Nachdem Barack Obama im April mit Ban Ki-Moon zwei Stunden zusammengesessen hatte, pries der amerikanische Präsident den UN-Generalsekretär als einen „guten Freund“. Die beiden Männer hatten über Syrien und die mutmaßlichen Chemiewaffenangriffe, über Nordkorea, über Israel und Palästina und über den Klimawandel gesprochen. Doch schon bevor Bans große Limousine die Einfahrt zum Weißen Haus passiert hatte, wusste die US-Regierung, worüber der Generalsekretär würde reden wollen. Sie wusste es, weil die größte Abhörorganisation der Welt, die National Security Agency, vorher alle nötigen Informationen eifrig zusammengetragen hatte.
In einem NSA-Dokument, das der Whistleblower Edward Snowden einen Monat nach dem Treffen dem Guardian und der New York Times zuspielte, brüstet man sich damit, wie der Spionagedienst noch vor dem Treffen „Zugang zu den Gesprächsthemen des UN-Generalsekretärs“ gewonnen hatte. Später dann wollte man sich im Weißen Haus nicht dazu äußern, ob Obama die Informationen vorab auch wirklich gelesen hatte. Aber Ban Ki-Moon und andere Mitarbeiter der Vereinten Nationen auszuspionieren, verstößt gegen internationales Recht. Und laut der Nachrichtenagentur Reuters haben die USA nun, durch Snowdens Enthüllungen in die Defensive getrieben, wenigstens ein Ende dieser Überwachung angeordnet.
Der Ban Ki-Moon betreffende Bericht heißt in NSA-Kreisen „Top-Secret“-Report. Er wird wöchentlich erstellt und weist den Besuch Bans als ein „operationelles Highlight“ aus. Dieses Highlight jedoch reiht sich in andere „operationelle Highlights“ ein: In jener Woche waren das noch Informationen über das mutmaßliche Chemiewaffenprogramm des Iran; man hatte außerdem Gespräche zu einem bevorstehenden Chemiewaffenangriff in Syrien abgehört und lieferte einen Report über das mexikanische Drogenkartell Los Zetas mit.
An all dem zeigt sich, dass der US-Geheimdienst jedes Maß verloren hat. Der milde und stets amerikafreundliche Ban Ki-Moon findet sich mitten unter Drogenbaronen und Kriegsherren aus dem Mittleren Osten wieder. Doch genau das passt zu jenem Bild der NSA, wie es sich aus den Zehntausenden von Dokumenten ergibt, die Snowden zugänglich gemacht hat. Sie belegen einerseits die Art von Spionage, die man von der NSA erwarten würde: die Überwachung von Taliban-Kämpfern, die in abgelegenen afghanischen Tälern Attentate planen, oder das Abhören von Geiselnehmern in Kolumbien. Doch die Dateien enthüllen auch eine dunkle Seite: Nichts scheint zu unbedeutend zu sein, Konkurrenten, Feinde, Verbündete und Freunde, US-Bürger und „Nicht-Amerikaner“, alle werden gleichermaßen abgeschöpft. Die Dokumente machen deutlich, wie weit die NSA die digitale Revolution und die neuen Kommunikationsarten, die sich daraus ergeben, zur Gänze auszunutzen gewillt ist und immer zudringlichere Überwachungsprogramme entwickelt, um damit den ganzen Planeten zu erfassen. Das Ziel ist die totale Kontrolle dessen, was die NSA als das „digitale Schlachtfeld“ bezeichnet.
