Die Systeme machen Druck

Iran Präsident Hassan Rouhani verliert an Rückhalt, weil sich die durch Sanktionen geschwächte Wirtschaft nicht erholt
Ausgabe 22/2014
Die Systeme  machen Druck

Bild: Behrouz Mehri / Getty

Homayoon arbeitet in einer Kfz-Werkstatt und gibt gern Auskunft, weshalb es mitten in Teheran wenig zu tun gibt, während er seine Hände an einem öligen Tuch abwischt. „Ganz einfach, Benzin ist zu teuer, also fahren die Leute weniger Auto.“ Als ich ihn frage, ob dafür die Sanktionen der Amerikaner verantwortlich seien, lacht er und zuckt mit den Schultern. „Natürlich sind es die Sanktionen!“, ruft sein Kollege. „Freunde von mir haben eine kleine Firma wie diese hier. Der Strom ist um 25 Prozent teurer geworden, Benzin um 75 Prozent. Gewerbesteuer, Mehrwertsteuer, alles ist gestiegen. Für einen Kredit zahlt man 25 Prozent Zinsen. Das heißt, man kann sich nichts leihen, weil das zu teuer wird.“

„Ich kenne mich damit nicht aus“, sagt Homayoon, der noch immer lächelt. „Das muss die Regierung entscheiden. Ich mag die Amerikaner – mir ist egal, was bei den Freitagsgebeten gesagt wird.“

Bei diesen Andachten gibt man sich in Teheran wieder unversöhnlich. Gerade hat Ajatollah Ahmad Jannati, einer der renommiertesten Imame der Islamischen Republik, bei einem Meeting im Stadion der Universität, das im Fernsehen übertragen wurde, mächtig gegen die USA gewettert. Mit weißem Bart, wehendem Gewand und stolzem Turban ist Jannati ein Mullah wie aus dem Bilderbuch – ein schiitischer Geistlicher alter Schule, der nach dem Motto predigt: „Jede Abweichung führt auf den Pfad des verfluchten Satan.“

Gewaltiger Stress

Jannati beschwört gern, was der Oberste Führer, Ajatollah Ali Chamene’i, Widerstandsökonomie nennt. Dies sei die Antwort auf das von den USA ausgehende Öl-, Banken- und Handelsembargo. Das Land müsse lernen, selbst herzustellen, was es nicht mehr kaufen könne. „Arbeiter und Lehrer sind das Rückgrat unserer Gesellschaft. Wir sollten uns überall selbst versorgen“, so Jannati. In Ägypten und in der Ukraine hätten die USA gewählte Präsidenten gestürzt und stattdessen Personen installiert, die ihnen genehm seien. Zum Glück habe Russland einen Teil dieser Pläne in der Ukraine vereitelt. Es ist klar, was der Ajatollah meint: Nun ist der Iran dran.

Auf seine Aufforderung hin erheben sich die bis zu 10.000 Gläubigen – darunter Angehörige der Revolutionsgarden, Soldaten, Piloten, Matrosen und reihenweise Kleriker mit schwarzen und weißen Turbanen – und skandieren mit geballten Fäusten: „Tod Amerika! Tod Israel!“ Es rollt wie Donner durch das an den Seiten offene Stadion.

Präsident Hassan Rouhani, der seit knapp einem Jahr regiert, lässt offiziell verlauten, die im Streit um das Atomprogramm verhängten Sanktionen der UNO, USA und EU zeigten wenig Wirkung. Sie hätten keinen Einfluss darauf, ob Teheran verhandle oder nicht, was demnächst in Wien geschehen werde.

Doch auf den Straßen Teherans, in Geschäften, Werkstätten und auf den Märkten stellt sich die Sache anders dar. Die Isolation verursacht gewaltigen Stress. Die Bande, die eine Gesellschaft zusammenhalten, fransen aus. Die Führung steht unter Druck.

Tritt nicht bald Linderung ein – in Form eines umfassenden Ausgleichs mit dem Westen –, könnte das sehr weitreichende Folgen haben. Das einzigartige System einer islamischen Republik könnte bis zur Grenze der Belastbarkeit auf die Probe gestellt werden. Umso mehr wirken die aktuellen Hüter dieser Ordnung, inklusive des Revolutionsführers, sehr zufrieden, wenn Rouhani den Part des Frontmannes, potenziellen Sündenbocks und Bauernopfers übernehmen muss. „Manchmal erinnert dieser Führer an den früheren Präsidenten Chatami, der bis 2005 regierte,“, sagt ein erfahrener Teheraner Journalist. „Rouhani ist zwar Traditionalist und kein Reformer wie Chātami, aber wie der versucht er Veränderungen, obwohl ihn das System skeptisch beäugt: Der Wächterrat, der die islamische Verfassung beschützen soll, die Revolutionsgarden, konservative Medien, Leute wie Jannati, selbst Chamene’i. Wenn diese Leute kein Abkommen mit dem Westen wollen, wird Rouhani scheitern.“

