Niemand weiß, was das nächste Jahr für den hellenischen Staat bringen wird, nur eines ist sicher: Den großen Kassensturz gibt es im April 2014, wenn die Kreditzahlungen und Bürgschaften der Euro-Länder auslaufen. Was danach kommt, weiß niemand. Zur Auswahl stehen das Rettungspaket Nr. 3 oder der Schuldenschnitt Nr. 2 (s. Übersicht). Sicher ist nur eines, wenn die Eurozone fortbestehen soll, wie sie jetzt existiert, werden weitere Hilfsmaßnahmen unerlässlich sein. Aufgetürmt ist ein Schuldenberg von augenblicklich 230 Milliarden Euro, der Generationen von Griechen belasten und beschäftigen wird, die heute noch gar nicht geboren sind.
So hat wohl Finanzminister Wolfgang Schäuble Athen vor ein paar Tagen auch deshalb besucht, um die Regierung von Premier Antonis Samaras zu vergattern, sich zumindest in öffentlichen Statements keine allzu großen Hoffnungen auf einen erneuten Schuldenerlass zu machen. Der müsste diesmal bekanntlich die öffentlichen Gläubiger und damit sämtliche Euro-Staaten treffen, die für Kredite an Griechenland gebürgt haben. Nicht nur Deutschland und Frankreich, kleine Länder wie die Slowakei, Slowenien oder Litauen wären ebenso betroffen und die Investoren erneut verunsichert. Außerdem gibt es da die kaum zu unterschätzende Gefahr des unerwünschten Präzedenzfalls.
Auch andere Euro-Staaten mit Gesamtschulden knapp unterhalb oder oberhalb der jährlichen Wirtschaftsleistung könnten für sich einen Schuldenschnitt reklamieren. Es reicht die Ahnung einer solchen Kettenreaktion, und die Währungsunion könnte über Nacht in das Jahr 2010 zurückversetzt sein, als im April/Mai das griechische Virus auf Portugal, Irland sowie später auf Spanien übergriff und die Währungsunion von einem gefährlichen Schüttelfrost befallen war. Durch die zögernde Haltung Deutschlands kam das erste Rettungspaket seinerzeit schlichtweg zu spät, um den Herdentrieb der Märkte aufhalten zu können. Wenn Griechenland nicht mehr zahlungsfähig ist, wie verhält es sich dann mit den Staaten, die ebenfalls an der Abbruchkante zur Insolvenz balancieren, fragten die Gläubiger.
Kaum verwunderlich, dass Schäuble gut drei Jahre später als Emissär einer verhassten Regierung nach Athen kam, die sowohl wegen der von ihr verhängten brutalen Sparmaßnahmen als auch wegen der Art geächtet wird, wie sie diese durchsetzt. Es gibt niemanden, der stärker mit der außer Kontrolle geratenen Arbeitslosigkeit und der um sich greifenden Verarmung identifiziert wird als die Regierung Merkel. Es wäre dumm, dies leugnen zu wollen. Warum sonst glaubte die Polizei, Athen in eine Art Garnisonsstadt verwandeln zu müssen, indem sie mit weiträumigen Straßensperren einen Sicherheitskordon aufzog, wie man ihn selten erlebt hat.
Nur eine PR-Kampagne
Schäuble hat auf diese Hermetik mit einer Charme-Attacke reagiert, die nur wenige dem für seinen Jähzorn bekannten Politiker zugetraut hätten. Er ließ keine Gelegenheit aus, um zu sagen, wie sehr er sich freue über Fortschritte, die Griechenlands Ökonomie angeblich verbuchen kann. „Dieser Besuch ist ein Ausdruck unseres Vertrauens“, so der Minister. „Ich bin nicht als Lehrer gekommen, der Ratschläge erteilt.“ Die versammelte Presse glaubte, sich verhört zu haben, aber augenscheinlich war das nicht der Fall, denn Schäubles Amtskollege Yannis Stournaras stieg auf diese Offerte gern ein und behauptete einfach, mit diesem Besuch, knapp zwei Monate vor den Wahlen zum deutschen Bundestag, werde eine „Botschaft des Beistandes für die Griechen“ überbracht.
Allerdings deuteten Vertreter der Regierungskoalition hinter vorgehaltener Hand an, Schäuble sei in den Verhandlungen vor allem „grob und aggressiv“ gewesen. Griechenland bleibe infolge der von Berlin verordneten Medizin in einer wirtschaftlichen Todesspirale gefangen, seine Kennziffern würden stetig schlechter. „Insofern war dieser Besuch nichts weiter als eine PR-Kampagne und der Versuch, Griechenland als Erfolgsgeschichte zu verkaufen und zu behaupten, es winke kein nächster Schuldenschnitt“, sagt ein Berater des griechischen Finanzministers. „Dabei wissen wir alle, dass das nicht stimmt, denn die Folgen der jüngsten Sparmaßnahmen werden erst in den kommenden Monaten richtig und schmerzhaft spürbar.“
Die Entscheidung, bis Ende 2014 25.000 Angestellte im öffentlichen Dienst zu entlassen – ein Aderlass, auf dem Wolfgang Schäuble beharrlich bestanden hat –, könnte das Fass endgültig zum Überlaufen bringen. Bei einer Arbeitslosenrate um die 27 Prozent müssen sich bereits 1,3 Millionen Menschen ohne Beschäftigung durchschlagen. Wer noch seinen Arbeitsplatz hat, erzielt um die 25 Prozent geringere Einkünfte und trägt um das Zehnfache (!) höhere Steuerlasten.
Als die jüngst beschlossenen Kürzungen im Parlament debattiert wurden, warnten die Vertreter der Linksallianz SYRIZA, der größten Oppositionsfraktion, das Land befinde sich gegenwärtig nicht nur „unter deutscher Besatzung“, sondern bewege sich auch auf einen Bürgerkrieg zu. „Uns hört keiner mehr zu. Die Griechen glauben nicht mehr, dass es noch schlimmer kommen kann“, meint ein Insider mit guten Kontakten zur Regierung Samaras. „Was geschieht, halten sie bereits für das Worst-Case-Szenario – und das ist erschreckend.“
Helena Smith ist Griechenland-Korrespondentin des Guardian
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