Die Deutschen geraten völlig außer Kontrolle. Zuerst spielten sie eine Hauptrolle in dem Drama, das zur Finanzkrise führte. Und dann, gerade als die Welt sich mühsam zurück in Richtung einer gewissen Normalität hangelt, beginnen die Deutschen am Ast zu sägen.
Mir geht es bei meinen Vorwürfen nicht darum, den Zweiten Weltkrieg noch einmal zu kämpfen oder zum Fremdenhass aufzustacheln. Ich möchte lediglich die Augen darüber öffnen, wie diese friedliebenden, sozialdemokratischen Deutschen auf egoistische Weise kränkelnde Länder, angefangen bei Griechenland, aus der EU kicken wollen, um ihren Status als vermutlich reichster Wohlfahrtsstaat des Planeten, der seine Bürger von der Wiege bis zur Bahre allumfassend versorgt, zu bewahren.
Schuld ist vor allem Deutschlands gewaltige Mittelschicht der Baby-Boomer, die heute die gleichen Ambitionen hegen wie einst die Aristokratie – einen langen, von Wohlstand geprägten und ausgesprochen faulen Ruhestand.
Alles fressen, was noch übrig ist
Wie ein abtrünniger Elefant auf der Suche nach Futter, so haben die deutschen Investoren die letzte Rinde von allen Bäumen der Savanne geschält. Um einen künstlich hohen Lebensstandard und die versprochenen Renten zu sicher, scheinen sie nun fest entschlossen zu sein, alles zu fressen, was noch übrig ist.
Gehen wir nur einmal fünf Jahre zurück, an den Punkt als der Subprime-Hypotheken-Boom in Amerika zusammenzubrechen begann. Damals bettelten die Deutschen darum Häuser kaufen zu können. Nicht direkt, das wäre zu riskant gewesen. Sie wollten Derivate auf US-Hypotheken, die dann geschätzt, versichert und weiterverkauft werden konnten. Sie hatten bereits hypothekarisch gesicherte Wertpapiere in Milliardenhöhe gekauft und waren auf der Jagd nach mehr. Eine der größten Player auf dem Markt war die Deutsche Bank.
Deutsche Investoren lieben festverzinsliche Wertpapiere, sogenannte Bonds. Sie gelten als sicherer als Wechsel und werfen ständig Rendite ab. Doch 2005 waren ständige Renditen nicht mehr genug. Die Deutschen wollten zweistellige Renditen und Banken wie Goldman Sachs gaben sie ihnen in Form der mittlerweile berüchtigten Collaterised Debt Obligations (CDOs). Je exotischer diese CDOs waren, desto besser.
Der Rest der Welt bürgt
Niedriges Risiko und hohe Rendite – das funktioniert nur mit einem Ponzi-Trick. Doch die deutschen Investoren und ihre Finanzberater entschieden ganz selbstverständlich, dass der Rest der Welt für sie bürgen sollte.
Alan Greenspan, der mit Recht für seine Handhabung der amerikanischen Wirtschaft kritisiert wurde, lag trotz allem richtig, als er vor einigen Wochen darauf hinwies, dass gierige Investoren mindestens ebenso viel Schuld an der Krise tragen, wie gaunerhafte Investmentbanker und betrügerische US-Hypotheken-Anbieter. Er erklärte, ein Rudel von europäischen Investoren auf der Suche nach hochverzinslichen Bonds habe eine gewöhnliche Immobilien-Pleite in eine Katastrophe verwandelt. Die Europäer, auf die er sich bezog, kamen größten Teils aus Deutschland.
Spulen wir also vor ins Jahr 2010 und wieder haben wir es mit reichen Deutschen – dazu zähle ich, ganz nebenbei gesagt, jeden der eine Rente oder einen Anspruch darauf hat – zu tun, die argumentieren, dass faule Griechen, spanische Grundstücksmakler und portugiesische Bauern, die auf Eseln reiten ihrem Hunger nach einem Ruhestand mit endlosen Urlaubsreisen, Heilbädern und brandneuen Autos (zunehmend aus Japan) bloß nicht in die Quere kommen sollen.
Analysen, die darauf hinweisen, dass die Kehrseite der deutschen Außenhandelsüberschüsse und Ersparnisse ein Außenhandelsdefizit ist, unter dem andere EU-Länder – und viele andere Länder weltweit – leiden, die deutsche Autos, Kühlschränke und Züge kaufen, werden beharrlich ignoriert.
Groll gegen den deutschen Überfluss
Auch die deutschen Gewerkschaften sind in der Schusslinie. Sie stecken in einem Streit mit den Arbeitgebern fest, die sich seit beinahe einem Jahrzehnt weigern die Löhne zu erhöhen. Verständlicher Weise wollen sie die Verteilung des Wohlstands in ihrem Land verändern.
Doch die Gewerkschaften müssen – ebenso wie die deutschen Industriellen und die wohlhabende Mittelschicht, die über große Rücklagen verfügen – erkennen, dass hohe Rendite für ihre Einlagen, die Lohnerhöhungen ersetzen sollen und für einen hohen Lebensstandard und eine Rente in Luxus garantieren sollen, alles zerstören werden, was die Europäische Union sorgfältig aufgebaut hat.