Noch dramatischer drückt es ein Teheraner Geschäftsmann aus: Blieben die Atomgespräche ohne Ergebnis, könnte Rouhani der letzte gewählte Präsident des Iran gewesen sein, dann komme eine Militärregierung. „Aus diesem Grund glaube ich, dass in der nächsten Runde über den 20. Juli hinaus verhandelt wird. Rouhani kann es sich nicht leisten, aufzugeben.“

Solche Szenarien hält der gut vernetzte Mohammed Marandi, Professor für Nordamerika- und Europastudien an der Universität Teheran, für zu pessimistisch. „Derzeit verfügt Rouhani sehr wohl über den Rückhalt des Establishments. Hat er keinen Erfolg, wird freilich die Zahl der Kritiker wachsen und sich die Haltung zum Westen verhärten. Sollten das die Amerikaner ausnutzen wollen, um mehr Druck zu machen, wird auch Rouhani kompromissloser agieren. Oder er wird im Iran verlieren.“

Vieles hänge von Revolutionsführer Chamene’i ab, meint der einflussreiche Autor und Regierungsinsider Amir Mohebbian, der die traditionalistische Partei der modernen Denker gegründet hat. „Chamene’i hat zu verstehen gegeben, er sei wegen der Nukleargespräche nicht übermäßig optimistisch. Doch er will eine substanziell verbesserte wirtschaftliche Situation. Das Atomthema ist nur ein Symbol. Es steht für Selbstversorgung und Unabhängigkeit, aber an sich zählt es nicht zu den Prinzipien der Islamischen Republik. Chamene’i hat einen Plan A und einen Plan B. Ersterer sieht vor, dass Rouhani erfolgreich verhandelt und wir dann unsere ökonomischen Probleme angehen. Sollte es anders kommen, greift Plan B, und wir würden sagen: Wir haben gezeigt, wie flexibel wir sind. Andere sind es offenbar nicht.“

Rouhani könnte dann die Verantwortung übernehmen, was ihn politisch ruinieren dürfte, oder erklären, die Beziehungen zum Westen ließen sich nicht normalisieren – man müsse sich daher enger an Russland und China anlehnen.

Das Goldgeschäft läuft

Für die US-Iran-Politik wäre dies ein herber Schlag, meint Mohebbian. Das Fenster, das Rouhanis Wahl geöffnet hatte, würde sich wieder schließen. Wäre das so schlimm? Diese Präsidentschaft hat für viele Iraner an Glanz eingebüßt. Rouhanis Bestrebungen, ausufernde Subventionen zu kürzen, gelten als Ursache für steigende Steuern und Energiepreise. Konservative Medien verhöhnen den Präsidenten für den misslungenen Versuch, die Iraner davon zu überzeugen, auf jene 15 Dollar zu verzichten, die jeder Bürger im Monat als staatliche Beihilfe erhält. Vorgänger Ahmadinedjad hatte diesen Zuschuss eingeführt. Rund 92 Prozent der Iraner lehnten Rouhanis Gesuch ab. Ein Indiz sozialer Bedürftigkeit, wenn allein die Arbeitslosigkeit der bis 25-Jährigen 30 Prozent oder mehr beträgt. Zwar sinkt die Inflation, liegt aber noch bei 20 Prozent und spiegelt, dass der iranische Rial gegenüber dem Dollar weiter an Wert verliert. Damit sind Importwaren für viele unerschwinglich, sodass es einleuchtet, wenn das Geschäft der Goldhändler auf Teherans Großem Basar bestens läuft. Gibt es kein solides Geld, hält man sich an Edelmetall.

„Das verdanken wir alles den Sanktionen“, glaubt Majid, der Schnallen und Knöpfe aus Gold und Silber verkauft. „Wir sind von der Ölproduktion und den Einnahmen daraus abhängig. Aber das Geld erreicht uns nicht mehr.“ Sein Nachbar Motjaba, ebenfalls Händler, sitzt niedergeschlagen an seinem dunklen Stand und nippt süßen Tee. Um ihn herum stapeln sich Perserteppiche bis an die Decke. Er habe genug von der Regierung, nicht nur von der Rouhanis, sondern von allen seit der Islamischen Revolution. Besonders ärgert ihn, dass der Verkauf von Teppichen in die USA, der ihm einst die Hälfte seiner Einnahmen brachte, nicht mehr möglich ist. „Die Leute hier haben kein Problem mit Amerika. Das Problem sind die Regierungen. Wenn unsere hohen Herren krank sind, stört sie der Satan Amerika nicht weiter. Dann lassen sie sich in London oder New York behandeln. Und wenn sie eine Hochzeit ausrichten, gehen sie ins Londoner Sheraton, und wir kriegen keine Visa.“ Verglichen mit der Zeit des Schah sei der Unterschied zwischen Arm und Reich größer geworden, meint Motjaba. „Wir sind wie tot. Gelacht wird nicht mehr im Basar. Zeigen Sie mir jemanden, der lacht, und ich schenke Ihnen einen Teppich.“

Simon Tisdall ist Guardian-Kolumnist und hat jüngst den Iran bereist Übersetzung: Zilla Hofman

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Geschrieben von

Simon Tisdall | The Guardian

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