Nach dem 11. September
Als die NSA im Jahr 1952 gegründet wurde, sollte sie vor allem die Sowjetunion ins Visier nehmen. Und das tat sie, Jahrzehnt für Jahrzehnt, bis zum Ende des Kalten Krieges. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR begann für die NSA ein Jahrzehnt der Ungewissheit. Die Moral der Truppe sank. Ein Dokument vom Februar 2001, also wenige Monate vor dem 11. September, bezeugt diesen Zustand. Darin gesteht der Geheimdienst ein, dass seine Fähigkeiten zum Mitschnitt elektronischer Kommunikation in den neunziger Jahren zurückgegangen seien: „Die Belegschaft der NSA ist ergraut und geschrumpft. Die Arbeitswerkzeuge sind veraltet und nicht geeignet, um mit der aufkommenden Signalstruktur umzugehen. Vor zehn Jahren hatten wir hochqualifizierte Mitarbeiter mit fundiertem Wissen über das Angriffsziel und auch die Mittel, um die Daten auszuwerten. Nun ist ein Punkt erreicht, an dem die Mehrzahl der Analytiker in unserer Belegschaft wenig bis gar keine Erfahrung hat.“
Denkt man an die Terroranschläge auf New York und Washington sechs Monate später, dann ist es bezeichnend, dass die NSA in diesem Dokument einen Mangel an Sprachexperten und Analytikern für Afghanistan beklagt. Dieselbe Gruppe von Fachleuten, die für ganz Afghanistan zuständig war, sollte nun auch „das NSA-Büro für Terrorabwehr beim Verfolgen der Taliban-Osama-bin-Laden-Verbindung unterstützen.“ So steht es jedenfalls in dem Dokument.
Der 11. September beendete in der NSA das Jahrzehnt der Erstarrung. Plötzlich stehen neue Gelder zur Verfügung, und Mitarbeiter anzuwerben ist auch kein Problem mehr. Seither expandiert die NSA rasant, der Dienst profitiert wie keine andere Organisation von der Verdopplung des US-Geheimdienstbudgets. Für 2013 beträgt der geplante Etat rund 10,8 Milliarden Dollar, die NSA beschäftigt 35.000 Mitarbeiter und betreibt neben ihrem Hauptquartier in Fort Meade, Maryland, noch Stützpunkte in Georgia, Texas, Colorado, Hawaii und Utah. Auf den Dächern von 80 US-Botschaften rund um die Welt stehen ihre Antennen. Wichtige Außenposten gibt es in Großbritannien, Australien und Japan, doch man operiert auch andernorts, teilweise verdeckt.
Die NSA unterhält sogar eine geheime Präsenz in einem Land, in dem, wenn das auffliegen würde, es zu einem schwerwiegenden diplomatischen Zwischenfall kommen würde. Der dortige Stützpunkt verstößt nämlich gegen ein auch vom Gastgeberland unterzeichnetes internationales Abkommen. Wenn Geheimdienstmitarbeiter diese Basis besuchen, müssen sie sich als Kommunikationstechniker einer Drittfirma ausgeben und gefälschte Papiere bei sich tragen. In einer Power-Point-Anweisung werden diese Agenten instruiert: „Kennen Sie Ihre Deck-Identität!“ Und sie werden gedrängt, ihre „persönlichen Gegenstände zu zensieren“, keine Postkarten nach Hause zu schicken. Eine Ausnahme wird für Schmuck gemacht, denn Schmuck habe zumeist keine für dieses Land typischen Kennzeichen.
Die Behören und Institutionen, für die die NSA arbeitet, werden von ihr als „externe Kunden“ bezeichnet. Zu ihnen gehören das Weiße Haus, das US-Außenministerium, die CIA, die DIA, die US-Botschaft bei den Vereinten Nationen und andere. Der Auftrag für diese Kunden ist immer komplexer geworden. Im Kalten Krieg ging es hauptsächlich um staatliche Einrichtungen: um die politischen, militärischen und geheimdienstlichen Strukturen in der UdSSR und in Osteuropa. Heute sind die Hauptziele Al-Kaida und ihre Verbündeten. Sie sind viel unklarer und viel schwerer zu fassen.
