Ein Superschurke

Humorkritik In den USA wird über den Gehalt der Satire gestritten, die den Präsidenten zum Gegenstand hat - Auslöser ist eine Darstellung Obamas als sozialistischer Joker

"Und ich dachte, meine Witze sind schlecht!", feixt der von Heath Ledger verkörperte Joker in der Batman-Episode The Dark Knight. Dieser Tage steht die Figur im Zentrum einer Debatte um fragwürdigen Humor, die allerdings nichts mit ihren Scherzen zu tun hat. In Los Angeles und anderen Teilen der Vereinigten Staaten ist ein Poster aufgetaucht, das US-Präsident Barack Obama als eben jenen Superschurken zeigt. Unter seinem geschminkten Gesicht ist das Wort Sozialismus zu lesen. Wer die Plakate aufgehängt hat, ist nicht bekannt, jedoch hat hiermit erstmals eine Negativdarstellung Obamas Zugkraft innerhalb des Mainstreams gewonnen. Und Amerikas Rechte hat zum ersten Mal Streetart erfolgreich zu ihren Zwecken eingesetzt. Ist das Poster aber auch gefährlich? Und ist es überhaupt gut?

Die Streetart ist traditionell das Medium der Entrechteten und Geächteten. Diese Qualität machte sie denn auch im letztjährigen Wahlkampf zu einem solch wirksamen Werkzeug für die Obama-Unterstützer – bekanntestes Beispiel ist wohl das Bild Hope von Shepard Fairey. Heute sehen sich, ob gerechtfertigt oder nicht, sei dahingestellt, viele der Gegner Obamas als entrechtete Außenseiter. Die Inanspruchnahme der Streetart ist eingeschickter Weg, dieses Gefühl zu artikulieren. Rhetorisch wird dadurch die neue Regierung als die "Macht" oder gar "Tyrannei", ihre Gegner hingegen als Rebellen dargestellt. Die Wahl des Mediums ist also klug. Die Botschaft nicht ganz so sehr.

Die Ikone

Was die visuelle Angemessenheit betrifft, ist das Bild flach. Die Ikonographie des Jokers – grüne Haare, weißes Gesicht, rote Lippen und (zumindest in der dunkler Ritter-Version) schwarz umrandete Augen – besteht in einer jener kräftigen Farbkombinationen, die sich auf eine breite Palette von Zwecken anwenden lassen. (Ein anderes Beispiel ist Andy Warhols Marilyn, die sogar noch erkennbar ist, wenn sie auf unpassendste Weise zweckentfremdet wird. Tatsächlich wurde bei der Werbekampagne zu The Dark Night großer Wert auf die Übertragbarkeit des oftmals auf einen roten, zur Grimasse verzogenen Mund und kohleschwarze Augen reduzierten, Joker-Looks gelegt. Sogar Enblemen des amerikanischen Patriotismus wurde er aufgedrückt. Rasch machten die Fans ihn sich zu domestizierteren Zwecken zu Eigen. Halloween 2008 gehörte der Joker dann neben Sarah Palin in rotem Anzug zu den beliebtesten Verkleidungen (wie die halbe Darstellerriege der NBC-Serie The Office hier demonstriert.

Es gab wohl nur ein Bild, dass im vergangenen Jahr einen größeren Siegeszug durch die visuelle Popkultur Amerikas nahm, als Ledger’s Joker: Fairey’s Obama. In der jüngsten Geschichte hat kein anderer Politiker – und erst recht kein bloßer Kandidat - so schnell und nachhaltig Ikonenstatus erreicht wie Obama im Jahr 2008. Allein schon aus diesem Grund ist die Tatsache, dass sein Look und der des Jokers nun zusammengebracht wurden, weniger überraschend als die Tatsache, dass dies nicht schon früher geschehen ist. Eigentlich hat es sogar bereits jemand getan: Die australische Künstlerin James Lillis, allerdings mit anderer Schlagrichtung.

