Entlohnt wird mit Abfall

Sklaverei Unter Billigflaggen sind Fischfang-Schiffe vor Westafrika unterwegs, deren Besatzungen ein Dasein fristen, als sei die Zeit der Strafgaleeren längst nicht vorbei

Umweltaktivisten hatten im Frühsommer vor der westafrikanischen Küste die Verfolgung eines südkoreanischen Schleppnetzfischers aufgenommen und waren auf der Suche nach Beweisen für einen illegalen Fischfang in dieser Region. Was sie dann an Bord des gestoppten Schiffes entdeckten, war menschliche Erniedrigung in einem unglaublichen Ausmaß. Vieles erinnerte an eine Form der Sklaverei, von der man annahm, sie sei vor mehr als einem Jahrhundert ausgestorben.

„Es war einfach entsetzlich“, erzählt Duncan Copeland, altgedienter Aktivist der Environmental Justice Foundation (EJF), der als Erster mit Marine-Soldaten aus Sierra Leone auf den Decksplanken des Schleppnetzfischers stand und seinen Augen nicht traute. „Teile der Besatzung arbeiteten im Frachtraum ohne Belüftung bei Temperaturen von 40 bis 45 Grad. Die Wände waren rostig und glitschig, die Luft kochte, es roch nach Dreck, Unrat und Schweiß. Als wir die Kombüse betraten, wimmelte es dort von Kakerlaken. Und das Essen – man mochte es nicht so nennen – lagerte in ekelerregenden Behältern. Waschen konnten sich die Seeleute nur mit Salzwasser, das aus einer Pumpe im Unterdeck kam. Die Männer stanken so erbärmlich, dass es einem das Herz brach.“

Die Environmental Justice Foundation fühlte sich nach diesen Entdeckungen zu weiteren Recherchen ermutigt und stieß seither auf einen Seelenverkäufer nach dem anderen, bei denen vergleichbare Zustände herrschten. Einige Schiffe waren über 40 oder 45 Jahre alt, verrostet, verkommen und überhaupt in einer furchtbaren Verfassung. Die meisten Kapitäne fischten illegal und betrieben damit ein Geschäft, das die vor Westafrika vom Aussterben bedrohten Fischbestände weiter dezimiert.

Wer meutert, muss gehen

Die 36 Besatzungsmitglieder des Trawlers, den Duncan Copeland bestiegen hatte, stammten aus China, Vietnam, Thailand, Indonesien und Sierra Leone. Jeweils acht Männer teilten sich eine winzige, fensterlose Ecke im Frachtraum, von denen vier in den aus Pappen und Brettern bestehenden Kojen schliefen, während die anderen vier in eben diesem Raum schufteten. Sie sortierten und verpackten den Fisch für den europäischen Markt. Bei Schichtwechsel mussten die einen buchstäblich herausrollen, damit die anderen in die Kojen hineinrollen konnten.

Die Matrosen aus Sierra Leone erzählten, sie würden nicht etwa mit Geld, sondern mit Kisten voller Abfall-Fisch bezahlt, so genanntem „Beifang“, den die europäischen Grossisten ablehnen, und die Crew bestenfalls in westafrikanischen Häfen verkaufen kann. Wenn sich einer über diesen Sklavensold beschwere, werde er vom Kapitän zum Meuterer erklärt und am nächsten Strand ausgesetzt, erzählten die Männer.

„Die Bedingungen sind furchtbar, aber wir können nichts dagegen tun“, resignierte ein Arbeitsnomade auf einem anderen Schiff, das gleichfalls unter südkoreanischer Flagge auf Fang ging und durch die Aktivisten der EJF inspiziert wurde. „Wir müssen damit leben, denn es ist schwer, Arbeit zu finden. Wenn dir jemand ein Gehalt von 200 Dollar anbietet, mit denen du deine Familie erhalten kannst, ist das gewiss nicht gut, aber wir müssen damit zurecht kommen.“

Im Mai wurden etwa 100 Männer aus dem Senegal auf einem Schiff vor Sierra Leone gefunden, die bis zu 18 Stunden Tag und Nacht arbeiten mussten. Sie aßen oder schliefen eingepfercht in Nischen, die weniger als einen Meter hoch waren. Das Schiff hatte eine Lizenznummer, die dazu berechtigte, seinen Fang an Staaten in der EU zu verkaufen. Ein solches Zertifikat soll eigentlich dokumentieren, man hat es mit einem Klienten zu tun, der auf strenge humanitäre und hygienische Standards hält.