In ihrem aktuellen Fünfjahresplan formuliert die NSA eine Leitlinie. Darin beteuert sie, der Bereich „Sigint“ (Funkaufklärung bzw. Mitschnitt von Kommunikation) werde höchsten Anforderungen genügen: „Das Sigint-Fachpersonal muss die moralische Überlegenheit wahren, auch wenn Terroristen oder Diktatoren unsere Freiheiten ausnutzen wollen. Einige unserer Gegner werden alles sagen oder tun, um ihre Sache voranzubringen; wir nicht.“ Und zu ihrer eigenen Daseinsberechtigung fasst die NSA zusammen: „Unsere Mission ist es, Fragen zu bedrohlichen Aktivitäten zu beantworten, die andere zu verbergen trachten.“
Ihr derzeitiges Betätigungsfeld aber geht darüber weit hinaus. Was eine Überwachung von Ban Ki-Moon oder der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Antworten zu „bedrohlichen Aktivitäten“ zu tun haben soll, ist nur noch schwer nachvollziehbar.
In jedem Winkel der Welt
Noch im August nahm Barack Obama die NSA auf einer Pressekonferenz in Schutz und versicherte, ihr Auftrag sei einzig und allein die Terrorabwehr. „Wir haben kein Interesse, etwas anderes zu tun als das“, sagte der amerikanische Präsident damals. Eine verblüffende Bemerkung. Mit der Terrorabwehr wurden massive Budgetsteigerungen gerechtfertigt, doch die NSA tut weit mehr. In einem der enthüllten Dokumente vermerkt sie, dass sie lediglich 35 Prozent der ihr zur Verfügung stehenden Mittel für den „weltweiten Krieg gegen den Terror“ aufwendet.
Und Obama stellte seine Aussage später richtig: Die NSA befasse sich nicht nur mit der Terrorabwehr, sondern auch mit der Internetsicherheit und mit dem Kampf gegen Massenvernichtungswaffen. Doch auch damit ist bloß ein Bruchteil der weitreichenden und vielfältigen Aktivitäten der NSA benannt.
Ihre eigene Liste strategischer Ziele umfasst: die US-Armee im Einsatz unterstützen; Informationen über Militärtechnik sammeln; staatliche Instabilität vorhersehen; regionale Spannungen überwachen; gegen Drogenhandel vorgehen; wirtschaftliche, politische und diplomatische Informationen sammeln; eine beständige und sichere Energieversorgung der USA gewährleisten und den USA wirtschaftliche Vorteile sichern. Die NSA prahlt, sie könne entsprechende Informationen aus „so gut wie jedem Land“ beschaffen.
Hunderte der Dokumente zeigen den amerikanischen Geheimdienst bei Tätigkeiten, die auf allgemeinen Beifall stoßen würden. Eines belegt, wie der Stützpunkt in Texas durch das Abfangen von 478 E-Mails half, den Mordplan von „Dschihad-Jane“ gegen den schwedischen Künstler Lars Vilks wegen dessen Mohammed-Zeichnungen zu vereiteln. Ein anderes zeigt, wie die NSA während des Angriffs der islamistischen Haqqani-Gruppe auf das Hotel Intercontinental in Kabul in der Nacht vom 29. Juni 2011 jedes Wort mithören konnte, das die Bewaffneten sagten. Damals kamen 21 Menschen ums Leben. Auch zur Mitwirkung der NSA beim Zerschlagen eines Menschenhändlerrings im chinesischen Fuzhou gibt es einen Bericht. Sie führte zu zwei Festnahmen am Flughafen JFK in New York, und einer der Verhafteten soll Details zu den Schmuggelrouten bei sich getragen haben.
Mancher mag glauben, an abgelegenen Orten sei er vor den Schnüfflern sicher. Ein mutmaßlicher Kokainschmuggler wähnte sich auf einer Yacht in der Karibik unbeobachtet, bedachte aber nicht, dass sein Partner, ebenfalls an Bord, per Facebook chattete und damit wichtige Daten zur Position des Schiffs und zur geplanten Landung übermittelte. Abgefangen wurden sie von einem Geheimdienstpartner der NSA. Nicht einmal die iranische Führung ist außer Reichweite. Im Jahr 2009 war die NSA imstande, fast jeden Schritt des religiösen Führers Ali Chamenei bei einem Besuch in der Bergprovinz Kordestan zu verfolgen.
