Gerechtigkeit und Zweifel

Urteil Der Schuldspruch gegen Ex-Präsident Charles Taylor wird in Liberia durchaus zwiespältig aufgenommen. Die Opfer aber sehen ihren Mut belohnt

Seit Charles Taylors Überstellung nach Den Haag 2006 wurde über zwei Dinge verhandelt. Zum einen ging es um die strafrechtliche Frage, ob Taylor sich im Zusammenhang mit dem zehn Jahre währenden Bürgerkrieg in Sierra Leone Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit schuldig gemacht hat. Für viele, darunter tausende Opfer in Sierra Leone, diente dieser Prozess einfach zur Bestätigung von Taylors offensichtlicher Schuld. Als Taylor gestern der Beihilfe und Anstiftung in allen elf Anklagepunkten für schuldig gesprochen wurde, ist aus ihrer Perspektive der Gerechtigkeit genüge getan worden.

Doch zum anderen ging es auch um das System der internationalen Strafgerichtsbarkeit an sich. In Liberia, dessen ehemaliger Präsident als erstes afrikanisches Staatsoberhaupt wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurde, diskutierte man darüber besonders viel. Denn hier, und vielleicht nur hier, halten viele Taylor für unschuldig und seine Verurteilung für ungerecht.

Verschwörung des Westens

Denn die Schuld an einem gemeinsam begangenen kriminellen Akt oder die Befehlsverantwortung über die Rebellentruppe RUF konnten ihm eben nicht nachgewiesen werden. Das ist in den Augen vieler hier ein Hinweis auf seine generelle Unschuld. Der Prozess gegen ihn wird als Produkt eines ausgeklügelten Plans der internationalen Gemeinschaft betrachtet, der Liberia demütigen und den Status als abhängiges Land zementieren soll. Von der liberianischen Presse auf den Straßen Monrovias befragte Passanten sagten unter anderem, bei dem Prozess handle es sich um eine „Verschwörung des Westens“, vor dem Gericht seien „keine konkreten Beweise“ vorgebracht worden.

Die Behauptung, es habe keine handfesten Beweise gegeben, mag überraschen. In den beinahe sechs Jahren seit Beginn des Prozesses wurden 91 Belastungszeugen aufgerufen, 1.520 Beweismittel und über 50.000 Seiten mit Zeugenaussagen zusammengetragen. Hätte das Sondergericht sich mehr Mühe gegeben, den Verfahrensverlauf in Liberia einsehbar zu machen – wie es mit einem umfangreichen Informationsprogramm erfolgreich in Sierra Leone getan wurde – hätten sich die Liberianer sich sicher besser informiert gefühlt.

Wenig überraschend ist hingegen, dass Taylors Schicksal in Liberia die Lager spaltet. Taylor mag zur Verantwortung gezogen worden sein, doch Prince Johnson – um nur einen der vielen, vielen weiteren Rebellenführer als Beispiel herauszustellen – genießt sein Leben als Senator. Die amtierende Präsidentin Liberias Ellen Johnson Sirleaf hat vielleicht den Friedensnobelpreis gewonnen, doch innerhalb der kleinen liberianischen Führungselite sind die Unterstützer Taylors noch immer sehr präsent. Die Friedensmission der Vereinten Nationen in Liberia (Unmil) ist immer noch unabdingbar für die Erhaltung des Friedens.

Teuflische Kooperation

In dem Taylor-Prozess ging es aber eigentlich nie um Liberia. Vielmehr ging es der Anklage darum, eine Verbindung Taylors zu den sierra-leonischen Rebellen der RUF zu beweisen. Und sie wollte belegen, dass diese Verwicklung auf Beihilfe und Anstiftung oder die sogar noch schwerwiegenderen Vorwürfe der Befehlsverantwortung und eines gemeinsam begangenen kriminellen Akts hinauslief.

Für die Opfer der – nun bewiesenen – teuflischen Kollaboration bringt das gestrige Urteil eine gewisse Gerechtigkeit. So etwa für den doppelt Amputierten, der darum bat, dass man ihm auch noch den Arm abschneiden solle, statt ansehen zu müssen, wie sein Sohn eines seiner Gliedmaßen durch einen Machetenhieb verlieren würde. Oder für die Frau, die gezwungen wurde, einen schweren Sack mit den abgetrennten Körperteilen ihrer Kinder auf dem Kopf zu tragen, während das Blut auf sie herabtropfte. Sie wissen nun, dass sie mit ihrem Mut, nach Den Haag zu reisen und gegen Taylor auszusagen, einen Teil zur Geschichte beigetragen haben.

Das gestrige Urteil ist zweifellos historisch. Taylors Verurteilung trägt auch dazu bei zu klären, wer Verantwortung trägt für die komplexen Geschehnisse eines Jahrzehnts brutalen Krieges. Der Prozess war auch das Ergebnis langwierigen, heiklen Taktierens – von den Versuchen, den damaligen nigerianischen Präsidenten Olusegun Obasanja dazu zu bewegen, Taylor, der in Nigeria Asyl gefunden hatte, auszuliefern und der Entscheidung, das Sondergericht nach Den Hag umzusiedeln, da es Bedenken hinsichtlich der Stabilität Sierra Leones gab. Bis hin zum Bestreben der Richter, die jeden Anschein der Voreingenommenheit vermeiden wollten und Taylor sieben Monate lang mehr oder weniger frei das Wort ließen.

Der kostspieligste Angeklagte

Was die internationale Strafgerichtsbarkeit betrifft, so ist das Urteil noch nicht gefällt. Das Sondergericht für Sierra Leone war alles andere als perfekt. Einerseits hatte es mit Geldproblemen, unglaublichen Verzögerungen und ernstzunehmenden Zweifeln an der Kompetenz seiner Berufungskammer zu tun. Andererseits wurden Vorwürfe wegen Zahlungen an Belastungszeugen laut, die der Verteidigung zufolge die Fairness vieler Sondergerichtsprozesse fundamental untergraben.

Ironischerweise war es jedoch die Gründlichkeit der Verteidiger – besonders der Taylors – die dem Prozess die notwendige Legitimität gaben. Einige Beobachter hatten den Eindruck, dass die Qualität von Taylors Anwälten – allen voran des vorzüglichen Courtenay Griffiths – erheblichen Anteil daran hatten, Vertrauen in die Fairness des Verfahrens aufzubauen.

Taylor wird auch als der kostspieligste Angeklagte in der Geschichte der internationalen Strafgerichtsbarkeit eingehen. Pro Jahr kostete der Prozess Schätzungen zufolge 35 bis 40 Millionen US-Dollar. Insgesamt waren es geschätzte 250 Millionen Dollar.

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Geschrieben von

Afua Hirsch | The Guardian

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