Einige Dämme brechen

Thailand Oppositionsführer Suthep bleibt dabei. Es wird nicht verhandelt, solange Premierministerin Yingluck ihr Amt behält. Diese Kompromisslosigkeit heizt die Lage weiter an

Thanita Benjaworadechkul weiß offenbar nicht, was sie will. Sie weiß aber, was sie nicht will: dass die Regierungschefin im Amt bleibt. „Sie ist dumm. Ganz Thailand weiß das“, sagte die trillerpfeifende 27-Jährige über Yingluck Shinawatra, als sie mit Tausenden anderen durch Bangkoks Altstadt läuft. „Ich bin Thailänderin, und das ist mein Land, meine Regierung. Ich will, dass sie abtritt!“

Die Grundschullehrerin kann nicht sagen, welche Art von Regierung sie bevorzugen würde. Oder wer das Land, wenn es nach ihr gehen sollte, nach einem Sturz Yinglucks führen soll. Die wurde immerhin vor zwei Jahren als Spitzenkandidatin ihrer Puea Thai-Partei demokratisch gewählt. „Ihr Bruder Thaksin Shinawatra will die Monarchie zerstören“, erwidert Thanita und bringt einen unter Regierungsgegnern weit verbreiteten Glauben zum Ausdruck. „Ich will nur, dass jemand Premierminister wird, der für das Amt geeignet ist.“

Andere Demonstranten halten Plakate mit Karikaturen einer singenden Yingluck und der Aufschrift: „Alles synchronisiert“ in die Höhe – eine Anspielung auf ihren Bruder Thaksin, den früheren Regierungschef, der 2006 durch einen Militärputsch gestürzt wurde und dem viele anti-monarchistische Absichten nachsagen. Seitdem er wegen Korruption verurteilt wurde – was der Betroffene als politisch motivierte Bestrafung wertet –, lebt der Wirtschaftsmagnat in Dubai, im selbstauferlegten Exil.

Erinnerung an 2010

Seit zwei Wochen nun schon sind Tag für Tag Tausende auf der Straße, um Yinglucks Regierung zu stürzen, die sie als „Thaksin-Regime“ bezeichnen. Protestgruppen stürmen Anwesen der Armee, drehen der Polizeizentrale den Storm ab und besetzen Ministerien, was die Sicherheitskräfte inzwischen kaum noch zu verhindern suchen. Deeskalation heißt seit Wochenbeginn die Parole der attackierten Autoritäten und ist wohl ein letzter Versuch, ein Blutbad zu verhindern.

Obwohl die Premierministerin ein Misstrauensvotum im Parlament überstanden und die Proteste außerhalb der Hauptstadt längst abgeflaut sind, will Oppositionsführer Suthep Thaugsuban unter gar keinen Umständen den Rückzug antreten. Er erklärt bei jeder sich bietenden Gelegenheit – schon bald werde die Regierung fallen. Und das unwiderruflich. Dies nährt in Bangkok Befürchtungen, die gewaltsamen Zusammenstöße zwischen Thaksin-treuen „Rothemden“ und der Monarchie wohl gesonnenen oder fanatisch ergebenen „Gelbhemden“ von 2010 könnten sich wiederholen. Seinerzeit kamen fast 100 Menschen ums Leben, über 2.000 wurden verletzt.

Längst sind einige Dämme gebrochen, die Gewalt grassiert, gegen Unbeteiligte, vor allem Geschäftsleute, die sich dem Aufruhr nicht anschließen wollen. Journalisten werden eingeschüchtert. Gegen eien deutsche Fotojournalistin gab es sogar einen tätlichen Angriff. Angestellte einer Behörde wurden gezwungen, in Trillerpfeifen zu blasen – das Symbol der Demonstranten gegen eine nach ihrer Auffassung korrupte Regierung –, danach durfte sie wieder in ihr Bürogebäude zurückkehren.

