Berlin und London werden einer Schweizer Studie zufolge in dreißig Jahren ein ähnliches Kima aufweisen wie Barcelona oder das australische Canberra heute. Allen, für die dies zunächst verlockend klingt, sollte man mit auf den Weg geben, dass diese Temperaturveränderungen womöglich von gravierenden Nebeneffekten begleitet werden.
Eine ganze Reihe von Städten, die heute dem gemäßigtem Klima zuzuordnen sind, werden infolge der Erderhitzung, die in europäischen Städten im Sommer durchschnittlich bei 3,5 und im Winter bei 4,7 Grad Celsius liegen wird, von Wasserknappheit betroffen sein. Auf knapp 80 Prozent der Städte – insgesamt wurden 520 untersucht – werden der im Journal Plos One veröffentlichten Studie zufolge dramatische Veränderungen zukommen.
Madrid wird sich dem Bericht über die voraussichtlichen Folgen der Klimakrise zufolge in drei Jahrzehnten anfühlen wie heute Marrakesch, Stockholm wie Budapest. Rund um die Welt werden Städte der nördlichen Hemisphäre, die heute in gemäßigten oder kalten Klimazonen liegen, hinsichtlich der Temperaturen an Städte erinnern, die 1.000 Kilometer näher am Äquator liegen. Moskau wird dann klimatisch an das heutige Sofia und Seattle an San Francisco erinnern, während die Temperaturen in New York denen ähneln dürften, die heute im deutlich südlicher gelegenen Virginia Beach gemessen werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben eine interaktive Karte mit hunderten von Städten und deren klimatischen Entsprechungen im Jahr 2050 erstellt.
Barcelona war erst vor zehn Jahren von einer extremen Dürre betroffen, die für viele Bewohner gefährliche Außmaße annahm. Das führte dazu, dass Trinkwasser im Wert von mehreren Millionen Euro eingeführt werden musste. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass London und andere Städte in ähnlichen Breitengraden in Zukunft mit denselben Problemen konfrontiert sein werden, sagen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Im Gros dürfte das negative Auswirkungen auf Gesundheit und Infrastruktur haben.
Zu den bedenklichsten Erkenntnissen aber gehört, dass die Einwohner ungefähr eines Fünftels aller Städte weltweit – unter ihnen Jakarta, Singapur, Rangoon und Kuala Lumpur – Bedingungen erleben werden, die man bislang noch aus überhaupt keiner anderen Großstadt der Welt kennt. Tom Crowther, Gründer des Crowther Lab in der Schweiz, das die Unterschung durchgeführt hat, sagt, dieses noch nie dagewesene Ausmaß an Veränderung habe ihn überwältigt.
Neue Herausforderungen
„Das sind Umweltbedingungen, die es gegenwärtig noch nirgendwo sonst auf dem Planeten gibt. Das bedeutet, dass es neue politische und infrastrukturelle Herausforderungen geben wird, mit denen wir bislang noch nicht konfrontiert waren. Niederschläge werden für solche Städte ein besonderes Problem darstellen, da extreme Überschwemmungen und schwere Dürren immer häufiger auftreten werden. Wir sind überhaupt nicht darauf vorbereitet. Die Vorbereitungen auf den Klimawandel müssen gestern beginnen. Je früher sie beginnen, desto geringer werden ihre Auswirkungen sein“, so Crowther.
