Er strebt eine Umwälzung an, die Umwelt- verschmutzer abschafft, aber nicht ihn selbst
Prinz Charles hat sich noch nie davor gescheut, sich die Kugeln so richtig um die Ohren pfeifen zu lassen. Nun hat er ein Buch geschrieben, das er stolz als „Aufruf zu Revolution“ bezeichnet, und bar jeder Bescheidenheit spricht Seine Königliche Hoheit sich darin für Glück, nachhaltige Entwicklung und an unsere Lebensbedürfnisse angepasste Städte aus, um zugleich der Gier, den Hässlichkeiten und Umweltkatastrophen den Kampf zu erklären. Ob sein alter Herr wohl Wind von diesem subversiven Zeug bekommen hat? Verkauft der Prinz seit neuestem den aufrechten Arbeitern auf seiner offiziellen Residenz Clarence House die antikapitalistische Wochenzeitung Socialist Worker?
Harmonie ist ein Buch, das sich nur schwer zusammenfassen lässt. Abgesehen von den irischen Zwillingen, die unter dem Namen Jedward in Großbritannien durch eine Casting-Show bekannt wurden, und der marxistischen Literaturtheorie lässt Charles in seinem Werk kaum einen Aspekt dessen aus, was es seiner Ansicht nach bedeutet „bewusst und lebendig in diesem außergewöhnlichen Universum zu leben“. Einen roten Faden in Harmonie gibt es dennoch: das Bedürfnis, eine seelenlose Moderne zugunsten einer traditionelle Spiritualität aufzugeben.
Paarungsritual der Albatrosse
Die Bandbreite der behandelten Themen indes reicht von den Paarungsritualen der Albatrosse bis zur Sufi-Bruderschaft, vom Teppich-Weben in Afghanistan bis zu dem rätselhaften fünfzackigen Stern, der sich ergibt, wenn man die Umlaufbahn der Erde über die des Merkurs legt. Es enthält ein Zitat aus der Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistos („Wie oben, so auch unten. Wie unten, so auch oben“), das durchaus als verschlüsseltes Angebot des Prinzen verstanden werden kann, seinen Landsitz Highgrove mit dem Mieter einer Sozialwohnung zu tauschen. Wir schreiten von Überlegungen über die „Grammatik und Geometrie“ der Natur zu „Buthan, dem magischen Königreich in den Bergen“, wo – das vergisst das Buch allerdings zu erwähnen – Demokratie bis vor Kurzem ein Fremdwort war. Etwas widerwillig zollt der Prinz dem Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider Respekt („Wird er uns die Möglichkeit geben, unseren Platz in der Natur wiederzufinden?“). Uneingeschränkten Beifall gibt es hingegen für Termiten, Thomas von Aquin und den Garten des Prinzen in Highgrove, wo er „Feigen-, Granatapfel- und Olivenbäume“ anpflanzt, „denn sie werden im Koran erwähnt“. Das, so ist es wohl zu verstehen, ist Prinz Charles Beitrag zum Krieg gegen den Terror.
Doch Charles’ Revoluzzertum kennt ohne Frage auch seine Grenzen. Er strebt eine Umwälzung an, die gerade radikal genug ist, um moderne Architekten und Umweltverschmutzer loszuwerden, aber eben nicht so radikal, ihn selbst abzuschaffen. Unterdessen ist er gerne bereit seine Gedanken zu Francis Bacons Novum Organum, Marsilio Ficinos Wälzer über die platonische Theologie, Marinettis Futuristischem Manifest und einer Reihe anderer Texte mit uns zu teilen, die er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie gelesen hat. Auch bietet er uns scharfsinnige Einsichten in das Leben von Persönlichkeiten wie Justus von Liebig, David Bohm und Karlheinz Stockhausen, die er vermutlich nicht einmal kennt.
Das liegt daran, dass er als Mitglied der königlichen Familie Leute anstellen kann, die ihm das Lesen abnehmen. Zwei dieser loyalen Leser-cum-Schreiber, Tony Juniper und Ian Skelly, haben vermutlich die harten Passagen des Buches übernommen, in denen wir erfahren, wieviele Tankstellen es auf der Welt gibt, während der Prinz die moralisierenden Binsenweisheiten beisteuerte, die an die Floskeln auf Genesungs-Karten erinnern.
Wie bei vielen Coffeetable-Books ist auch bei diesem Band einer der attraktivsten Aspekte sein Geruch. Doch er enthält auch ein paar wirklich bezaubernde Bilder der ägyptischen Göttin Ma’at, des Prinzen, wie er auf dem Sofa sitzt und mit Wohlwollen einen Frosch betrachtet und verschiedene astrologische Zeichnungen unseres Kosmos’. Von etwas fragwürdigerem Geschmack ist hingegen ein Foto der Doppeltürme der Kathedrale von Chartres, über die gesagt wird, sie „glichen den beiden Fingern, die Christus empor hielt“.
Gesicht gegen Papier gepresst
Zu den bekannten Symptomen der Paranoia zählt, dass ein Patient überall die gleichen organischen Muster zu erkennen meint. Im Fall des Prinzen bedeutet es jedoch einen Einblick in die fundamentalen Rhythmen des Universums. Würde man das Gesicht gegen ein großes Stück Papier an eine Wand pressen, so erzählt der Prinz, und dann mit mehreren Bleistiften in der Hand mit den Armen natürliche Bögen zeichnen, so würde man ganz automatisch bestimmte kosmisch symbolische Kreise erzeugen. Er vergisst zu erwähnen, dass man außerdem wie ein Vollidiot aussehen würde. Charles hat ohne Frage Zeit für diese Form des Dialogs mit dem Universum, andere eher nicht.
Aber warum hat man einen Haufen Geld, wenn nicht, um sich über den Alltagskram keinen Kopf machen zu müssen und frei zu sein, die Gedanken spirituelleren Angelegenheiten zuzuwenden – zum Beispiel den mystischen Proportionen des Goldenen Schnitts und der Frage, weshalb alle in den Tiefen einer Rezession so unpoetisch Themen wie Wachstum und Arbeitslosigkeit breittreten. Der Prinz ist höchst argwöhnisch gegenüber wirtschaftlichem Wachstum – soll heißen, eher gegenüber der Gier der Anderen nach Besitztümern, als gegenüber seiner eigenen.
Tories der alten Schule wie Prinz Charles unterstützen ein System, das Materialismus und kulturellen Schwachsinn hervorbringt, dann schlagen sie mit vornehmem Entsetzen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie sehen, was sie mit ins Leben befördert haben. Auch wenn er vielleicht nie etwas von ihm gehört hat – ein Defizit, das ihn nicht bremsen sollte –, so sollte Seine Königliche Hoheit sich an Bertolt Brechts Parabel vom sorgenschweren König des Ostens erinnern, der seine Weisen um sich scharte und ihnen auftrug, die Quelle all des Elends in der Welt zu erforschen. Die Weisen ermittelten ordnungsgemäß und kehrten mit der Antwort zu dem König zurück, dass die Quelle all diesen Leids er selber sei.
Terry Eagleton ist Literaturprofessor der Lancaster University und Autor des GuardianÜbersetzung: Christine Käppeler
Harmonie: Eine neue Sicht unserer WeltThe Prince of Wales Übersetzung Erika Ifang, Riemann 2010, 384 S., 24,95
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