Bei den Morgans in London ist es Zeit fürs Abendessen. Der dreijährige Zaide schiebt sein Essen mit einem Löffel auf dem Teller hin und her. Als er probiert, heult er auf: Es ist ihm zu heiß. Sofort springen die am Tisch sitzenden Erwachsenen auf, um ihm zu helfen: „Bauchmama“ Sabrina Morgan, seine leibliche Mutter, seine „Mama“ Kirsty Slack und sein Papa Kam Wong. Ähnliche Szenen kennt jeder, der Kindertränen am Esstisch kennt. Nur dass in unserem Fall eben drei Erwachsene aufspringen. Das Besondere an ihnen ist nicht, dass sie alle homosexuell sind und ihren Sohn lieben – das wäre ja nichts Neues mehr –, sondern dass sie sich im Internet kennengelernt haben, um ihn zu zeugen.
Sabrina wollte ein Kind, war aber Single und lesbisch. Kam wollte ein Baby, liebt aber Martin, der sein Leben nicht rund um die Uhr mit einem Kind teilen wollte. (Mittlerweile spielt Martin allerdings eine recht große Rolle in Zaides Leben.) Kirsty wollte auch ein Kind, wollte es aber nicht austragen. Ihnen allen fehlte ein entscheidendes Teil in ihrem Puzzle. Während Sabrina und Kirsty sich auf traditionelle Weise kennenlernten, fanden Kam und Sabrina – Zaides biologische Eltern – sich im Internet. Dort hatten sie gezielt nach jemandem gesucht, mit dem sie ein Kind bekommen könnten. Jetzt wird Zaide bald vier, und sie wollen es mit einem zweiten Kind versuchen.
Die Websites boomen
Immer mehr Menschen mit Kinderwunsch, die sich fürs „Co-Parenting“ – die gemeinsame Erziehung eines Kindes durch zwei oder mehrere Menschen, die keine Liebesbeziehung miteinander führen oder geführt haben – entscheiden, finden sich mithilfe von Online-Portalen. Diese Seiten, die wie Kontaktbörsen funktionieren, melden einen gewaltigen Anstieg an Nutzern. Am meisten sind es in New York, darauf folgen Los Angeles und London.
Dabei müssen selbst die liberalsten Geister ihre Vorstellungen neu justieren, wenn sie von dem Konzept erfahren. Co-Parenting ist keineswegs nur für homosexuelle Menschen mit Kinderwunsch ein Thema. Die entsprechenden Websites haben viele heterosexuelle Nutzer – diese haben meist das Gefühl, die Zeit laufe ihnen davon. Sie kommen zu dem Schluss, es sei besser, mit einem „Co-Parent“ ein Kind zu haben, als auf eine große Liebe zu warten, die man womöglich nie trifft.
„Mein Gott, wie weit ist es mit uns gekommen?!“ – so oder ähnlich lautet die konservative Reaktion häufig. Verbunden mit der Vorstellung, ein Kind, das nicht aus Liebe gezeugt wird, sondern Produkt der „Selbstsucht“ zweier Menschen ist, sei quasi schon von vornherein dem Unglück geweiht.
Sabrina sagt, wer so rede, denke, „man setze ohne echte Liebe und Moral Kinder in die Welt, und das sei unnatürlich und nicht richtig. Ich halte da entgegen: ,Warte mal einen Augenblick. Du bist doch geschieden. Wo liegt der Unterschied? Nur weil wir nicht mit Kam schlafen, heißt das nicht, dass wir ihn als Mann und Vater unseres Sohnes nicht respektieren würden.’“
Aber wie sucht man im Netz einen Vater oder eine Mutter, mit dem oder der man viele Jahre ein Kind großzieht? Mitten in der Nacht Fieber messen, zum Kinderarzt rennen, Kitafeiern und Schultheateraufführungen zu ungünstigen Tageszeiten, Sport und jede Menge anderer Termine, die ganzen Erziehungsfragen, all das Finanzielle und Organisatorische und offen gesagt – der ganze Stress! Was macht man, wenn sich der oder die Auserwählte später als Freak entpuppt? Sollte man es vor diesem Hintergrund nicht lieber allein versuchen, sich als Frau künstlich befruchten lassen oder als Mann eine Leihmutter suchen?
Die Welt ist reif fürs Co-Parenting
„Nicht doch“, ruft die heterosexuelle Co-Parent-Mutter Rachel Hope aus Los Angeles, wenn man sie genau das fragt. „Warum sollte man sich dafür entscheiden, sein Kind allein zu erziehen, wenn man es mit jemand anderem zusammen tun kann?“ Hope ist eine Vorreiterin des Co-Parenting. Sie hat das Konzept praktiziert, lange bevor es zum Trend wurde. Heute, sagt sie, sei sie überglücklich. Seit sie mit einem Freund zusammen ihren heute 22-jährigen Sohn durch natürliche Befruchtung und mit einem anderen Mann ihre vier Jahre alte Tochter durch künstliche Befruchtung bekam, hat die Welt sich weiterentwickelt.
