Der Mann, der von Mahmud Ahmadinedschad beschuldigt wird, er helfe der Opposition und wolle ihn aus dem Amt drängen, ist gerade abgetaucht. Die Rede ist von Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, einer bedeutenden Figur der iranischen Politik. Einer, der sowohl im Lager der moderaten Konservativen als auch der moderaten Reformer über gut platzierte Alliierte verfügt. Sollte es jemanden geben, der eine Wiederholung der umstrittenen Wahlen vom 12. Juni bewirken kann, dann der Ex-Präsident, den Freunde und Feinde „Haifisch“ nennen.
Zum letzten Mal hörte man von ihm, als er am 12. Juni seine Stimme abgab und erklärte, eine hohe Wahlbeteiligung werde das Image des Iran auch international entscheidend verbessern. Der Fernsehkanal al Arabia berichtete später, Rafsandschani habe nach dem vermeintlichen Sieg Ahmadinedschads sein Amt als Vorsitzender sowohl des Experten- als auch des Schlichtungsrates (s. Glossar) niedergelegt – beides Schlüsselgremien des Regimes. Eine Bestätigung gibt es freilich nicht. Es kursieren auch Gerüchte, wonach sich Rafsandschani in der heiligen Stadt Qom aufhalte, wo er über beste Verbindungen zu den gemäßigten Klerikern der Vereinigung der kämpfenden Geistlichkeit verfüge. Angeblich prüfe er dort, ob sich im 78 Mitglieder zählenden Expertenrat genügend Stimmen sammeln lassen, um Revolutionsführer und Ahmadinedschad-Mäzen Ayatollah Ali Chamenei seines Amtes zu entheben. Gemäß der Verfassung hat nur diese Instanz die Macht, Derartiges zu tun.
Offener Angriff auf Chamenei
Der reiche Rafsandschani und seine politische Familie in der reform-orientierten Kargozaran-Partei machten nie ein Hehl aus ihrem finanziellen Beistand für den Wahlkampf des Kandidaten Mussawi. Sie wollten Ahmadinedschad stürzen, für den sie nicht viel mehr als Verachtung übrig haben. Jetzt aber, da Mussawi geschlagen sein könnte, treibt der heftige Nach-Wahl-Kampf Rafsandschani eher in eine Konfrontation mit Ali Chamenei als mit Mahmud Ahmadinedschad, der mehr als Sprachrohr für jenen religiösen Fundamentalismus gilt, wie ihn der Oberste Führer vertritt.
Rafsandschani hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass nach seinem Eindruck die Außen- und Wirtschaftspolitik des bisherigen Präsidenten der Islamischen Republik ernsthaft geschadet hat. Seine Frustration dürfte kaum zu zügeln gewesen sein, als ihn Ahmadinedschad kurz vor der Wahl öffentlich der Korruption beschuldigen durfte. Rafsandschani beschwerte sich umgehend in einem Offenen Brief bei Ali Chamenei und warf ihm vor, versagt zu haben, als es galt, die Würde des Landes zu wahren. Ein beispielloser Affront, um die Autorität des Prälaten der Revolution zu demontieren. Rafsandschani unterstellte Chamenei, er handle fahrlässig, sei parteiisch und möglicherweise sogar an einem Plan zur Fälschung der Wahl beteiligt. „Ich erwarte von Ihnen, dass sie diese Position räumen, damit das Feuer gelöscht werden kann, dessen Rauch man bis in die Atmosphäre sieht. Ich erwarte, dass gehandelt wird, um gefährliche Verschwörungen zu vereiteln“, schreibt Rafsandschani und fährt fort. „Wenn das System derart mit Sünde behafteten Dingen wie Beleidigungen, Lügen und falschen Anschuldigungen nicht entgegentreten kann oder will, wie können wir uns dann noch als Anhänger des heiligen Islamischen Systems betrachten?“
Pistazien und Nüsse
Bei vielen Iranern ist Haschemi Rafsandschani nach wie vor unbeliebt. Viele glauben den erhobenen Korruptionsvorwürfen und machen den Ex-Präsidenten für eine mörderische Geheimaktion verantwortlich, mit der während seiner Präsidentschaft (1989-1997) Dissidenten im In- und Ausland ausgeschaltet wurden.
