Ein paar Meter neben einer unbefestigten Straße bauen zwei Brüder zwischen struppigen Palmen ein Haus. Ihr drittes in weniger als zehn Jahren! Sie hoffen dabei, es wird länger stehen als die anderen. Ihre Namen wollen die beiden nicht nennen, sie haben Angst vor dem Geheimdienst. Aber ihre Geschichte ist keine ungewöhnliche. Nicht in der Kleinstadt Kilinochchi, nicht im Norden Sri Lankas, jenem Gebiet, in dem die separatistischen Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) einen De-facto-Staat geführt haben.
In der Gegend hier wird überall gebaut. In Kilinochchi gibt es gut vier Jahre nach der Vertreibung der LTTE durch die Armee Sri Lankas neue Banken, Läden und Straßenlaternen, ein Internetcafé und einen Bahnhof, der nach frischer Farbe riecht. Dreimal am Tag fährt ein Zug in das 320 Kilometer weiter südlich gelegene Colombo. Die beiden Männer, die noch einen Bruder hatten, der für die LTTE kämpfte und während der letzten Tage des Bürgerkrieges im Mai 2009 getötet wurde, aber empfinden nichts von all dem als Fortschritt. „Früher waren Frauen hier sicher, jetzt nicht mehr. Früher konnten wir frei reden, jetzt nicht mehr. Freiheit und Frieden sind Phrasen, sonst nichts.“
Solche Gefühle sind im Norden so selbstverständlich wie die Baustellen. Die Tamilen sind hier in der Minderheit. Bisher jedoch blieb jede Untersuchung von Kriegsverbrechen aus, die das von der singhalesischen Mehrheit dominierte Militär in der letzten Kriegsphase an den Kämpfern der Tamil Tigers verübt haben soll. Wer nach Schuld und Sühne fragt, wird eingeschüchtert. Mit anderen Worten: Eine Aussöhnung wird erst dann gelingen, wenn es mit der kollektiven Amnesie der Singhalesen vorbei ist.
Paikiasothy Saravanamuttu, Anwalt in Colombo, ist davon überzeugt, dass nur internationaler Druck einen widerwilligen Präsidenten Mahinda Rajapaksa bewogen hat, erstmals seit 25 Jahren wieder Regionalwahlen abzuhalten. Deren Ergebnis zeigt, dass das Aufbaufieber die Tamilen keineswegs von ihrer separatistischen Idee abgebracht hat. Obwohl die Armee versucht hat, Wähler und Kandidaten einzuschüchtern, gewann die Tamil National Alliance, einst der politische Arm der LTTE, 30 von 38 Sitzen im Regionalparlament. Präsidentenbruder Basil Rajapaksa warf den Wählern daraufhin vor, „mit dem Herzen statt mit dem Kopf“ abgestimmt zu haben. Die regierende United People’s Freedom Alliance (UPFA) scheint wenig geneigt, dem Norden eine größere Autonomie einzuräumen. Stattdessen sollen Wachstum und Infrastruktur die Tamilen dazu bringen, „nicht weiter die ethnische Karte auszuspielen“, wie es ein UPFA-Politiker formuliert.
Im Vorjahr wurden im Norden doppelt so viele Autos angemeldet, wie 2009 auf allen Straßen Sri Lankas unterwegs waren. Auch kamen Tausende Hektar landwirtschaftlicher Fläche unter den Pflug, die seit Ende des Bürgerkrieges brach lagen. Viele Tamilen haben – wie die Brüder in Kilinochchi – gebaut, weil sie einen sicheren Arbeitsplatz fanden. Mit anderen Worten, die Lebensumstände Hunderttausender, die 2009 während der letzten Gefechte vertrieben wurden, haben sich verbessert. Freilich wirkt diese Blüte häufig wie eine Scheinblüte. „Die Schulden privater Haushalte sind in die Höhe geschossen. Viele können das Geliehene nicht zurückzahlen“, sagt der Wirtschaftsanalyst Ahilan Kadirgamar. Ein solcher Schuldner ist Sanmugam Sivalingam, der sich vor Jahresfrist 46.000 Rupien (ca. 2.500 Euro) geliehen hat, um eine Rikscha zu kaufen. Nun wartet er vor dem neuen Bahnhof von Kilinochchi auf Kunden, verdient dort an guten Tagen 700 Rupien (vier Euro), muss aber monatlich knapp 1.800 Rupien zurückzahlen und bleibt so oft hungrig.