Die EJF stieß darüber hinaus bei ihren Nachforschungen auf Schiffe, für die es augenscheinlich keine Arbeit mehr gab, und nur die Besatzung noch an Bord war. Viele verbrachten ihre Zeit schon länger als ein Jahr auf diesen ankernden Wracks. Sie hatten seit Monaten weder Radio gehört, noch Zeitungen gelesen, noch standen irgendwelche Funk- oder Sicherheitsausrüstungen für den Notfall zur Verfügung.

„Ich bin von einer Firma hierher geschickt worden“, so ein Fischer auf einem dieser Geisterschiffe vor der Küste Guineas. „Manchmal erreicht uns ein Boot mit Vorräten, das Nahrungsmittel wie Fisch und Krabben bringt. Aber sonst lässt sich hier niemand sehen ...“ Diese Geschichten verkünden den Preis des illegalen Fischfangs und der Dumping-Angebote für den europäischen Markt – sie offenbaren den menschlichen Preis eines Geschäft, bei dem im Jahr elf bis zwölf Millionen Tonnen Fisch im Wert von über zehn Milliarden Dollar umsetzt werden.

Die Flotte der Billig-Fischer bleibt oft monatelang ununterbrochen auf See, alle paar Wochen kommt ein Kühlschiff vorbei, das Fang entlädt und Vorräte bringt. Da Schleppnetz-Fischer häufig in abgelegenen Gewässern liegen, können diese Sklaven-Galeeren für lange Zeit unentdeckt bleiben. Die Seeleute werden wie Gefangene gehalten. Die meisten können nicht schwimmen. Jeder von ihnen muss Verhältnisse ertragen, die von den Vereinten Nationen als Zwangsarbeit definiert werden. Berichte über Gewalt des Schiffsführers und seiner Helfer, über vorenthaltenen Lohn und eingezogene Papiere beschreiben laut Duncan Copeland keine Ausnahmen – das sei die Regel.

Bereits Anfang 2006 wurde vor der Küste Sierra Leones ein Schiff gefunden, das als Crew etwa 200 Senegalesen rekrutiert hatte. Die Männer lebten in einem behelfsmäßigen Abteil im Heck, das wiederum in vier Ebenen unterteilt war. Zusammengedrückte Kartons dienten als Matratzen, über dem Kopf eines Liegenden war für weniger als einen Meter Platz und Luft. Das Schiff fehlte auf jeder offiziellen Registratur und besaß keine Lizenz, um vor Sierra Leone oder Guinea fischen zu können. Aus Protokollen ging hervor, dass die Tour stets über Las Palmas auf den Kanarischen Inseln und damit den größten Transithafen für den Umschlag von Fisch aus Westafrika für Europa geführt hatte. Und man wusste, Las Palmas war von hochrangigen EU-Beamten wiederholt wegen nachlässiger Kontrollen kritisiert worden.

Unter falscher Flagge

Doch auch das ursprüngliche Anliegen der EJF, die nicht Sklavenschiffe aufbringen, sondern gefährdete Fischbestände retten wollte, erbrachte besorgniserregende Resultate. Mehrere Schiffe, die von der Organisation inspiziert wurden, waren Grundschleppnetzfischer, die hochwertige Meerestiere wie Garnelen, Hummer und Thunfisch fingen und eine Lizenz für den Import nach Europa hatten. Diese Schiffe zogen schwere Eisenketten über den Meeresboden, die alles mit sich rissen, was ihnen in den Weg kam, nicht zuletzt Korallen- und andere Tiefsee-Kulturen. In einem Fall wurden über 70 Prozent des Fangs über Bord geworfen, darunter auch Haie, nachdem ihre Flossen abgeschnitten wurden, weil die auf dem asiatischen Markt verkauft werden können.