Andererseits genießt Rafsandschani als Mitbegründer der Islamischen Republik großen Respekt, schließlich war er ein enger Vertrauter von Revolutionsführer Chomeini. Insofern stand von Anfang an fest, dass es an mächtigen Freunden nicht fehlen würde, sollte Rafsandschani versuchen, Chamenei weiter in Bedrängnis zu bringen. Neben seinen Anhängern unter dem Klerus haben auch prominente Konservative aus dem Establishment wie Ali Akbar Velayati und Ali Akbar Nateq-Nuri Ahmadinedschad kritisiert. Gleiches gilt für Ali Laridschani, den einflussreichen Parlamentssprecher und früheren Chef des Nationalen Sicherheitsrates. Andere potentielle Verbündete sind Teherans Bürgermeister Mohammad Bagher und der frühere Präsident Mohammad Chatami. Hinzu kommen neben Mussawi die beiden anderen unterlegenen Kandidaten des Votums vom 12. Juni, der Geistliche Mehdi Karubi und der einstige Milizen-Kommandeur Mohsen Rezaei.
Werden diese Kräfte mobilisiert, ergäbe das eine elitäre Koalition, die aus dem Inneren der iranischen Hierarchie heraus agiert und ihre Operationen nicht als Kampf auf der Straße betreibt. Es würde sich kaum um eine demokratische Bewegung handeln – es wäre aber nichts weniger als der Versuch, Ayatollah Chamenei den Dolch an die Brust zu halten. Nicht umsonst ist der Machiavelli des Iran, der Pragmatiker und skrupellose Überlebenskünstler Rafsandschani, der mit Pistazien und Nüssen Millionen verdient hat, noch unter einem anderen Decknamen bekannt: der „Königsmacher“. Die Islamische Republik wartet auf seinen nächsten Schachzug.
Machtstrukturen der Islamischen Republik Iran
Revolutionsführer
Das Mandat des geistlichen und weltlichen Oberhauptes im Iran fußt auf dem in der Verfassung verankerten Prinzip der Herrschaft eines obersten Rechtsgelehrten. Der übt seine beinahe unumschränkte Macht als Stellvertreter des entrückten 12. Imams oder auch Mahdi (Erlöser) aus. Der Revolutionsführer ist Chef des Nationalen Sicherheitsrates, Generalstabschef der Streitkräfte und Oberkommandierender der Revolutionsgarden. Er entscheidet über Krieg und Frieden. Ihm obliegen Begnadigungen in letzter Instanz. Die bisherigen Revolutionsführer waren Ayatollah Chomeini (1979-1989) und Ayatollah Chamenei (seit 1989).
Expertenversammlung
Diese Gremium aus 78 hohen Geistlichen bestimmt den Revolutionsführer und zwar auf Lebenszeit. Es obliegt allein der Expertenversammlung, den Revolutionsführer wegen Amtsunfähigkeit abzuberufen. Die Mitglieder der Expertenversammlung werden im Abstand von acht Jahren vom Volk direkt gewählt.
Wächterrat
Diese Instanz besteht aus zwölf Mitgliedern und kontrolliert die Übereinstimmung der Gesetze mit den Normen des Islam, interpretiert in Streitfällen die Verfassung und wacht über den ordnungsgemäßen Verlauf von Wahlen. Der Wächterrat entscheidet über Zulassung wie Ablehnung von Kandidaten, die sich für Parlament, Präsidentschaft oder Expertenversammlung zur Wahl stellen. Nominiert werden die sechs islamischen Rechtsgelehrten des Rates durch den Revolutionsführer, während die Islamische Beratende Versammlung (Parlament) die verbleibenden sechs Juristen dieses Gremiums nominiert.
Schlichtungsrat
Dieses Organ mit Verfassungsrang gibt es seit 1997. Der Auftrag: Bei Konflikten (etwa beim Erlass von Gesetzen) zwischen dem Parlament und dem Wächterrat zu vermitteln. Die 35 Mitglieder des Schlichtungsrates werden vom Revolutionsführer ernannt und setzen sich aus Personen seines Vertrauens, Vertretern des Wächterrates, politischen und militärischen Experten sowie Regierungsmitgliedern zusammen. Durch den Schlichtungsrat kann der Revolutionsführer unmittelbar auf das politische Geschehen Einfluss nehmen, ohne dass hinter jeder Entscheidung die Autorität seines Amtes stehen muss.
Parlament und Präsident
Alle sonstige Macht geht laut Verfassung vom Volk aus. Das wählt alle vier Jahre mit der Beratenden Islamischen Versammlung das Parlament mit 280 Abgeordneten. Ebenfalls alle vier Jahre findet eine Direktwahl des Staatspräsidenten statt. Dieser steht dem Kabinett vor und darf höchstens zwei Wahlperioden im Amt sein. Einen Ministerpräsidenten gibt es seit der Verfassungsreform von 1989 nicht mehr. Staatspräsidenten waren seit 1979: Abul-Hassan Banisadr (1980-1981), Mohammad Ali Radschai (1981), Ayatollah Chamenei (1981-1989), Ali Akbar Haschemi Rafsandschani (1989-1997), Mohammad Chatami (1997-2005) und Mahmud Ahmadinedschad (seit 2005).
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