Einige Experten glauben, dass die deutsche Regierung mit einer verkleinerten EU, die nur aus den reichsten Ländern bestünde, sehr glücklich wäre. Das könnte eine Weile gut gehen, aber letzten Endes würden nur mehr Menschen verarmen und der Groll gegen den deutschen Überfluss würde zunehmen.
Nach Angela Merkels Kommentar, die Regierung in Athen habe sich in die EU gemogelt, käme es dann wohl bald einer Kriegserklärung gleich, wenn ein deutsches Handtuch auf den Strand einer griechischen Insel geworfen würde.
Phillip Inman ist Wirtschaftskorrespondent von The Guardian und The Observer. Das Original seines Textes mit hunderten Kommentaren finden Sie hier.
Kommentare 5
Über diesen Artikel wird noch viel böses Blut gehen. Eigentlich schade, denn über zwei Grundthemen, die angesprochen sind und die in der Tat vertieft gehörten, wurde einfach nur schlecht geschrieben. Schlimmer noch: In einem Stil von Verschwörungstheorie, der die eigentlich angestrebte sachliche Auseinandersetzung schon allein aus Gründen der Animosität obsolet macht.
Thema eins ist die Rolle der deutschen Banken im Zusammenhang mit der Sub-Prime-Krise, Ausgangspunkt für die weltweite Finanzkrise. Wir wissen etwa, dass die hiesige Hypo Real Estate als systemrelevant eingestuft und daher als zur Rettung durch die öffentliche Hand ausgeschrieben wurde. Die Hintergründe, warum dies so war/ist, vor allem die obskure Rolle der Depfa und des vormaligen Vorstandsvorsitzenden Bruckermann (der zeitweilig mehr verdiente als Ackermann) wurden zwar „irgendwie“ vermittelt. Die Einzelheiten sind aber noch immer irgendwo eingepfercht zwischen zivil- und strafprozessualen Aktendeckeln. Nur Insidern ist bekannt, wie das nun funktioniert mit einem eigentlich komplett insolventen Unternehmen, das in öffentlicher Hand, na nun was? Abgewickelt, in Warteschleife gehalten oder reanimiert wird? Was ist mit den Milliarden an faulen Papieren, angesammelt bei der Depfa und die nach diesseitiger Kenntnis mit zur „Masse“ gehören und leise bei zwei Auktionen erneut unters Volk gebracht wurden? Und, last not least, was ist wirklich so systemrelevant, dass das, was für jeden Obsthändler um die Ecke zwingend ist, wenn zu wenig Geld in der Kasse liegt, für ein Kreditinstitut nicht gelten kann, ja, so wurde uns gesagt, nicht gelten darf?
Die zweite Bank, die zwischen den Zeilen von Inman (..sie spielten eine Hauptrolle in dem Drama...) erkennbar ins Visier genommen wurde, ist natürlich die Deutsche. Sie verweigerte Lehman nötige Kredite, obwohl sie sie hätte zur Verfügung stellen können, und brachte das Ding erst damit so richtig ins Rollen. Um kurz danach die eigene Geschäftspolitik als vorausschauend und Milliardenprofite als Beweis dafür zu feiern. Die DB hätte sich Hilfe ohne weiteres leisten können: Nur Dummerjane erkennen nicht, dass es sich bei diesem „Haus“ um eines der Mächtigsten der Welt handelt. Sie wäre aber zumindest verpflichtet gewesen, auf der Grundlage ihrer intimen Kenntnisse im Geschäftsbereich etwa des Derivatehandels und seiner Akteure, frühzeitig auf die Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen und eine Selbsthilfe der Bankenwelt zu organisieren, auch wenn es gegen Leute „eigenen Standes“ gegangen wäre. Stattdessen zog man sich schlagartig zurück, ließ alle hängen, und als der Markt von einigen lästigen Konkurrenten bereinigt war, stieg man wieder ein in das Investmentbanking. Dass da die us-amierkanischen und britischen Cousins stinksauer sind, hat sich auch beim Guardian herumgesprochen, der Freitag wird noch ein wenig brauchen.
Das zweite Thema ist das in diesen unseren Reihen des Freitag eigentlich brisantere: Der deutsche Versorgungsgedanke. Wer heute sein Geld für eine Rente (und ich schreibe nicht von einer Lebensversicherung) anlegt in, sagen wir einmal: 20 Jahren, will am Ende nicht nur eine Inflation von rund 1,5% pro Jahr abgegolten haben, vom realen Kaufkraftverlust jenseits des statistischen Werts ganz zu schweigen, sondern nach Möglichkeit auch mehr Netto vom Brutto (also nach Abzug von Kosten für die reale Arbeit des Investierens, Verwaltens, für Haftpflichtversicherungen der Banken). Mit anderen Worten: Er will auf 20 Jahre, wenn zumindest die eingezahlte Summe garantiert bleiben soll, letztlich einen Ausgleich für rund 30% Wertverlust. Nun fragen wir schlicht, wer sich eine solche Rente tatsächlich leisten kann und wir bekommen die simplizistische englische Antwort des Guardian: Der fette deutsche Mittelstand. Unter solchen Voraussetzungen wird natürlich Wachstum nicht nur ein Credo, sondern eine Notwendigkeit, die Konkurrenz unter den mächtigsten institutionellen Anlegern (und dazu gehören nun einmal zuförderst Verwalter von Rentengeldern) ein Paradigma und, im Falle Deutschlands, der Export, zum notwendigen Vehikel.