Richard Betts, Professor für Klimafolgenforschung an der Universität Exeter und Vorsitzender der climate impacts strategic area am Met Office Hadley Centre, der an der Studie beteiligt war, ergänzt: „Ohne den Vorteil, zu wissen, dass anderswo auf der Welt bereits unter den neuen klimatischen Bedingungen gelebt wird, lässt sich schwer einschätzen, ob die Menschen in den betroffenen Städten in der Lage sein werden, sich anzupassen und zu bleiben – oder ob sie schließlich versuchen werden, anderswohin zu ziehen.“

Foto: Kenzo Tribouillard/AFP/Getty Images
Unter Experten steigen die Bedenken über die mangelnde weltweite Vorbereitung auf die Auswirkungen der globalen Klimakrise. Mami Mizutori, die Sonderbeauftragte für die Katastrophenvorsorge des UN-Generalsekretärs, sagte vor kurzem gegenüber dem Guardian, dass sich mittlerweile wöchentlich eine Klimakatastrophe ereigne, die Länder aber nach wie vor nicht in ausreichendem Maße in die Widerstandsfähigkeit der Infrastruktur ihrer Städte investieren würden.
Die neuen Untersuchungen gehen von einer der zentralen Vorhersagen des Intergovernmental Panel on Climate Change – zu Deutsch oft „Weltklimarat“ genannt – aus: einem Temperaturanstiegs von zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau bis 2050. Nicht wenige erachten diese Prognose in Anbetracht der gegenwärtigen Entwicklung der Treibhausgasemissionen für recht optimistisch.
Stadtbewohner, die der Aussicht auf katalanisches Klima zunächst durchaus etwas Positives abgewinnen können, sollten sich nicht zu früh freuen. Mike Lockwood, Professor für Weltraumumweltphysik an der Universität Reading, der nicht an der Untersuchung beteiligt war, meint: „Das Klima von Barcelona nach London zu bringen, klingt zunächst, als könnte das eine ganz gute Sache sein – solange man nicht an Asthma oder einer Herzerkrankung leidet. Aber der Londoner Lehmboden zieht sich zusammen und wird brüchig, wenn es zu trocken wird – und dehnt sich wieder aus, wenn es sehr nass ist. Die zu erwartenden größeren Schwankungen in der Bodenfeuchtigkeit, die ein wärmeres Klima mit sich bringt, würden massive Bodenabsenkungsprobleme verursachen.“
Eines der Ziele des Papiers ist es, die enormen Probleme zu veranschaulichen, mit denen sich die Welt infolge der Klimakrise konfrontiert sieht. „Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass Daten und Fakten allein die Menschen nicht dazu bewegen, ihre Überzeugungen und ihr Verhalten zu ändern", sagt ihr Hauptautor Jean-François Bastin. „Der abstrakte Charakter der Berichterstattung über den Klimawandel schafft es nicht, die Dringlichkeit ausreichend zu vermitteln. Es ist schwer vorstellbar, wie sich zwei Grad Erwärmung oder Veränderungen der Durchschnittstemperatur bis 2100 auf den Alltag der Menschen auswirken werden."
Keine Ausreden mehr
Friederike Otto, die stellvertretende Direktorin des Environmental Change Institute an der Oxford University, die selbst nicht an der Studie beteiligt war, mahnt an, die Untersuchung aufgrund der Zahl der beteiligten Variablen „nur als Illustration und nicht als Vorhersage“ zu betrachten: „Bei der Studie handelt sich um einen sinnvollen Ansatz, um einen Blick über den Tellerrand zu werfen, aber es handelt sich um keine gesicherte Vorhersage. Es ist durchaus möglich, dass sich die Niederschläge in London im Winter im Vergleich zu Barcelona ändern."
Mike Childs, der wissenschaftliche Leiter von Friends of the Earth, mahnt politische Entscheidungsträger dazu an, die Studie ernstzunehmen. „Das Tolle an diesem Bericht ist, dass er deutlich zeigt, wie das Leben in Städten sich verändern wird, wenn die Trägheit der Regierungen in Sachen Klimakrise anhält. Junge Menschen gehen überall auf der Welt auf die Straße, um zu verhindern, dass ihre Zukunft durch Untätigkeit zerstört wird. Aber diese Analyse zeigt, dass jeder unter 50 Grund zur Sorge hat – weil das Leben in Städten schon bis 2050 unerträglich werden könnte. Der Politik bleibt keine Ausrede mehr dafür, weiter tatenlos zuzusehen.“
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