Haftbefehl wird ignoriert

Yingluck, die Regierungschefin, hat die Demonstranten schon mehrfach zu Gesprächen gebeten und bekam Ultimaten zu hören, die ihrem Abgang galten. Da ein Dialog unter diesen Umständen unmöglich scheint, bemüht die Regierung den Internal Security Act (ISA), der Straßen- und Ausgangssperren und nicht zuletzt den Haftbefehl gegen den Anführer Suthep Thaugsuban erlaubt. Aber keine Polizeistreife hat bisher auch nur Anstalten gemacht, diese Order zu vollstrecken. „Die Regierung will keine Eskalation der Gewalt auslösen. Das ist es aber, was Suthep will“, sagt der Puea Thai-Abgeordnete Udomdet Rattanasatein. „Aber wir lassen uns nicht provozieren. Wir sind geübt im Umgang mit solchen Situationen.“

Suthep Thaugsuban selbst weist jede Form von Verhandlungen zurück, solange das „Thaksin-Regime“ nicht gestürzt sei. Man habe noch viel in der Hand, um die Lage weiter anzuheizen. So könnten die Telefonverbindungen für Ministerien, Polizeistationen und andere öffentliche Einrichtungen unterbrochen werden. Einen ersten Versuch, eine solche Kommunikationsblockade zu verhängen, gab es am Wochenende. Die Demonstranten operierten dabei dezentralisiert, von fünf Basen aus – drei in der Altstadt, eine im Regierungsviertel, eine weitere in der nördlichen Vorstadt.

Wir dürfen sie nie mehr arbeiten lassen“, sagt Suthep über die Regierung. Er wirft Thaksin und damit automatisch auch dessen Schwester Yingluck vor, in Thailand nicht nur die Demokratie zerstört, sondern auch „die Tugenden und Ethik der Menschen“ mit Füßen getreten zu haben. Suthep will nach einer erzwungenen Demission oder einem Sturz der Regierung mit einem vorübergehenden, nicht gewählten „Volksrat“ neu beginnen, der aus verschiedenen Vertretern des Anti-Thaksin-Lagers gebildet werden soll. Den Vorsitz könnte der König übernehmen, so Suthep. „Dann könnte das Land den Weg hin zur perfekten Demokratie beschreiten“, verbreitet die Nachrichtenagentur Prachathai, was nach dem Willen des Widerstandes geschehen soll.

Schutz der Demokratie

Was dem Land in diesem Augenblick widerfährt, resultiert nicht zuletzt aus einem schlecht durchdachten Amnestie-Gesetz, mit dem die jetzige Administration nach dem Putsch von 2006 dazu beitragen wollte, Spannungen abzubauen. Kritiker sahen in diesem Dekret den Versuch, die Verurteilung des exilierten Ex-Premiers wegen Korruption aufzuheben und ihm so eine Rückkehr zu ermöglichen. Obwohl der Senat das Gesetz ablehnte, und Yingluck erklärte, sie akzeptiere die Entscheidung, war der Vorgang dazu angetan, die Konfrontation zwischen der armen Landbevölkerung und der urbanen Elite anzuheizen.

In einem BBC-Interview meinte Yingluck, die politische Situation sei äußerst heikel, aber vorgezogene Neuwahlen lehne sie ab.Ich liebe dieses Land. Ich verschreibe mich diesem Land. Ich brauche nur eines für dieses Land: den Schutz der Demokratie.“

Der Politikwissenschaftler Panitan Wattanayakorn von der Chulalongkorn Universität – ein ehemaliger Regierungssprecher Abhisit Vejajjivas, der Thaksin mit dem Coup von 2006 gestürzt hatte –, nannte dies den größten politischen Test für die Premierministerin, der möglicherweise zu ihren Gunsten ausgehen werde.

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Übersetzung Holger Hutt
Geschrieben von

Kate Hodal | The Guardian

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