Zehn Jahre lang war ich einer von denen, die in den Augen der Musik- und Filmindustrie zur „Information wants to be free“-Clique gehörten. Außerhalb der Vorstandsetagen der Unterhaltungsindustrie habe ich in all den Jahren allerdings keinen getroffen, der dieses abgedroschene Klischee in den Mund genommen hätte.
„Information wants to be free“ (im Folgenden IWTBF) ist einem berühmten Aphorismus Stewart Brands entnommen, der 1984 im Rahmen einer Hacker-Konferenz in Marin County, Kalifornien (wo auch sonst?) sagte: „Auf der einen Seite wollen Informationen teuer sein, weil sie sehr wertvoll sind. Die richtige Information am richtigen Ort verändert schlichtweg dein Leben. Auf der anderen Seite wollen Informationen frei sein, denn die Kosten für ihre Verbreitung werden immer günstiger. Diese beiden Aspekte kämpfen gegeneinander.“
Brands hat uns einen zähen „Koan“ beschert, und wie es nun mal die Natur dieser buddhistischen Sinnsprüche ist, so ist auch dieser eine elegante Bestandsaufnahme der wichtigsten Widersprüche des Lebens im „Informationszeitalter“. Er besagt im Grunde, dass mit der zunehmenden Bedeutung, die der Information als beschleunigender Kraft und Wertschöpfungsquelle zukommt, paradoxer Weise die Kosten für die Verhinderung ihrer freien Verbreitung steigen. Das bedeutet: Je mehr Informationstechnik wir haben, desto mehr Wert generiert sie und desto mehr wird die Information zum Mittelpunkt unserer Welt. Doch je mehr Informationstechnik (und Fachkenntnisse auf diesem Gebiet) wir haben, desto einfacher kann sich die Information ausbreiten und sich aller urheberrechtlichen Barrieren entziehen. Besser könnte auch ein Orakel nicht vorhersagen, worum es bei den strategischen, wirtschaftlichen und politischen Kämpfen der nächsten 40 Jahre gehen wird.
Doch es ist Zeit, IWTBF zu begraben.
Es ist Zeit, IWTBF zu begraben, da es zu einem der einfachsten, faulsten Scheinargumente der autoritären Tyrannen aus Hollywood geworden ist, das sie uns vor die Füße werfen, um die Zunahme der Überwachung, Kontrolle und Zensur unserer Netzwerke und Tools zu rechtfertigen. Ich kann mir vorstellen, wie sie zueinander sagen: „Diese Leute wollen Netzfreiheit, weil sie glauben, „Informationen wollen frei sein“. Sie tun so, als würde es ihnen um die Freiheit gehen, aber der einzige Aspekt von „frei“, für den sie sich interessieren, ist doch „kostenfrei“.“
Doch das ist falsch. „Informationen wollen frei sein“ verhält sich zu der Bewegung für digitale Freiheit in etwa so wie der Slogan „Kill Whitey“ zur Bürgerrechtsbewegung: ein gedankenloses Spottbild, die eine nuancierte Haltung mit hohen Grundsätzen durch eine Karikatur ersetzt. IWTBF als die ideologische Grundlage der Bewegung zu bezeichnen, ist in etwa so, als würde man sagen, das Hauptanliegen der Feministinnen sei das Verbrennen von Büstenhaltern (während die Anzahl der BHs, die von Feministinnen verbrannt wurden in Wirklichkeit gegen Null tendiert).
Was aber wollen Aktivisten für digitale Rechte dann eigentlich, wenn es ihnen nicht um „freie Informationen“ geht?
Sie wollen freien Zugang zu allen Daten und Medienprodukten, die durch öffentliche Ausgaben erstellt wurden, denn dadurch verbessern sich die Wissenschaft, die allgemeinen Kenntnisse und die Kultur – außerdem haben sie dafür bereits mit ihren Steuern und ihren Rundfunk- und Fernsehgebühren bezahlt. Sie wollen frühere Werke zitieren und auf sie verweisen können, denn das ist die Voraussetzung eines jeden kritischen Diskurses. Sie wollen auf frühere Werke aufbauen können, denn darin besteht nun Mal die Grundlage jeglicher Kreativität und jedes Werk, dessen sie sich in Teilen oder als Anregung bedienen wollen, setzt sich doch selbst wiederum aus Vorgängerwerken zusammen.
Sie wollen ihre Netzwerke und ihre Computer benutzen können, ohne dass unter der Überschrift „Piraterie stoppen“ obligatorische Überwachungssoftware und Spyware installiert werden, denn Zensur und Überwachung wirken sich auf den freien Geist, intellektuelle Neugier und eine offene und gerechte Gesellschaft zerstörerisch aus.
