In Dadun, einem Dorf in Chinas südlicher Provinz Hainan, sind manche Einwohner gleicher als andere: Männer. Denn nur sie erhalten Entschädigung für ihre Häuser, die dem Bau von Ferienwohnungen Platz machen sollen. 92 Frauen sind darüber so wütend, dass sie nun den Dorfausschuss verklagt haben, der die Entscheidung getroffen hatte.
„Das Geld, mit dem die neuen Gebäude errichtet werden, stammt aus dem Verkauf unseres alten Zuhauses. Alle sollten eine gerechte Entschädigung erhalten“, sagt die 24-jährige Xu Jinyi, eine der Klägerinnen.
Die Vorgänge in Dadun sind ein außergewöhnlich eklatanter Fall von Diskriminierung. Aber er zeigt, dass der Besitz von Wohneigentum in China grundsätzlich ungleich verteilt ist. Obwohl Frauen eine große Rolle im Wirtschaftsleben des Landes spielen, bleibt nicht nur ihr Einkommen hinter dem der Männer zurück; Frauen verfügen zugleich über weniger Vermögen.
„Bei der größten Akkumulation von Wohneigentum, die es je gab, sind Chinas Frauen leer ausgegangen“, sagt Leta Hong Fincher, Soziologin und Autorin eines jüngst erschienenen Buches über die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in China. „Jetzt ist diese gewaltige Akkumulation vorbei. Selbst wenn plötzlich jede Chinesin in der Lage wäre, in ihrem eigenen Namen ein Haus zu kaufen, ließe sich der Rückstand nicht mehr aufholen.“
Frauen sind heute schlechter gestellt als vor fünf Jahren. Damals, 2011, fiel eine richterliche Grundsatzentscheidung, derzufolge Wohneigentum nach einer Scheidung nicht mehr geteilt, sondern der Partei zugesprochen werden soll, die den Kaufvertrag unterschrieben hat. „Auf den ersten Blick kommt einem das zwar gerecht vor, aber das ist es nicht“, sagt die auf Geschlechterthemen spezialisierte Pekinger Anwältin Li Ying. „Denn in den meisten Fällen übernimmt der Mann den Hauskauf, während die Frau für Einrichtung und Möbel aufkommt.“ Da Häuser in China für gewöhnlich als Rohbauten verkauft werden, kann es sein, dass die Einrichtung unter Umständen genauso viel kostet wie die eigentliche Immobilie.
Wenn ein Paar zusammenzieht, kauft normalerweise der Mann das Haus. Die meisten bräuchten dafür die Unterstützung ihrer Familien, sagt Autorin Fincher, und auch die Frauen leisteten oft einen großen Beitrag. Eine Untersuchung der größten Immobilienmärkte Chinas im Jahr 2012 kam zu dem Ergebnis, dass in 70 Prozent der Fälle die Braut oder deren Familie die Immobilie zumindest teilweise mitfinanzierte. Aber nur in 30 Prozent der Verträge wurden Frauen namentlich genannt.
Fincher zufolge besteht die Familie des Mannes oft darauf, dass der Name der Braut nicht im Kaufvertrag erscheint, wenn sie einen kleineren Anteil bezahlt hat. In einer Gesellschaft, in der der soziale Druck, zu heiraten, gewaltig ist, gehen viele Frauen eine Ehe ein, obwohl sie die finanziellen Abmachungen für ungerecht halten.
Auf dem Land schneiden Frauen besonders schlecht ab. Denn sie werden auch bei der Landnutzung benachteiligt, obwohl sie über 65 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte stellen. Die Landnutzungsrechte werden an Haushalte vergeben, ohne dass die Ansprüche der einzelnen Mitglieder genau bestimmt werden. Ändern sich die familiären Umstände, etwa durch Scheidung oder Tod, entscheidet für gewöhnlich der Dorfausschuss oder der Haushaltsvorstand, was zu tun ist.