Der wertvollste Dienst, den die NSA seit dem 11. September für die USA und ihre Verbündeten geleistet hat, ist die Unterstützung des Militärs im Irak und in Afghanistan. Eine Datei von 2007, betitelt „Stand der Unternehmung“, ist ein typisches Beispiel für jene Dokumente, in denen die Organisation ihre Kriegserfolge auflistet: „Zu den speziellen Resultaten zählte die Identifizierung und Lokalisierung eines Heckenschützen, der es auf Personal innerhalb der Grünen Zone Bagdads abgesehen hatte; die Bestätigung, dass ein CIA-Agent als potenzieller Unruhestifter agierte.“
Andere Geheimdienste wie die CIA beklagen, inoffiziell natürlich, eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der NSA, sind aber letztlich doch froh über ihre Hilfe. Von Soldaten im Einsatz gibt es Beschwerden, dass Informationen nicht immer schnell genug an sie weitergeleitet werden. Doch auch sie zeigen sich dankbar, wenn die NSA sie auf drohende Taliban-Attacken hinweist. Laut einem der Dokumente belauschte die NSA, wie der Taliban-Kommandant Rahimullah Akhund, der auf der Tot-oder-lebendig-Liste der US-Armee den Codenamen „Objective Squiz Incinerator“ trägt, einen Mithelfer anwies, Bauteile für eine Bombenfalle, Sprengstoffwesten und ein japanisches Motorrad zu beschaffen.
Wie sehr die Amerikaner und ihre Verbündeten solche Informationen zu schätzen wissen, fasst folgender Brief ans NSA-Hauptquartier zusammen: „Ihr Jungs/Mädels wisst wahrscheinlich gar nicht, in welchem Maß wir für unsere Fangoperationen zur Terrorabwehr in Afghanistan auf eure Mittel angewiesen sind. Sie helfen uns wirklich, unsere Feinde vom Spielfeld zu nehmen, sozusagen.“
Als die NSA, die CIA und andere US-Geheimdienste in den siebziger Jahren Kriegsgegnern, Bürgerrechtsaktivisten und Gewerkschaftsfunktionären rechtswidrig hinterherspionierten, hatte ihr Treiben zumindest technische Grenzen. Heute hingegen erlaubt es ihnen die technologische Revolution, fast jeden Menschen auszuspähen. Die unter George W. Bush angeschobene Überwachungsexpansion hat sich unter Barack Obama ungebremst fortgesetzt. Und mit dieser Ausweitung ging keine Reform des gesetzlichen Rahmens oder der politischen Aufsicht einher. In den NSA-Dokumenten werden die Mitarbeiter zwar oft ermahnt, sich an die Gesetze zum Schutz der Privatsphäre von Amerikanern zu halten, doch es werden auch zahlreiche Verstöße deutlich. Diese sind fast unvermeidlich angesichts der Sammelwut der NSA, niemand kann wirklich zwischen Daten über Ausländer oder US-Bürger unterscheiden.
Öffentlich behauptet die NSA, sie schöpfe nur einen winzigen Prozentsatz der Internetkommunikation ab, kleiner als „ein Groschen in einem Basketballkorb“. Doch groß ist die Kluft zwischen solchen Äußerungen und Dokumenten, in denen über neue Wege gejubelt wird, elektronische Kommunikation zu knacken und den Wirkungsbereich findig immer weiter auszudehnen. Die von NSA-Kritikern aufgeworfene Frage lautet: Sollen sie das wirklich tun, nur weil sie die technischen Möglichkeiten dazu haben?