Sie wollen nicht, dass sich irgendwelche gierigen Telekommunikationsriesen an ihren Netzwerken zu schaffen machen, um den Zugang zu ihren Kunden an Unterhaltungskonzerne zu verkaufen – denn wer für eine Netzwerkverbindung bezahlt, der tut das, um die Bits, die er haben möchte, so schnell wie möglich zu bekommen und nicht damit derjenige, der diese Bits zur Verfügung stellt, seinen Internetanbieter besticht.
Sie wollen die Freiheit haben, Tools zu entwickeln und zu benutzen, mit denen sie Informationen teilen und Communitys gründen können, denn das ist der Schlüssel zu jeglicher Form der Zusammenarbeit und gemeinschaftlichen Handelns – auch wenn eine Minderheit der User diese Tools vielleicht benutzen wird, um Pop-Songs zu ziehen, ohne dafür zu bezahlen.
IWTBF ist eine elegante Verknappung und spielt spitzbübisch mit der doppelten Bedeutung des Wortes „frei“ – aber heutzutage richtet der Slogan mehr Schaden an, als dass er nutzt.
Besser würde man sagen: „Das Internet will frei sein.“ Oder noch einfacher: „Die Menschen wollen frei sein.“
ist Schriftsteller, Blogger und Internetaktivist. Sein Text im Original finden Sie hier
Kommentare 2
Ich verstehe scheint's das Problem nicht. Das Internet ist so wenig frei, wie Zeitungen oder Kinos frei sind. Das Eintrittsgeld ins Internet sind mehr oder weniger teure elektronische Geräte, die zumindest mit einem IP-Stack umgehen können müssen und des weiteren wird Mal für Mal wieder ein Internet-Zugang benötigt. Für beides muss bezahlt werden, ebenso wie für das Zeitungspapier bezahlt werden muss, auf dem die Informationen stehen.
Angenommen ich kaufe mir alle drei Jahre ein neues Computer-Equipment für 1000 Euro. Das sind pro Tag fast 1 Euro. Plus die Flatrate für monatlich min. 30 Euro sind das schon 2 Euro pro Tag. Den Strom, die Zeit, die Nerven und die Zusatzprogramme für den Betrieb der Anlage noch nicht eingerechnet.
Informationen waren noch nie frei. Wenn ich etwas von meinem Nachbarn wissen will, muss ich mit irgend einer Währung bezahlen. Entweder ich erzähle ihm auch was oder ich lade ihn zum Grillen ein. Einfach so bekommt niemand Informationen.
Alles womit sich die Unterhaltungs- und Nachrichten-Händler derzeit schwer tun, ist der Technikwandel, und drum schreien sie nach dem Staat. Sie wollen neue Gesetze. Neue Urheberrechtsgesetze hat Papa Staat ihnen schon geschenkt. Der Bürger darf jetzt nur noch kopieren, wenn die Daten nicht kopiergeschützt sind und der Bürger muss natürlich parallel, ober kopiert oder nicht, Geräteabgaben für immer mehr Geräte und Leermedien an die Verwertungsgesellschaften zahlen.
Bald kommen noch die Leistungsschutzrechte dazu, die den Verlegern Rechte an Nachrichten (!) einräumen. Diese neuen Leistungsschutzrechte sollen Unterparagrafen im Urheberrecht werden. Die Verleger haben schon mal formuliert und platziert, und sie werden nicht müde, als Gestalter und Gebieter der öffentlichen Meinung ihren publizistischen Interesse den legislativen Weg zu ebnen.
Wenn sich C, Kika und H daran ein Beispiel nehmen, und sich ähnliche Paragraphen ins Gesetzeswerk implantieren lassen, sind die Zeiten bald vorbei, in denen wir unsere unchicken Pullis und doch nicht so gut sitzenden Jeans auf Flohmärkten für ein paar Euro verscherbeln durften. Denn dann sind die Klamotten für 50 Jahre leistungsschutzrechtlich von merkantiler Verwertung ausgenommen.
Das darf nicht sein! Auch Unterhosen wollen frei sein -- im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
@Fritz Teich
Stimmt. Zuerst denkt man, es wäre Unfug, und dann ist es plötzlich Gesetz. Versuchen Sie doch mal ihre Musik-Dateien aus dem iTunes-Store, die ihnen nicht mehr gefallen, oder ihre online gekaufte Software, die Sie nicht mehr benötigen, zu verkaufen, dann reden wir über Unfug.
@CMS-Chef
Halli, hallo. Die Wörter mit den Et-Zeichen sehen jetzt viel besser aus. Bitte, machen Sie den doppelten Kommentar doch auch weg.