Hope ist bei ein paar Co-Parenting-Portalen angemeldet. Unter anderem bei Modamily. Wie andere Seiten auch bietet Modamily einen „Concierge-Dienst“ an, bei dem potenzielle Eltern zusammengebracht werden. „Ich musste mich 15 Jahre demütigen lassen. Auch als ich nach einem dritten Co-Parent suchte, hielten die Leute mich für nicht ganz dicht. Doch jetzt hat die Welt endlich zu mir aufgeschlossen“, sagt Hope. „Endlich kann ich mir von vielen Männern, die alle hervorragend geeignet sind, einen aussuchen. Auf einmal hab ich die Qual der Wahl. Das ist irgendwie auch ein Schock.“
Tipps für das gute Gelingen hat Hope auch. So sollte man unbedingt die Finger von den Spinnern lassen, die sofort zur Sache kommen wollen, ohne vorher zumindest ein Jahr harter Arbeit zu investieren. Hope schreibt gerade an einem Buch für potenzielle Co-Parents. Sie macht darin deutlich, wie wichtig es ist, Vorkehrungen zu treffen: für die eigene Sicherheit (manche Männer suchen auf den Seiten nur nach Sex-Kontakten) wie auch für jede zukünftige „Beziehung“ – was umso wichtiger ist, als ein Kind involviert sein wird.
Rat von außen
Modamily-Gründer Ivan Fatovic kann diese Regeln nur bestätigen. Zwei Drittel der Nutzer seiner Seite seien Frauen, meist zwischen 35 und 45 Jahren. Nur 20 bis 25 Prozent der Nutzer sind homosexuell. Die Seite, die Fragenkataloge, Beratung und Profiling anbietet, wächst so schnell, dass Fatovic zusätzliche Mitarbeiter einstellen muss. Das berichten auch andere Co-Parenting-Seiten. „Die Beziehung wird schwieriger als das Kennenlernen, schließlich geht man eine lebenslange Verpflichtung ein“, gibt Fatovic zu bedenken. Es sei wichtig, die Einschätzung eines Therapeuten oder eine andere Form der Beratung einzuholen.
„Man braucht ein dickes Fell“, sagt Hope. „Wer sich nach einem Baby sehnt, hat sehr daran zu knabbern, wenn er zurückgewiesen wird. Vielen kann das das Herz brechen.“ Sie selbst hat gerade so eine Zurückweisung erfahren. Einer der Männer, die sie im Netz kennengelernt hatte, ist im Laufe der Zeit zu einem guten Freund geworden. In Bezug auf das gemeinsame Kind hat er ihr aber abgesagt, weil es organisatorisch für ihn nicht funktionieren würde. Er will nicht aus Las Vegas weg und hat sich jetzt mit seinem Lebenspartner dafür entschieden, eine Leihmutter zu suchen. Hope macht ihm keinen Vorwurf. Aber sie hat Zeit verloren. Eigentlich wollte sie im Januar schwanger werden. „Meine Uhr tickt und ich habe das Gefühl, dass mir die Zeit davonrennt. Das stresst mich ganz schön.“
Bei Kam, Sabrina und Kirsty ist der Familienalltag klar geregelt. Kam nimmt Zaide jedes zweite Wochenende und kommt mittwochs zum Abendessen vorbei. Finanziell beteiligt er sich nicht an Zaides Leben bei seinen Müttern. Aber er spart für die Ausbildung des Jungen. Die drei Eltern halten ständig Kontakt. Nach den sechs Jahren, die es dauerte, bis Zaide kam, waren sie ohnehin beste Freunde geworden, sagt Sabrina: „Jeden Monat, wenn ich wieder nicht schwanger geworden war, habe ich geweint. Ich habe Kam gesagt: ‚Du musst das nicht mit mir weitermachen‘. Aber er ist immer bei mir geblieben.“
Dann, nach drei Jahren ohne Erfolg, kam Kirsty hinzu. „Zuerst hatte ich Angst, nicht dazuzupassen“, erzählt sie. „Als ich Kam dann aber kennenlernte, mochte ich ihn sofort.“ 2009, nach dem ersten künstlichen Befruchtungsversuch, war es so weit: Sabrina, Kirsty und Kam standen am Anfang ihres neuen Lebens als junge, ungewöhnliche Familie. In Kirstys und Sabrinas Wohnung hängen überall Fotos – sie sollen Zaide ein Gefühl dafür vermitteln, wo er herkommt.
Hänseleien für die Kinder?
„Solange Kinder klein sind, halten sie ihr Leben für die Normalität“, sagt die Kinderpsychologin Carol Burniston. „Wenn sie älter werden, könnte es sein, dass es zu Hänseleien kommt. Wichtig ist, wie die Erwachsenen damit umgehen, welche Botschaft sie dem Kind vermitteln und dass sie es unterstützen.“ Davon, dass Zaide wohl mehr Vorurteilen begegnen wird als andere Kinder, kann man ausgehen. Wenn man ihn aber sieht – umgeben von viel Liebe und Hingabe –, was soll daran falsch sein?
„Wir drei wissen alle, dass nicht jeder bei unserem Anblick denkt: Guck mal, was für eine tolle Familie“, sagt Sabrina. „Aber wir wünschen uns Respekt.“ Sie hat feuchte Augen, als sie hinzufügt: „Ich kann gar nicht glauben, was für ein Glück wir haben.“
Louise Carpenter schreibt für den Observer.
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