„Für Witwen hängt alles davon ab, was für ein Verhältnis sie zur Familie ihres Mannes haben. Manchmal werden sie sehr gut behandelt. Geschiedene Frauen haben es allerdings sehr schwer“, sagt Wang Xiaobei, Expertin für Geschlechterfragen bei der gemeinnützigen Organisation Landesa, die weltweit zu Landfragen arbeitet.
Risiko Scheidung
Der Tradition gemäß heiraten die Frauen in die Familien ihrer Männer ein. Wenn der Mann stirbt, geht das Land, das sie zuvor bewirtschaftet haben, oft an dessen Brüder oder deren Frauen. Wenn sie sich scheiden lassen, müssen sie für gewöhnlich das Dorf ihres Mannes verlassen. In einem Landkreis der Provinz Henan untersuchte ein Gericht die Scheidungsfälle und fand heraus, dass weniger als zehn Prozent der Frauen bei einer Scheidung überhaupt die Forderung nach einer Aufteilung der Landrechte stellten. Und wenn die geschiedenen Frauen in ihre Heimatdörfer zurückkehren, dann haben sie möglicherweise auch dort keinen Grundbesitz mehr. Viele ziehen also in die Städte und müssen dort schlecht bezahlte Jobs annehmen.
Die Organisation Landesa schlägt deshalb vor, dass in den Landrechtszertifikaten alle Mitglieder eines Haushaltes aufgeführt und Ehefrauen neben ihren Männern als Haushaltsvorstände eingetragen werden sollten. Die All-China Women’s Federation, der offizielle Verband zur Vertretung von Frauen in China, unterstützt diese Forderung.
In Dadun hat ein Gericht die Klage der 92 Frauen auf gerechte Entschädigung angenommen. Dies sei außergewöhnlich, sagt die Anwältin Li Ying. „Wir haben es mit einem landesweiten Problem zu tun. Es gibt zwar viele Gesetze, die die Rechte von Frauen schützen“, sagt sie. „Das Problem sind aber die Traditionen und Gebräuche.“
So hatte der Chef des Dorfausschusses in Dadun dessen Entscheidung zugunsten der Männer für legal erklärt, obwohl damit die verbrieften Rechte der Dorfbewohnerinnen außer Kraft gesetzt werden. „Unsere Gesetze besagen eindeutig, dass alle Bürger, ungeachtet ihres Geschlechts oder Alters, dieselben Rechte haben“, sagt Anwalt Hu Qifang, der die Klägerinnen vertritt. Wie die meisten Dorfausschüsse sei auch der in Dadun fast ausschließlich mit Männern besetzt: Unter Dutzenden von ihnen dürften gerade einmal drei oder vier Frauen mit abstimmen.
Dem Entschädigungsmodell nach steht einer Familie für jeden Sohn ein Haus zu. Hat sie also drei Söhne, erhält sie drei Häuser. Eine Familie mit drei Töchtern erhält hingegen nur eines – für den Vater. Von den Frauen wird also erwartet, dass sie sich auf das Verantwortungsbewusstsein oder die Großzügigkeit ihrer männlichen Verwandten verlassen. „Wir machen uns Sorgen um unsere Zukunft“, sagt die 20-jährige Wu Yanjiao. „Wenn sie sich nicht mit ihren Brüdern verstehen, dann könnten Mädchen ohne Dach über dem Kopf dastehen. Und was passiert, wenn ich jemanden von außerhalb heirate und mich später scheiden lasse? Ich könnte nirgendwohin.“
In den Dörfern häufen sich Berichte über Zerwürfnisse innerhalb der Familien, Brüder und Schwestern streiten sich über die Entschädigungsregelung. Der 50-jährige Anwohner Li Qingquan sagt: „Ich habe Leute offen sagen hören, Mädchen seien zu nichts nutze, denn sie würden ja keine Häuser bekommen.“
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