Posieren mit Soldaten
Die Regierung setzt bei ihrer Strategie, Separatismus durch Aufbau und Kredite einzudämmen, darauf, dass die Tamilen zuletzt von den LTTE schwer enttäuscht waren. Die zwangsweise Einberufung eines Mannes oder einer Frau pro Haushalt noch 2009 hatte selbst die Loyalsten desillusioniert. Zeugen schildern, Tausende LTTE-Kämpfer hätten ihre Waffen zu guter Letzt einfach weg geworfen und seien desertiert.
Inzwischen aber werde beim Blick vieles verklärt und relativiert, meint ein langjähriger LTTE-Aktivist, der sich für die Rechte der Tamilen einsetzt. „Der Krieg hätte sechs Monate früher enden sollen, Tausende Leben wären gerettet worden. Bei den letzten Schlachten gab es nichts Heroisches mehr, trotzdem wird die Legende verbreitet, genau das sei der Fall gewesen. Das beleidigt die Gefallenen.“ Es passt zu diesen Mythen, dass der tote LTTE-Führer Velupillai Prabhakaran, der für Morde an Tamilen wie Singhalesen gleichermaßen verantwortlich gemacht wird, weiter als Widerstandsikone gefeiert wird.
Auch für die im September gewählte Provinzabgeordnete Ananthi Sasitharan ist jüngste Geschichte kein toter Hund. Ihr Ehemann, erzählt sie, sei ein LTTE-Führer gewesen und zähle zu Hunderten von Kämpfern, die seit Ende des Kriegs im Mai 2009 als vermisst gelten. Vermutlich sei ihr Mann kurzerhand von Soldaten hingerichtet und verscharrt worden. „Ich gehe nur deshalb in die Politik, um herauszufinden, was wirklich passiert ist, und den Frauen zu helfen, die ebenfalls ihre Männer suchen. Der Krieg hat viel Leid gebracht, das stimmt, doch als die Tamil Tigers die Macht hatten, war unser Leben glücklicher.“
Die Armee bleibt im Norden omnipräsent, auch wenn der in Jaffna stationierte Kommandeur darauf besteht, die Zahl seiner Soldaten sei viel geringer als behauptet. Martialische Denkmäler allerorten beschwören den Sieg über die „Terroristen“. Was die Tamilen darüber denken, interessiert nicht weiter. In Kilinochchi wurde aus einem Wasserturm, den LTTE-Kämpfer bei ihrer Flucht aus der Stadt einst sprengten, eine gepflegte Touristenattraktion. Es wird Apfelsinen-Eis am Stiel verkauft, und eine Plakette erinnert an die Eröffnung durch Namal Rajapaksa, den 27-jährigen Sohn des Präsidenten. Singhalesische Touristen machen Fotos und posieren mit einer Armeepatrouille. Viele von ihnen empfinden die tamilischen Mitbürger als fortgesetzte Bedrohung: „Der Terrorismus kann jederzeit zurückkehren“, glaubt ein Regierungsbeamter.
Sasitharan – die neue, nach ihrem Mann forschende Abgeordnete der Provinzkammer – kann die Touristen nicht ausstehen und zürnt. „Sie haben unsere Gesellschaft ausgelöscht und ihre Monumente errichtet. Und nun kommen sie her, um sich an dieser Zerstörung zu erfreuen. So heilt man keine Wunden.“
Jason Burke ist Buchautor und Südostasien-Korrespondent des Guardian
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.