Gleichzeitig stellte sich heraus, dass die Schiffsführer teilweise ihre Besatzungen zwingen, in kleinen Booten auf Thun- und Haifisch-Fang zu gehen, die sich als „mit der Harpune, der Angelschnur oder dem Haken gefangen“ besser veräußern lassen. Viele dieser Männer aus dem Senegal, aus Sierra Leone, Guinea oder Liberia können als Küstenfischer längst nicht mehr ihren Lebensunterhalt sichern, da die küstennahen Bestände wegen der Überfischung durch Hightech-Boote viel zu sehr dezimiert wurden. Ihnen bleibt keine andere Wahl, als bei den Fischern anzuheuern, die unter Billigflaggen auf Fang gehen. Nach internationalem Seerecht ist das Land, in dem ein Schiff registriert ist, dafür verantwortlich, was dessen Besatzung unternimmt. Einige Staaten erlauben es jedoch Schiffen anderer Nationen, gegen eine Gebühr von ein paar hundert Dollar unter ihrer Flagge zu segeln, und scheren sich nicht im Geringsten um die Straftaten, die bei diesem Geschäft begangen werden.

Es sind nicht zuletzt Piratenschiffe, die mehrmals pro Saison die Flagge wechseln und regelmäßig ihre Namen ändern. Sie werden von Tarnfirmen gedeckt, wodurch es geradezu ausgeschlossen ist, den tatsächlichen Eigentümer aufzustöbern und strafrechtlich zu verfolgen. Die Höchststrafe für illegalen Fischfang liegt bei rund 100.000 Dollar – laut EJF ist das in der Regel weniger, als sich mit einem Fangschiff voller Zwangsarbeiter in nur zwei Wochen verdienen lässt.

Marinesoldaten aus Sierra Leone nahmen während ihrer Inspektionstouren unter anderem einen südkoreanischen Kapitän, dessen Ersten Offizier sowie einen Chefingenieur auf Schiffen fest, die sie zusammen mit der Environmental Justice Foundation kontrollierten. Sie verhängten Strafen bis zu 30.000 Dollar und beschlagnahmten tonnenweise Fisch, der in gesperrten Seegebieten gefangen wurde. Laut EJF wurden die aufgebrachten Schiffe bald darauf wieder vor Sierra Leone und Guinea gesichtet.

Es bleibt nach wie vor schwierig, klar sagen zu können, ob der Fisch auf unseren Tellern legal vor Westafrika gefangen wurde oder nicht. Etwas leichter fallen sollte dies künftig durch schärfere Richtlinien, die von den europäischen Behörden zuletzt beschlossen wurden.

Illegaler Fisch für die EU

2010 verabschiedete die EU-Kommission eine Vorschrift, die den Import von Fisch in die Mitgliedsstaaten untersagt, sofern dieser nicht durch das Land, unter dessen Flagge das Schiff fischt, eindeutig deklariert worden ist. Wenn etwa ein Schiff unter spanischer Flagge segelt, muss Spanien den Fang als legal bestätigen. Die Aktivisten von EJF glauben, dass ein solches Gebot nichts ändert, weil Länder wie Südkorea und China Trawler, die unter ihrer Flagge auf Kurs gehen, nicht inspizieren.

Ermittler gehen weiter davon aus: illegal gefangener Fisch wird „gewaschen“ – das heißt, in Kisten verpackt, die das Siegel eines lizenzierten Schiffes tragen. Kontrolleure der Environmental Justice Foundation entdeckten 2007 in Afrika gefangene Zahnbrassen, die als Rotbarsch oder Seebrassen verkauft wurden, auf Londoner Märkten. Einige der Kisten mit dem gefrorenen Fisch waren mit dem Logo einer chinesischen Firma versehen, der viele der fragwürdigen Schiffe gehören, die von der EJF vor Sierra Leone und Guinea beobachtet wurden. Was sich dort in den Schleppnetzen verfängt und gehoben wird, landet auf den Tellern von Konsumenten in Frankreich, Spanien und Portugal, wo ein Großteil der westafrikanischen Fische, Krabben, Garnelen und Hummer verzehrt wird.

Der Bericht All At Sea von der Environmental Justice Foundation kann unter ejfoundation.org heruntergeladen werden Felicity Lawrence wurde in Großbritannien durch zwei Enthüllungsbücher über die Lebensmittelindustrie bekannt: Eat Your Heart Out: Why the Food Business Is Bad for the Planet and Your Health und Not on the Label: What Really Goes into the Food on Your Plate Robert Booth ist Nachrichtenreporter des Guardian Übersetzung: Christine Käppeler

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Geschrieben von

Felicity Lawrence/Robert Booth | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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