Der Polizeibeamte Simon Harwood ist vom Vorwurf des Totschlags an Ian Tomlinson freigesprochen worden. Harwood hatte Tomlinson, der am ersten April 2009 im Chaos der Proteste gegen den gerade stattfindenden G20-Gipfel mit den Händen in den Hosentaschen nach Hause schlenderte, ohne jeglichen Grund mit einem Schlagstock geschlagen und ihn zu Boden gestoßen. Dieser findet kaum die Zeit, die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen, um sich im Fallen abzustützen. Kurz darauf stirbt er.
Harwood erklärte, im Nachhinein halte er sein Verhalten für etwas zu grob, damals habe er aber gedacht, Tomlinson wolle die Polizeiarbeit behindern und gehe absichtlich so langsam. Sein Verhalten müsse vor dem Hintergrund der Ereignisse jenes Tages gesehen werden. Der Jury wurden wi
wurden widersprüchliche Beweise darüber vorgelegt, ob Harwoods Angriff Tomlinsons Tod verursacht habe oder nicht.Der Human Rights Act garantiert jedem das Recht auf Leben. Dies wurde in der Praxis dahingehend interpretiert, dass der Staat verpflichtet ist, Todesfälle zu untersuchen, die in seinem Verantwortungsbereich geschehen sind und die zu belangen, die ohne rechliche Grundlage Menschen getötet haben. In der Realität scheint dies allerdings nahezu unmöglich. Jedenfalls ist seit 1986 kein Polizist wegen Todschlages verurteilt worden, obwohl hunderte in Haft oder nachdem sie mit der Polizei in Kontakt gekommen waren, zu Tode gekommen sind.Video erzeugte ErmittlungsdruckImmer wieder zeigt sich der Crown Prosecution Service (CPS) als unwillig, gegen Polizeibeamte zu ermitteln. Seit den Sechzigern sind mehr als 1.000 Menschen in Polizeigewahrsam gestorben (zwischen 1999 und 2010 waren es allein 300) und nur in einem Fall, im Jahr 1969, kam es dazu, dass ein Polizist verurteilt wurde. Lediglich aufgrund des Drucks, den Tomlinsons Familie auf die Regierung ausübte, wurde der Fall überhaupt untersucht. Im Zuge der Untersuchung wurde deutlich, dass Harwood sich Tomlinson gegenüber äußerst fragwürdig verhalten hatte. Aber erst als der Guardian vier Tage später eine Videoaufnahme veröffentlichte, auf dem Harwoods Verhalten dokumentiert ist, konnte der CPS eine Ermittlung nicht länger zurückhalten. Ob der Staat seiner Verpflichtung, das Recht auf Leben seiner Bürger zu respektieren, nachkommt, scheint im Augenblick also von der Hartnäckigkeit der Hinterbliebenen abzuhängen.Gleich um die Ecke des Southwark Crown Court, wo der Prozess gegen Harwood stattfand, wurde zur gleichen Zeit der Tod von Sean Rigg untersucht, der 2008 in Polizeigewahrsam gestorben war, nachdem Polizeibeamte ihn überwältigt und verhaftet hatten. Auch seine Familie hat die ganze Zeit über dafür gekämpft, dass die Umstände seines Todes aufgeklärt werden. Bemerkenswert war, wieviele Angehörige anderer Opfer von Polizeigewalt bein der Anhörung im Falle Rigg anwesend waren. Im Laufe des Verfahrens, stellte die Staatsanwaltschaft Harwood als „schwarzes Schaf“ dar. Ansonsten hätten sich die Polizeibeamten an diesem Tag durchweg besonnen und friedfertig verhalten. Es steht außer Frage, dass Harwood äußerst grob vorging – das Gericht konnte auch Filmmaterial einsehen, auf dem zu sehen ist, wie er einen Kameramann der BBC zu Boden wirft, einen Mann wegstößt, der einem auf dem Boden Liegenden helfen will und einem anderen einen Mantel ins Gesicht wirft.Gewalt an der TagesordnungDie Darstellung Harwoods als „schwarzem Schaf“ wird aber der Rücksichtslosigkeit und Brutalität nicht gerecht, mit der die Polizei als solche immer wieder vorgeht. Harwoods Verhalten war da keine Ausnahme. Davon zeugen nicht nur die vielen Hundert, die in Polizeigefängnissen zu Tode gekommen sind – auch bei öffentlichen Anlässen ist Polizeigewalt an der Tagesordnung. Bei den Studentenprotesten vor zwei Jahren wurden die Demonstranten von berittenen Polizisten mit Schlagstöcken angegangen und bis spät in die Nacht eingekesselt. In einer heute veröffentlichten Erklärung hat die Vereinigung Defend the Right to Protest darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, alle zu unterstützen, die darum kämpfen, dass die Polizei für ihre Taten zur Verantwortung gezogen wird, egal ob auf Demonstrationen, auf Streife oder auf der Wache. Harwood wurde von einer Mehrheit der Jury für unschuldig befunden, aber man muss schon froh sein, dass es überhaupt zu einer Untersuchung kam. Zu verdanken ist dies nicht der Entschlossenheit von Regierung und Justiz, Polizisten für deren Fehlverhalten zu belangen, sondern den Angehörigen Tomlinsons und ihrem Verlangen nach Gerechtigkeit.