Cash Transfers Das spannendste neue Konzept zur Bekämpfung der weltweiten Armut hat nicht mit Gipfeltreffen oder dem Bau von Wasserkraftwerken zu tun, sondern mit Kung-Fu-Filmen
Mitte der neunziger Jahre arbeitete Claire Melamed in einem Ort im Norden von Mosambik. In Nacuca gab es keinen Strom, kein fließendes Wasser und Zerstreuungen waren für die Bewohner ein kostbares Gut. Immer wieder wurde die Entwicklungshelferin von den Einheimischen gefragt: „Wir müssen hier leben, aber warum hast du dich entschieden, zu bleiben?“ Dann kamen eines Tages Besucher ins Dorf und mit ihnen änderte sich die Stimmung. Die Männer hatten als Soldaten in Mosambiks langem Bürgerkrieg gekämpft. Wie rund 90.000 andere Ex-Soldaten bekamen sie seit ihrer Entlassung aus dem Kriegsdienst monatlich 15 Dollar aus Spendengeldern, um ein Geschäft aufzubauen. Dieser Trupp hatte sein Geld zusammengelegt, um ein Fernsehgerät, einen Videore
orekorder und einen Stromgenerator zu kaufen.Alte Bruce-Lee-VideosDie Ex-Soldaten tourten in ganz Mosambik durch die Dörfer und zeigten Der Mann mit der Todeskralle und Todesgrüße aus Shanghai – gegen Geld. Wer keines hatte, konnte mit Mais bezahlen. Im abgelegenen Nacuca kamen sie extrem gut an, sie blieben mehrere Tage und zeigten immer wieder ihre Filme. Was die eingangs erwähnte Claire Melamed dabei beobachten konnte, war einer der ersten groß angelegten Versuche mit so genannten Cash-Transfers, die heute zu den meist diskutierten Ansätzen in der Entwicklungshilfe zählen. Der Gedanke dahinter ist, dass bedingungslose Geldzahlungen effektiver als Hilfsgüter sein können. Just Give Money to the Poor, so auch der Titel eines aktuellen Buches. Die Autoren Joseph Hanlon, Armando Barrientos und David Hulme zählen 45 Länder auf, in denen mehr als 100 Millionen Familien Geldzahlungen erhalten. In Brasilien wird armen Familien in Lotto-Läden Geld ausgehändigt, in Namibia fahren Pick-Up-Trucks übers Land, die mit Geldautomaten bestückt sind, aus denen sich alte Damen ihre monatliche Rente ziehen können.Es klingt so offensichtlich, dass man sich an den Kopf greifen will: Bargeld geben, machen wir das nicht jedes Mal, wenn wir Geld in einen Umschlag stecken oder einen Scheck an eine Hilfsorganisation ausstellen? Doch dieses Geld – egal, ob es nun von Einzelpersonen, Regierungen oder internationalen Organisationen wie der Weltbank kommt – erreicht Afrika und Asien normalerweise in Form von Straßen, Schulen oder vielleicht Radiosendern. Der Gedanke dahinter ist, dass man den Armen die Infrastruktur und Ausbildung zur Verfügung stellt, die sie brauchen, um der Armut zu entfliehen. Doch ich sollte wohl besser sagen, das war der Gedanke. Wenn wir auf die vergangenen Jahre zurückblicken, dann müssen wir feststellen, dass sich das Goldene Zeitalter der Entwicklungshilfe dem Ende zuneigt.Auf den Kopf gestelltAutoren wie Bill Easterly und Dambisa Moyo ernten Applaus für Bücher mit Titeln wie Dead Aid. Unter dem Eindruck der Rezession vermeiden es die Politiker bei Veranstaltungen wie dem G20-Gipfel in Toronto, die Versprechen, die den afrikanischen Ländern 2005 beim G8-Gipfel in Gleneagles gemacht wurden, auch nur zu erwähnen. Wenn dann doch Regierungsgelder locker gemacht werden, versanden sie oft in den unmöglichsten Projekten.Und so erscheint es ziemlich attraktiv, einen ordentlichen Brocken der 100 Milliarden Dollar Hilfsgelder direkt den 1,4 Milliarden Menschen, die mit weniger als 1,25 Dollar am Tag auskommen müssen, zukommen zu lassen. Weniger krumme Geschäfte, weniger Papierkram. Bemerkenswert ist dabei auch, dass diese Initiative im Wesentlichen von den armen Nationen ausgeht – meist unter dem Druck der Not der Ärmsten. Unterdessen streiten die reichen Länder noch darüber, wieviel sie geben wollen und in welcher Form.Die Welt der Hilfsgüter wurde damit auf den Kopf gestellt. Vor ein paar Jahren testete Oxfam das Konzept in einigen vietnamesischen Dörfern. Ihre Mitarbeiter gaben über 400 Familien auf einmal das Dreifache ihres Jahresgehalts. Als sie später in das Dorf zurückkehrten, stellten sie fest, dass die Armut rapide gesunken war. Das Geld war größtenteils vernünftig in Nahrungsmittel oder Dünger, Samen und Kühe investiert worden. Die Älteren hingegen hatten einen Teil des Geldes für Särge ausgegeben, mit der Erklärung, dass Beerdigungen zu den härtesten Ausgaben für die Familien zählen. Eine Gruppe hatte ein Gemeindehaus gebaut, um dort Yoga zu praktizieren. Hillary Clinton schrieb einmal, man brauche ein Dorf um ein Kind großzuziehen; dieses Beispiel zeigt, dass man mit ein paar Millionen vietnamesischen Dong ein Dorf in ein schmuckes Notting Hill verwandeln kann.Resultate wie dieses haben den Autor Joe Hanlon zu der Forderung veranlasst, dass die Millionen, die in Gleneagles versprochen wurden, direkt in die Taschen der Menschen gelangen sollten. Diese Forderung geht zu weit: Einzelne Spenden können Schulen und Krankenhäuser nicht ersetzen. Geldzahlungen können das beste Mittel sein, wenn gewisse Anlagen und Möglichkeiten bereits vorhanden sind – und Menschen, die beides zu nutzen wissen. Wie Richard Dowden von der Royal African Society betont: „Dorfgemeinschaften werden oft von den Ältesten, den Vorständen oder Königen streng kontrolliert. Wenn man ländlichen Kommunen einfach Dollarscheine hinhält, dann riskiert man, diese Hierarchien zu verfestigen.“Doch abgesehen von diesen Vorbehalten wird das Konzept immer populärer. In New York gab es sogar einen Versuch, bei dem armen Bürgern Geld ausgehändigt wurde, wenn sie ihre Kinder in die Schule schickten. Das Konzept der Cash Transfers entstand in einem armen Land, doch die Idee lässt sich erfolgreich exportieren. Ganz ähnlich wie Bruce-Lee-Filme.
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