Eisern eine Lady

Porträt Maggie Smith begeistert mit ihrer spröden Art die Fans der Fernsehserie „Downton Abbey“. Die Britin hat’s auch leicht: Als Exzentrikerin muss sie nur sich selbst spielen
Ausgabe 03/2015

Lange bevor Violet Crawley, verwitwete Gräfin von Grantham, erstmals ihren spröden Blick über die Geschehnisse auf Downton Abbey schweifen ließ – dem berühmten fiktiven Ort, nach dem eine ganze Fernsehserie benannt ist (siehe Infokasten) –, saß ihr Schöpfer Julian Fellowes gebannt im Londoner Old Vic Theatre. Damals, 1964, war Fellowes ein Teenager, und seine Mutter wollte ihm etwas Kultur angedeihen lassen. So sah er im Theater Margot Fonteyn tanzen, hörte Maria Callas singen und verfolgte, wie Laurence Olivier den Othello gab Doch viel beeindruckender fand der junge Fellowes die Desdemona an Oliviers Seite: die Schauspielerin Maggie Smith.

„Ich kann gar nicht beschreiben, wie hinreißend sie war“, erinnert sich Fellowes. „Sie strahlte eine ganz außergewöhnliche raue Unschuld aus, die einen zum Weinen brachte. Ich hatte damals schon viele Shakespeare-Inszenierungen gesehen, und seither erst recht, aber keine Darbietung hat mich jemals so bewegt wie ihre.“

Maggie Smith war damals 29 und schon ein Star im Londoner West End und am New Yorker Broadway. Nun, ein halbes Bühnen- und Filmjahrhundert sowie zwei Oscars und fünf BAFTA Awards später, nach Arbeiten mit Ingmar Bergman und John Gielgud, nach legendären Szenen als Mutter Oberin im Nonnenfilmmusical Sister Act (1992/93),nach zehn Jahren als Vizeschulleiterin in den Harry-Potter-Filmen und ihrer Erhebung in den Ritterstand, ist es die Rolle der Matriarchin in Downton Abbey, die Maggie Smith den größten Ruhm eingebracht hat, auch beim deutschen Publikum. Zu viel Ruhm für ihren Geschmack. Neulich klagte sie in einem Interview darüber, wie sie in Paris „von Amerikanern“ bedrängt worden sei, als sie sich ein paar Galerien ansehen wollte.

Der Fortschritt und die Folgen

Downton Abbey spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Grafschaft Yorkshire, am Familiensitz des Grafen und der Gräfin von Grantham. Die TV-Serie, die 2010 beim britischen Sender ITV an den Start ging, dreht sich um den Alltag der Crawley-Familie und von deren Angestellten. Maggie Smith übernimmt dabei den Part der Violet Crawley, die mit allem aristokratischen Hochmut versucht, ihre Familie wie eine Festung gegen die Zumutungen der Moderne zu verteidigen. Für ihre Darstellung wurde Smith mit zwei Emmys ausgezeichnet.

Die Art, wie Familiendrama, technischer Fortschritt, politische Umwälzungen und Kriegswirren verknüpft sind, brachte der Serie viel Lob ein. Schon ein Jahr nach ihrem Beginn wurde sie im Guinness Buch der Rekorde als „bestbewertete TV-Serie des Jahres“ gewürdigt. In Großbritannien erreichte sie Einschaltquoten von bis zu 35 Prozent.

In Deutschland wurde Downton Abbey 2011 erstmals ausgestrahlt, beim Privatsender Sky. Dort läuft im Frühjahr auch die fünfte Staffel mit neun neuen Episoden. Sie setzen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein, in den 20er Jahren. Auch die sechste Staffel ist schon geplant.

Der Ort Downton Abbey ist fiktiv, Drehbuchautor Julian Fellowes hat ihn sich ausgedacht. Gedreht wird auf Highclere Castle in der Grafschaft Hampshire, im Dorf Bampton in Oxfordshire sowie in Studios im Londoner Stadtteil Ealing. Die detailgenauen Kostüme und die Ausstattung verschlingen rund 1,28 Millionen Euro Produktionskosten je Folge. Jonas Weyrosta

Smith wurde 1934 in Ilford im Nordosten von London geboren und wuchs in Oxford auf, wo ihr Vater als Pathologe an der Universität arbeitete. Ihre Mutter war Sekretärin und wenig erfreut über den früh erklärten Wunsch der Tochter, Schauspielerin zu werden. Auch Maggie sollte sich zur Sekretärin ausbilden lassen. Von dieser Forderung ließ die Mutter erst ab, als Maggie 1970 für Die besten Jahre der Miss Jean Brodie einen Oscar erhielt, einen Film, der auf einem Roman von Muriel Spark basiert. Maggie Smith spielte die Hauptrolle, wie später bei Harry Potter verkörperte sie in Miss Jean Brodie eine Lehrerin.