Ein Dokument offenbart eine umfangreiche Schnüffelaktion der NSA bei der UN-Klimakonferenz in Bali im Jahr 2007. Vor Tausenden Zuhörern nannte Ban Ki-Moon dort den Kampf gegen den Klimawandel „die moralische Herausforderung unserer Generation“. Die australische NSA-Basis in Pine Gap interessierte sich aber weniger für den Klimawandel als für Handynummern indonesischer Sicherheitsbeamter. „Zu den Höhepunkten zählte die Abgleichung der Mobilnummer“ eines hochrangigen balinesischen Beamten, heißt es in einem NSA-Report: „Die Basis entdeckte bisher unbekannte indonesische Kommunikationsnetzwerke und versetzte uns in die Lage, die Datenerhebung im Krisenfall zu erweitern.“
Diese Ermittlung einer Telefonnummer ist jene Art Information, wie Spione sie immer gesammelt haben. Die Ratio dahinter: Sollte es zu einem Attentat oder zu Ausschreitungen kommen, könnten solche Nummern nützlich sein. Das Gegenargument lautet, dass Indonesien ein Freund der USA ist und zu erwarten wäre, dass es im Notfall seine Informationen ohnehin teilen würde. Warum also betreibt die NSA einen derartigen Aufwand, um sich Telefonnummern zu verschaffen?
Einer der Hauptkritikpunkte an der massenhaften Datensammlung ist, dass der Geheimdienst all diese Daten gar nicht mehr sichten, geschweige denn auswerten kann. In einem Dokument kehren die Probleme wieder, mit denen die NSA sich schon im Jahr 2001 herumgeschlagen hatte, als sie den Mangel an Sprachexperten beklagte. Nach Prüfung einiger Nachrichten, die von einer Terrorgruppe stammen könnten, gesteht ein Geheimdienstler ein: „Das meiste ist auf Arabisch oder Farsi. Damit kann ich nicht viel anfangen.“
Die fünf Augen
Die NSA arbeitet eng mit vier anderen englischsprachigen Ländern zusammen: Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Mit ihnen teilt man Rohdaten, Gelder, Technik und Personal. Dieser Zusammenschluss nennt sich: „Die fünf Augen“. Darüber hinaus pflegt die NSA weitere Partnerschaften, doch mit weniger umfassendem Informationsaustausch: Bei den „neun Augen“ kommen Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Norwegen hinzu; bei den „14 Augen“ Deutschland, Belgien, Italien, Spanien und Schweden. Und bei den „41 Augen“ weitere Mitstreiter im Militärbündnis für den Afghanistan-Einsatz.
Manche stören sich an der Exklusivität der Zusammenschlüsse, so auch Deutschland, das die aktuelle Kontroverse für eine Hochstufung nutzen will. Seit Langem protestiert man in Berlin gegen seinen Ausschluss nicht nur von der Elite der „fünf Augen“, sondern sogar von den „neun Augen“. Ein Protokoll des britischen Geheimdienstes Government Communications Headquarters (GCHQ) vermerkt dazu: „Die Beziehungen der NSA zu den Franzosen waren nicht so weit entwickelt wie die des GCHQ … die Deutschen waren ein wenig sauer, weil sie nicht in die Neun-Augen-Gruppe eingeladen wurden.“ Bezeichnenderweise setzt Deutschland nun die öffentliche Empörung darüber, dass Merkel von US-Geheimdienstlern belauscht wurde, als Druckmittel für ein Upgrade unter die „fünf Augen“ ein.
Die engste Verbindung aber besteht zweifellos zwischen NSA und GCHQ. So werden die Beiträge der britischen Kollegen in den NSA-Wochenreports oft neben denen der größten Regionalstützpunkte in Texas und Georgia aufgeführt. Das GCHQ betreibt eine umfassende Internetüberwachung. Damit kann auch die NSA rund 90 Prozent des Datenverkehrs, der über die britischen Inseln läuft, „berühren“. Aufgrund der Lage ist dies etwa ein Viertel der weltweiten Netzaktivität. Die Informationen, die das GCHQ mit seinem Programm Tempora absaugt, werden bis zu einen Monat lang aufbewahrt. Und die NSA-Analytiker haben darauf direkten Zugriff.