Das Dumme ist nur: Der Exporterfolg Deutschlands liegt nicht darin, dass hier angeblich ein niedrigerer Lohnsektor aufgebaut sei, als in anderen Ländern der EU oder der Welt. Das ist und bleibt ein Ammenmärchen. Deutschland hat frühzeitig, und weltweit, rechtzeitig diversifiziert, technisches Know-How akribisch erarbeitet und vor allem Vertriebswege eröffnet, von denen andere Länder nur träumen können. Und damit sei nicht die Branche der Korrupteure gemeint, denn die gibt es überall, erst recht bei den UK- basierten Erdölfirmen. Das Problem liegt vielmehr darin, und da wird die deutsche Politik ganz parallel zu der der Deutschen Bank gesehen, dass die politische Führungselite die Probleme ganz genau gesehen hat, die mit Tempo 180 aus vielen Mitgliedstaaten der EU heranrast. Griechenland IST nur der Anfang, die wesentlich schwächeren, weil an die Gesetze der Marktwirtschaft nicht genügend angepassten bzw. gewöhnten Länder der sog. Osterweiterung werden noch viel früher daher kommen als etwa Italien. Eine frühzeitige Selbstorganisation, diesmal der Staaten, hat Deutschland nicht können/wollen und ziert sich nun, unmittelbar notwenige Hilfe auszureichen.
Wer derart wichtige Themen allerdings unter der Prämisse glaubt, schreiben zu müssen, ihm ginge „es bei [s]einen Vorwürfen nicht darum, den Zweiten Weltkrieg noch einmal zu kämpfen oder zum Fremdenhass aufzustacheln“, um dann doch die „Schuldfrage“ zu stellen, der wird hier nicht nur keinen Blumentopf gewinnen: Er verhindert vielmehr eine notwendige Aufklärungsarbeit. Aber das haben Verschwörungstheoretiker immer so an sich.
@ sachichma: Der Artikel steht im Original hier
www.guardian.co.uk/commentisfree/2010/apr/29/germany-destroying-global-recovery
Er hat bis jetzt dort 310 Kommentare erhalten. Die zu lesen ist mindestens so aufschlußreich wie der Artikel selbst.
Wer "die Griechen" als korrupt darstellt, hat in meinen Augen ohnehin schon verloren. Das ist Kriegssprache.
Man sollte vielmehr in Betracht ziehen, dass nach der Junta das Land durchgängig von zwei Parteien und diese wiederum jeweils von einer Familie beherrscht werden: Papandreou und PA.SO.K, Karamanlis und Nea Dimokratia.
Das Land hat darüberhinaus Probleme durch seine Geographie: Es ist keine kompakte, homogene Landmasse, sondert regelrecht zersplittert, was alleine schon horrende volkswirtschaftliche Kosten hinsichtlich der Infrastruktur verursacht. Trotz EU-Mitgliedschaft ist es geographisch von dessen Kern abgenabelt: Dazwischen liegt ein Gebiet, das lange Zeit politisch, dann durch den Balkankonflikt und schließlich ebenfalls durch Zersplitterung ein Nadelöhr darstellt: Wie sollte da „freier Warenverkehr“ funktionieren?
Auf der anderen Seite liegt ein Land, mit dem Griechenland nicht nur politisch in Spannung lebt, die Türkei. Das in vielerlei Hinsicht einen Aufschwung erlebt hat in den letzten Jahren und damit Stammklientel der Griechen, vor allem die in Afrika ansässigen arabischen Staaten, an sich gebunden hat.
Schließlich eine Nachbarschaft wie etwa Bulgarien, 2007 zur EU gelangt, über das man hierzulande kaum etwas weiß, außer dass das Land bettelarm zu sein scheint.
Viele Aspekte der derzeitigen Krise sind schon auch im Land selbst begründet, teilweise auch haus“gemacht“. Sie zu benennen wäre für alle Beteiligten vielleicht hilfreich.
@ed2murrow : Klasse Kommentar! Kann das nur so unterstreichen!
@ed2murrow
Eine Einschränkung habe ich aber dennoch: Die unterschiedlichen realen Lohnzuwachsraten innerhalb der EU sind makroökonomisch höchst problematisch und ein Niedriglohnsektor, der in der BRD, wenn ich mich recht erinnere, inzwischen ca. 30 Prozent des Gesamtvolumens einnimmt, ist zumindest binnenwirtschaftlich und innerhalb der EU ebenso problematisch bzw. abwärtstreibend...tja, das kommt davon wenn man eine Wirtschaftsunion ausruft, aber lediglich eine Währungsunion kreiert!