeteilt: Die eine bekam kein Omega-3, die zweite eine geringe Dosis, die dritte eine hohe Dosis. Die Kinder führten dann unter einem Computertomographen ein paar Aufmerksamkeits-Tests durch. Dabei sollte überprüft werden, ob Teile ihres Gehirns unterschiedlich stark angeregt wurden.Weshalb ich Omega-3 schreibe? Weil es bei der Studie nicht um Fischöl ging, wie der Observer behauptet, sondern um Omega-3-Fettsäuren, und zwar aus Algen. So steht es im Kleingedruckten. Und wäre dies ein Versuch gewesen, um zu überprüfen, ob Omega-3 die Leistungskraft steigert, wäre die Zahl der Probanden ohnehin lachhaft klein gewesen: nicht einmal ein Dutzend Kinder pro Gruppe. Solch kleine Studien sind zwar nicht ganz so nutzlos, wie Amateure oft behaupten - ist die Zahl der Befunde für die Berechnung eines Effekts doch so gering, dass sich schon per Zufall größere Fehler einschleichen. Bei elf Kindern pro Gruppe könnte zwar eine Wirkung zutage treten, jedoch nur, wenn alle elf Kinder, denen das Fischöl verabreicht wurde, eine eindeutige Leistungssteigerung zeigen – und keines der Kinder aus der Placebo-Gruppe.Aus dem Paper geht jedoch hervor, dass die tatsächlichen Leistungen der Kinder sich gar nicht unterschieden. Da es sich um eine Gehirnaktivitäts-Studie handelte und nicht um einen Leistungstest, wurden die Ergebnisse der Aufmerksamkeitsaufgaben nur in einem Schaubild festgehalten. Doch diese Resultate waren eindeutig: „Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen, was den Anteil korrekter Antworten, Aktionsfehler, Trennschärfe und Reaktionszeit betrifft.“So gesehen erscheint alles, was Dennis Campbell schreibt, falsch. Sprechen wir überhaupt über dasselbe Papier? Ich setze mich seit langem dafür ein, dass die Medien auf wissenschaftliche Veröffentlichungen verlinken, wenn sie über sie schreiben. Im Fall der Webseite der BBC immerhin mit bescheidenem Erfolg. In diesem Fall habe ich bei Campbell angefragt, auf welches Dokument er sich bezog, doch er lehnte es ab, mir darauf zu antworten und verwies mich an Stephen Pritchard, der beim Observer für Leseranfragen zuständig ist. Pritchard antwortete wenige Tage später, er wisse nicht, was er damit zu tun haben soll. Immerhin bestätigte Campbell mir dann, via Pritchard, er habe sich in der Tat auf einen Aufsatz aus der April-Ausgabe des American Journal of Clinical Nutrition bezogen.Selbst wenn wir Großmut walten lassen: Ist es in irgendeiner Form informativ, dass auf einem CT unterschiedliche Gehirnregionen aufleuchten, wenn jemand ein paar Ölkapseln geschluckt hat? Intellektuell gesehen vielleicht. Doch Ärzte können ein Lied davon singen, wie es ist, wenn Vertreter der Pharmaindustrie und begeisterte Forscher mit aufregenden theoretischen Annahmen an sie herantreten, warum eine Behandlungsmethode besser sein soll, als eine andere. Pharma-Vertreter und Wissenschaftler kündigen auch gerne an, dass ihre neuartige Methode in einem wahnsinnig komplexen Ausmaß irgendwelche diffusen Einflüsse auf einen Pseudo-Effekt hat: So kann etwa die Konzentration eines Moleküls im Blut auf eine Art steigen oder sinken, die nahelegen könnte, dass ihre Methode effektiv ist.Das ist alles schön und gut. Aber solche Dinge beweisen nicht, dass etwas tatsächlich hier, in der realen Welt, funktioniert. Die Medizin läuft über vor unerfüllten Versprechen, die sich aus solchen theoretischen Forschungsarbeiten im Frühstadium ergeben.Ironischerweise hat übrigens endlich jemand einen richtigen Versuch mit Fischöl-Kapseln an Kindern durchgeführt: eine saubere, randomisierte, doppelblinde, placebo-kontrollierte Studie mit 450 Kindern im Alter von acht bis zwölf Jahren, die in jeder Hinsicht den Durchschnitt ihrer Altersgenossen repräsentieren. Der Aufsatz wurde in diesem Jahr in voller Länge publiziert – und die Wissenschaftler stellten keine Leistungssteigerung fest. Und jetzt zeigen Sie mir bitte die Überschriften, die es dazu in den Zeitungen gab.Unterdessen schätzt die Marktforschungsagentur Euromonitor den weltweiten Umsatz aus Fischöl-Kapseln auf 2 Milliarden Dollar – doppelt so viel, wie noch vor fünf Jahren. Und er soll weiter steigen, auf 2,5 Milliarden Dollar bis 2012. Die Kapseln sind das bestverkaufte Nahrungsergänzungsmittel auf dem amerikanischen Markt. Möglich gemacht hat das auch der Beistand der britischen Medien – und ihre Gier nach Geschichten über die magische Intelligenz-Pille.
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