In einem erschütternden Angriff auf die Pressefreiheit hat die rechtspopulistische brasilianische Regierung am Dienstag eine Klage gegen den Journalisten Glenn Greenwald angekündigt. Sie wirft ihm „Cyberverbrechen“ im Zusammenhang mit seiner Berichterstattung über die Regierung Bolsonaro und die Korruption in deren Reihen vor.
Derzeit ist Greenwald noch auf freiem Fuß. Ein Bundesrichter muss den Vorwürfen zustimmen, bevor er offiziell angeklagt werden kann. Aber das Ansinnen ist klar: Dieser Schritt der brasilianischen Regierung ist ein ungeheuerlicher Versuch, sich an einem Journalisten zu rächen, der kritisch über den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, seinen Justizminister Sergio Moro und ihre Verbündeten berichtet hat – und der Schritt riecht nach Autoritarismus.
Journalisten weltweit sollten aufhorchen und sich fragen, was das für die Pressefreiheit im fünftgrößten Land der Welt bedeutet.
Im Laufe des vergangenen Jahres veröffentlichten Greenwald und die investigative Webseite The Intercept Brasil, zu dessen Gründungsredakteuren er gehört, eine Reihe brisanter Geschichten basierend auf geleakten SMS. Diese zeigten, wie Moro – damals noch Richter – sich während wichtiger Korruptions-Gerichtsverhandlungen eng mit der Staatsanwaltschaft koordinierte. Vor allem aber stand Moro dem Gerichtsverfahren vor, das Bolsonaros Hauptrivalen, den früheren Präsident Luiz Inàcio Lula da Silva, ins Gefängnis brachte. Nach Bolsonaros Wahl wurde Moro schnell zum Justizminister ernannt.
Greenwald machte auf den Filz in Brasiliens Regierung aufmerksam
Die Investigationen von The Intercept haben das politische Establishment in Brasilien erschüttert. Sie machten international Schlagzeilen – und The Intercept wird seither als vielversprechender Kandidat für wichtige Journalisten-Auszeichnungen gehandelt.
Dennoch suggerierte Bolsonaro im vergangenen Jahr immer wieder öffentlich, Greenwald gehöre ins Gefängnis. Er sagte, der Journalist habe „Verbrechen begangen“ (ohne Beweise dafür zu haben) und dass er schon bald seine „Strafe absitzen könnte“. Zuvor hatte er Greenwald mit homophoben Verunglimpfungen attackiert. Bolsonaros fanatische Anhänger drangsalierten Greenwald und seinen Ehemann – den Bundeskongressabgeordneten und Guardian-US-Kolumnisten David Miranda – und bedrohten sie körperlich. Im Juni vergangenen Jahres behaupteten rechte, mit dem Präsidenten sympathisierende Publikationen in Brasilien, gegen Greenwald werde polizeilich ermittelt.
Zahlreiche internationale Organisationen zum Schutz der Pressefreiheit – darunter die Freedom of the Press Foundation, deren Geschäftsführer ich bin und in deren Vorstand Greenwald sitzt – verurteilten damals die physischen und juristischen Drohungen, die zu eskalieren drohten. Dann fällte ein Richter in Brasiliens Oberstem Gerichtshof ein weitreichendes Urteil, welches besagte, dass jeder Versuch der Regierung Bolsonaro oder der Polizei, gegen Greenwald und The Intercept wegen ihrer Berichterstattung zu ermitteln, „einen eindeutigen Akt der Zensur darstellt“ und Brasiliens Verfassung widerspricht.
Die brasilianische Regierung behauptet jedoch, Greenwald sei Teil der „kriminellen Unternehmung“ von Hackern, die die geleakten SMS-Nachrichten ursprünglich in ihren Besitz gebracht hatten. Die Regierung erhebt diesen Vorwurf, obwohl ein Bundespolizei-Bericht Greenwald vor einem Monat eindeutig von Rechtsverletzungen freisprach. Und wie Thiago Bottino, Rechtsexperte der Fundacao Getúlio Vargas Universität in Rio de Janeiro, der New York Times sagte: „Es gibt in der Anklageschrift keine Hinweise darauf, dass er die mutmaßlichen Hacker angeleitet oder ihnen geholfen hat.“ Er fügte hinzu: „Man kann einen Journalisten nicht dafür bestrafen, ein Dokument zu verbreiten, das durch kriminelle Mittel an den Tag gebracht wurde.“
Greenwald ist als prinzipientreue, gnadenlose und manchmal scharfe Stimme bekannt. Daher ist die große Unterstützung nach der Veröffentlichung der Vorwürfe gegen ihn ermutigend. Zahlreiche US-Kommentatoren, darunter auch solche, die über die Jahre Unstimmigkeiten mit ihm hatten, verteidigten ihn via Twitter.
„Wir werden uns nicht mundtot machen lassen“
Es sollte wirklich jedem – egal, welcher politischen Überzeugung er anhängt – klar sein, dass die Regierung Bolsonaro diese Schritte allein aus Vergeltungsgründen unternimmt und versucht, Journalismus zu kriminalisieren. Bolsonaro ist seit Monaten wütend über die Berichterstattung von Intercept Brasil, in der über 90 Artikel über die geleakten Gespräche und ihre Folgen veröffentlicht wurden.
Ben Wizner von der Amerikanischen Bürgerrechtsunion ACLU formulierte es in einem Statement so: „Die USA müssen diesen schändlichen Angriff auf die Pressefreiheit so schnell wie möglich verurteilen. Es muss klar sein, dass Attacken auf die Pressefreiheit im eigenen Land Konsequenzen für US-amerikanische Journalisten haben, die im Ausland arbeiten.“
Dass Greenwald, wie immer, mutig reagiert, ist ihm hoch anzurechnen. Kurz nach der Veröffentlichung der Anklage, erklärte er: „Wir werden uns nicht von diesen totalitären Versuchen, Journalisten mundtot zu machen, einschüchtern lassen. Ich arbeite derzeit an neuen Berichten und werde das auch weiter tun. Viele mutige Brasilianer und Brasilianerinnen haben ihre Freiheit oder sogar ihr Leben für die brasilianische Demokratie und für den Kampf gegen Unterdrückung geopfert. Daher empfinde ich es als meine Pflicht, ihr edles Werk weiterzuführen.“
Glücklicherweise bleibt Greenwald zumindest für den Moment noch frei, um seiner Arbeit weiter nachzugehen. Hoffen wir, dass das so bleibt.
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