Um US-Bürger auszuspähen, benötigt die NSA eine richterliche Genehmigung, doch nur selten lehnt der zuständige Gerichtshof entsprechende Anträge ab. Noch unbeschwerter arbeiten die Briten. So heißt es in einem GCHQ-Dokument: „Bisher haben sie uns immer recht gegeben.“ Eine Rechtsunterweisung des GCHQ legt nahe, dass manche Unterscheidung, auf die in Richtlinienpapieren und in öffentlichen Aussagen von Vertretern beider Dienste Wert gelegt wird, in der Praxis wenig zu bedeuten hat. Eine ausführliche Bildpräsentation zur Gesetzeslage erklärt anhand mehrerer Beispiele die oft schwer zu vollziehende Trennung zwischen Inhalten und Metadaten, die, vor allem nach US-Recht, sehr unterschiedlich zu handhaben sind. Doch in den Anmerkungen zur Präsentation heißt es: „Die Politik des GCHQ ist, alles gleich zu behandeln, ob Inhalt oder Metadaten.“
Auch die NSA-Dokumente weisen auf verschwimmende Grenzen hin: „Oft ist unklar, ob individuelle Kommunikationsbestandteile, vor allem inhaltsbezogene Metadaten – also Informationen aus dem Textkörper – nun Inhalt oder Metadaten sind. Sind etwa Betreffzeilen von E-Mails Metadaten oder Inhalt? Wie sieht es mit Signaturen aus oder mit Telefonnummern in einer Nachricht? Solche Fragen sind nicht immer eindeutig zu beantworten.“
Es scheint einfach zu sein, Zugang zu den riesigen Geheimdatenbanken zu erhalten. Zwar muss dafür. auch wenn es um Daten der Australier, Neuseeländer oder Kanadier geht, ein bestandener Kurs zur Rechtslage nachgewiesen werden. Doch diese Kurse beruhen oft auf Selbsteinschätzungen, auf Multiple-Choice-Fragebögen, die der Agent am Schreibtisch mit dem „iLearn“-System ausfüllt. Für den Zugriff auf die gewaltigen Datensätze genügt es dann, die Resultate zu kopieren und einzufügen.
Kein Neuanfang
Die NSA war einst der geheimste der 16 US-Geheimdienste. Nun wurde er von Edward Snowden bis auf die Knochen entblößt. Nie in seiner Geschichte hatte er härtere Prüfungen vor sich als jetzt. Härter sogar als bei den inländischen Spionageskandalen in den siebziger Jahren. Die NSA muss sich vor dem Kongress verantworten, wird vor Gericht gestellt, von einer unheiligen Allianz der liberalen Amerikanischen Bürgerrechtsunion mit der rechtslastigen National Rifle Association. Internetfirmen verlangen Aufklärung, und es steht der im August von Barack Obama angekündigte Untersuchungsausschuss bevor. Hinzu kommt der Druck aus Deutschland und Frankreich, aus Mexiko und Brasilien.
Doch trotz der Aufregung dürften sich am Ende die Reformen in Grenzen halten. Ihre neuartige Fähigkeit zur fast allumfassenden Schnüffelei wird die NSA kaum preisgeben. In einem der enthüllten Dokumente zum „Stand der Unternehmung“ aus dem Jahr 2007 sagt ein Mitarbeiter: „Der stete Wandel in der Welt schafft einen fruchtbaren Boden, um neue Ziele, Technologien und Netzwerke für den Mitschnitt von Kommunikation zu finden.“ Darüber freut sich der Geheimdienstler: „Es wird schon zum Klischee, dass der ständige Wandel der neue Zustand ist. Das ist die Welt, in der wir leben. Wir navigieren unablässig im Wildwasser.“ In solcher Umgebung gedeihe die NSA prächtig, sagt er und fügt hinzu: „Gut für uns!“
Ewen MacAskill leitete von 2007 bis 2013 das Washingtoner Büro des Guardian, nun berichtet er aus New York.
James Ball wechselte von WikiLeaks zum Guardian und gehört dort dem Investigativ-Team an.
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