Smith sei, sowohl als Mensch als auch als Schauspielerin, bekannt für „gemurmelte Spitzen und leicht boshaften Witz“, schrieb der Theaterkritiker Michael Coveney in seiner 1992 erschienenen Smith-Biografie. Der Schlüssel zum Verständnis dieser bemerkenswerten Frau liege in ihrer Kindheit. Damals, als Maggie noch Margaret gerufen wurde, sei sie einsam gewesen, „immer über Kreuz mit den Eltern, der Schule, den sechs Jahre älteren Zwillingsbrüdern und auch mit sich selbst“. Zu rebellieren sei nicht ihre Art gewesen. Stattdessen habe sie ständig „spöttische Randbemerkungen gemacht und ihren Willen mit List und Beharrlichkeit durchgesetzt“.

Sie wurde an der Theaterschule des Oxford Playhouse aufgenommen und bald zum Ensemble der Oxford Repertory Players hochgereicht. 1963 trat sie in Laurence Oliviers gerade frisch gegründetes Royal National Theatre ein. Von da an gewann auch ihre Filmkarriere an Fahrt. Nichts an alldem sei geplant gewesen, versichert Smith: „Es kam, wie es kam. Als ich mit dem Spielen anfing, hatte ich an Filme gar nicht gedacht. Ich dachte nur: Ich mache Theater, wunderbar!“ Eine „ernsthafte Schauspielerin“ habe sie eigentlich werden wollen, „aber daraus ist im Grunde nichts geworden. Als Desdemona fühlte ich mich, ehrlich gesagt, sehr unwohl.“ Shakespeare sei einfach nicht ihr Ding.

Zur Gräfin geboren: Margaret Natalie Smith Cross vor 45 Jahren

Foto: Picturelux/Intertopics/ddp

Was aber ist ihr Ding? Fest steht, dass Maggie Smith eine großartige Komödiantin ist, eine, die das Publikum sofort in ihren Bann zieht. Wenn Smith eine Rolle spielt, wirkt das jedes Mal verblüffend real – und damit oft viel bewegender, viel anrührender, als wenn andere Schauspieler sich mit den ernsthafteren Parts abmühen.

„Sie kann in einem Augenblick mehr vermitteln als viele andere in einem ganzen Film.“ So formuliert es Regisseur Nicholas Hytner. Gerade hat Hytner Alan Bennetts Roman Die Lady im Lieferwagen mit Smith verfilmt. „Sie kann verletzlich, grimmig, düster und umwerfend komisch sein, alles zugleich. Und zu jedem Dreh bringt sie die Energie und Neugier einer ganz jungen Schauspielerin mit, auch heute, mit 80.“

Schmeicheln zwecklos

Der schwärmerische Ton, mit dem Kolleginnen und Kollegen über Smith sprechen, fällt auf, er ist einem fast schon unheimlich. „Nichts an Maggie ist Klischee“, sagt wieder ein anderer Regisseur, John Madden, mit dem sie Best Exotic Marigold Hotel (2011) drehte. „Sie hat eine große Wärme und einen wunderbar sarkastischen Witz, den sie lasergenau anzuwenden versteht.“ Ja, wen auch immer man zu Maggie Smith befragt: Alle sind sich einig, dass sie in mancherlei Hinsicht empfindlich ist – vor allem gegen Dummheit. Und alle preisen ihren Humor.

Madden sagt, er habe Smith zu Hause besucht, um ihr seine Filmidee schmackhaft zu machen, um sie für sein Projekt zu gewinnen. Das, was sensible, mimosenhafte Typen als Härte oder Unfreundlichkeit auslegen könnten, ist genau das, was er an Smith schätzt: „Du merkst sofort: Für Schmeicheleien hat sie nichts übrig. Ohne Umschweife nannte sie mir lauter Gründe, warum sie die Rolle nicht spielen wollte, sie nahm das Drehbuch auseinander und haute es mir komplett um die Ohren. Sie prüft eben genau, worauf sie sich einlässt. Sie wahrt immer eine skeptische Distanz, zur Situation, zur Szene, zur Figur, zu allem.“ Einschüchternd würde er Smiths Verhalten aber nicht nennen, sagt Madden. „Sie ist eben sehr anspruchsvoll.“

Emma Watson stand als kleine Hermine in den Harry-Potter-Filmen mit Smith vor der Kamera, sie kennt die große Schauspielerin seit ihrem neunten Lebensjahr. „Maggie sagt die Dinge geradeheraus, und das bewundere ich sehr. Solche Menschen gibt es in unserer Branche selten. Damals wusste ich noch gar nicht, wie berühmt sie ist. Für mich war sie die Dame an unserem Set, die sich wirklich für das interessierte, was ich machte, und mir Pralinen zu Weihnachten schenkte. Ich glaube, es gefiel ihr, dass ich sie als Dame betrachtete.“