Und auch das "neue" Poster ist eigentlich bereits recht alt. Erstmals wurde es im April gesichtet. Es basiert offenbar auf einem Bild des Chicagoer Studenten Firas Khateeb, das schon vor der Vereidigung Obamas bei Flickr hochgeladen wurde. Doch erst jetzt, da sich Obamas Pläne für eine Gesundheitsreform zum Fokus der Opposition entwickeln, kommt die Sache in Gang. Auch die Idee des Joker-in-Chief ist nicht neu. Die US-Seite Newsbusters weist darauf hin, dass die amerikanische Vanity Fair schon vergangenes Jahr ein Bild des im Joker-Stil aufgemachten damaligen Präsidenten George W. Bush brachte, allerdings ohne das Aufsehen zu erregen, den das Obama-Poster ausgelöst hat. Zu denen, die sich jetzt entrüsten, gehört unter anderen der Präsident des Los Angeles Urban Policy Roundtable, Earl Ofari Hutchinson. "Den Präsidenten als dämonisch und sozialistisch darzustellen geht über politische Verballhornung hinaus", sagte er Berichten zufolge. "Es ist böswillig und gefährlich."

Nun kann man einem amerikanischen Präsidenten nicht übler verunglimpfen, als mit dem Vorwurf Sozialist zu sein. Doch ist nicht jeder amtierende Präsident, auch ein überaus beliebter, eine legitime Zielscheibe für Satire? Es gehört zweifelsohne zur Redefreiheit, dass sich über politische Führer der lustig gemacht werden darf. Solange dies nicht mit Anstiftung zu Gewalt einhergeht, laufen die Einwände meist auf Geschmacksfragen hinaus. Der Joker ist sicher boshaft, wie viele satirische Bilder es eben sind. Aber ist er gefährlich?

Mangel an Sensibilität

Sollte er es sein, dann aus Gründen, die mit Obamas Hautfarbe zusammenhängen. Wie schon bei einer vor Kurzem in der New York Times erschienenen Karikatur, bei der eine Initiative Obamas und die Erschießung eines Affen in Verbindung gebracht wurden, ist es ein strittiger Punkt, ob eine dahinter stehende bigotte Absicht existiert: Die schlichte Tatsache, dass ein Bild eines schwarzen Präsidenten veröffentlicht wurde, dessen Gesicht mit Ausnahme der Augen und einem roten, hingestrichenen Mund mit weißer Theaterschminke bedeckt ist, beschwört unvermeidlich Erinnerungen an die Minstrell-Ästhetik, wenn auch in umgekehrter Form, herauf. Es ließe sich deshalb einwenden, dass die potentielle Zündkraft solch einer bildlichen Darstellung möglicherweise jeden satirischen Wert überwiegt. Das meint Hutchinson wohl mit "gefährlich".

Von dem Mangel an Sensibilität in Sachen ethnischer Zugehörigkeit abgesehen, lautet ein wesentlicherer Einwand gegen das Poster, dass es nicht sehr lustig ist. Erfolgreiche Satire lenkt die Aufmerksamkeit auf Aspekte der Politikerpersönlichkeit, die sichtbar sind: Die Verbindung Cowboy - George Bush erkannten sowohl die Befürworter als auch die Gegner George Bushs. Uneins war man sich allerdings über die Implikationen. Obama und den Joker in Verbindung zu bringen ist weit weniger zielgenau – der wohlüberlegte Tonfall des Präsidenten macht ihn kaum zu einem Kandidaten für einen Agenten des Chaos. Und sowieso steht das anarchistische Charisma der Figur doch in ziemlichem Widerspruch zum Big-Brother- Autoritarismus, den das Poster Obama zum Vorwurf macht. Sollte da Bild also irgendeine nachhaltige Zugkraft entfalten, dann als stumpfer Locus der Dämonisierung. Bis auf weiteres scheint aber nur eine größere Zahl Amerikaner ihren Präsidenten als den Good Guy zu betrachten.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Ben Walters, The Guardian | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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