Und Dustin Hoffman, in dessen Regiearbeit Quartett (2012) über eine Gruppe von Opernsängern im Ruhestand Smith mitspielte, erklärt: „Sie kommt zur Arbeit und möchte es alles richtig machen, möchte, dass es gelingt, mit weniger gibt sie sich nicht zufrieden.“ Ähnlich äußert sich der Dramatiker Peter Shaffer: „Maggie ist nie entspannt. Sie ist die ganze Zeit auf den Beinen und läuft auf und ab, zur Not von zehn bis fünf Uhr – die einsame Gestalt, die hinter der Bühne herumtigert wie ein Raubtier im Käfig.“

Die Figur der Violet, Dowager Countess of Grantham, in Downton Abbey schrieb Julian Fellowes Maggie Smith dann tatsächlich auf den Leib, ganz wie von der Dame gewünscht. Und man kann den Part der Violet Crawley durchaus als Fortführung von Smiths Rolle als exzentrische Gräfin von Trentham im Film Gosford Park (2001) sehen, bei dem Altmeister Robert Altman Regie geführt und für den Fellowes ebenfalls das Drehbuch verfasst hatte.

Ganz Dame

Dialoge für Smith zu schreiben sei für einen ambitionierten Drehbuchautor das reine Vergnügen, sagt Fellowes. „Sie hat eine unglaubliche narrative Intelligenz, versteht immer genau, warum eine Textzeile so dasteht – die Präzision einer Gehirnchirurgin.“ Wäre es angemessen, Smith als seine Muse zu bezeichnen? Als Inspirationsquelle, aus der seine Texte überhaupt erst erwachsen? „Na ja. Mich faszinieren eben Frauen, die stark und geistreich zugleich sind“, sagt der 65-Jährige, der seit 2011 als Mitglied Conservative Party im britischen House of Lords sitzt. „Solche Frauenfiguren tauchen in so gut wie jedem meiner Bücher auf, und Maggie ist sozusagen deren Quintessenz.“ Im richtigen Leben klebten die beiden „nicht dauernd zusammen“, aber beruflich gebe es da „einen besonderen Draht“. Smith habe einen mindestens so großen Anteil an der Gestaltung ihrer Rollen, schon beim Schreiben des Drehbuchs, wie er als eigentlicher Autor.

So überschwänglich ihre Kollegen über Smith sprechen, so zurückhaltend, diskret, ungreifbar ist die 80-Jährige selbst. Smiths Karriere nahm eben in einer anderen Zeit ihren Anfang, lange bevor Schauspielerinnen in Selfie-Exzesse verfielen, sei es mit Homestorys in Boulevardmagazinen oder im Internet. Ganz Dame, legt sie größten Wert auf ihre Privatsphäre. Interviews gibt sie kaum, und als ihr Biograf Coveney mit dem Wunsch auf sie zutrat, ihr Leben bitte in Buchform aufschreiben zu dürfen, soll ihre erste Reaktion gewesen sein: „Wie grässlich! Wie furchtbar! Etwas Schlimmeres kann ich mir nicht vorstellen!“

Ihr erster Ehemann war Robert Stephens, mit dem sie in den 60ern zusammen am National Theatre gespielt hatte. Das Paar bekam zwei Söhne, Chris und Toby, die beide ebenfalls Schauspieler wurden. Doch Roberts Alkoholismus und seine Affären zerrütteten die Ehe. Nach der Scheidung heiratete Smith den Dramatiker Beverly Cross – was einem filmreifen Happy End nahekommt, denn: Cross hatte sich schon 20 Jahre zuvor in Smith verliebt und zunächst vergeblich um ihre Hand angehalten. Die beiden waren ein glückliches Paar, bis Cross 1998 starb. Zehn Jahre später, 2008, wurde bei Smith Brustkrebs diagnostiziert, in einem frühen Stadium, sie konnte die Krankheit besiegen. Verhalten sprach sie damals über ihre Selbstzweifel, ob sie überhaupt wieder spielen könne.

Aber sie arbeitete weiter, und das engagierter als je zuvor. Demnächst kommt in Großbritannien die Fortsetzung von Best Exotic Marigold Hotel in die Kinos, außerdem startet dort Die Lady im Lieferwagen. Und in Downton Abbey möge Violet Crawley noch lange durch die hohen Räume schreiten und ab und an ihre Kommentare fallen lassen. Mit einem Witz, der so beißend und doch auf merkwürdige Art tröstlich ist wie Mrs. Patmores Zitronentorte.

Emine Saner ist beim Guardian vor allem für Reportagen verantwortlich
Übersetzung: Michael Ebmeyer

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Geschrieben von

Emine Saner | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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