„Überleg dir gut, was du dir wünschst“, lautet ein Sprichwort, „es könnte in Erfüllung gehen“. Im Falle des Internets, oder zumindest des Word Wide Webs, ist genau das eingetreten. Wir haben uns spannende Dienste gewünscht – E-Mail, Blogs, soziale Netzwerke, Bilderdienste – und das alles kostenlos. Und wir haben sie bekommen. Zusätzlich aber, ohne dass wir es uns gewünscht hätten, haben wir auch eine tiefgreifende und dauerhafte Überwachung all dessen bekommen, was wir im Netz veranstalten.
Wir hätten wissen müssen, dass es so kommt. Es ist nun mal nichts umsonst. Online-Dienstleistungen kosten ein Heidengeld: Man muss Programmier bezahlen, die den Code schreiben; muss Server kaufen oder leihen, betreiben, unterbringen, kühlen und warten; man muss Bandbreite kaufen und so weiter. Es gibt folglich im Grunde nur zwei Geschäftsmodelle, um unsere Wünsche zu erfüllen.
Das erste – das Bezahlmodell – ging nach hinten los, weil wir die Vorstellung hatten, dass im Internet alles kostenlos sein müsse, nachdem wir einmal einen Anbieter dafür bezahlt haben, dass er uns einen Zugang legt.
Ein schleichender Prozess
Die Unternehmen, die ihre Dienste „kostenlos“ anboten, mussten nach einem anderen Geschäftsmodell suchen, und haben es schließlich auch gefunden: Sie nannten es „Werbung“. Genauer gesagt ging es um die Frage, wie man die Werber mit den Usern kostenloser Online-Dienste in Kontakt bringt. Und es stellte sich heraus, dass dies nur möglich ist, wenn man aufs Genauste überwacht, was diese User online so alles treiben.
Das bringt uns zu dem Punkt, an dem wir uns heute befinden, eine Welt, in der, wie der Security-Guru Bruce Schneier es formuliert, „das Geschäftsmodell im Internet aus Überwachung besteht. Wir erstellen Systeme, die die Menschen ausspionieren und lassen sie im Gegenzug kostenlos unsere Dienste nutzen. Unternehmen nennen das Marketing.“
Wenn man das so darstellt, hört es sich an, als sei die sich immer deutlicher abzeichnende Dystopie das Ergebnis eines finsteren Plans. Doch dem ist nicht so. Es handelt sich vielmehr um einen schleichenden Prozess, in dem sich viele kleine, kurzfristige Entscheidungen summieren. Auf böse Genies stößt man dabei nur äußerst selten.
Und wenn man mal auf ein Genie trifft, dann ist es oft eher naiv. (Wenn auch vielleicht nicht ganz so naiv wie diejenigen, die geglaubt haben, freie Dienste seien wirklich ohne Gegenleistung zu haben.) Eines der nettesten und bedachtesten von ihnen ist Ethan Zuckerman, der jetzt das MIT Centre for Civic Media leitet. Vor einer Woche hat er in The Atlantic einen außergewöhnlichen Artikel veröffentlicht, in dem er die Rolle beschreibt, die er ohne es zu wollen bei der „Ursünde“ des Internets gespielt hat.
Die Erfindung der Pop-Up-Anzeige
Von 1994 bis 1999 arbeitete Zuckerman für Tripod.com, wo er an der Planung, Entwicklung und Implementierung einer Internetseite mitarbeitete, die Inhalte und Dienstleistungen an Kommilitonen verkaufte, die gerade eben frisch ihren Abschluss gemacht hatten. Als das nicht verfing (es war schließlich nicht „kostenlos“), bot Tripod.com zunächst Zentralrechensysteme für Webauftritte an, um dann zur Frühform eines sozialen Netzwerkes zu werden.
„Im Laufe von fünf Jahren“, schreibt Zuckerman, „probierten wir Dutzende von Finanzierungsmodellen aus, vom Abo-Service bis zum Merchandising. Das Modell, das schließlich das Rennen machte, beruhte darauf, die persönlichen Homepages unserer User zu analysieren, um Anzeigen auf ihnen besser platzieren zu können. Im Zuge dessen schufen wir eines der meistgehassten Instrumente der Werbewirtschaft: die Pop-up-Anzeige. Sie bot die Möglichkeit, eine Anzeige mit der Seite eines Users zu verbinden, ohne sie direkt auf der Seite zu platzieren – die Werber sorgten sich, dies könne den Eindruck erwecken, es bestehe eine Verbindung zwischen ihrer Marke und dem Inhalt der Seite. Auslöser war ein großes Automobilunternehmen, das sich darüber empörte, dass die Bannerwerbung, die es gekauft hatte, sich auf einer Seite wiederfand, die sich der Würdigung von Analsex verschrieben hatte. Ich schrieb den Code für das Fenster, in dem man eine Anzeige schalten konnte. Heute tut es mir leid und ich möchte mich dafür entschuldigen. Es war keine böse Absicht.“
Ich glaube ihm. Zuckerman ist ganz ohne Zweifel ein guter Mensch, der mittlerweile Großartiges für die Allgemeinheit leistet. Doch er brachte unabsichtlich ein Wettrüsten in Gang, in dem Internet-Unternehmen, die begriffen haben, dass die wertvollsten Anzeigen diejenigen sind, die die Zielperson mit der größten Wahrscheinlichkeit dazu bringen, etwas zu kaufen (das ist der Grund, weshalb Google so viel Geld verdient), versuchen, immer mehr über jeden einzelnen User in Erfahrung zu bringen, um die Zielgenauigkeit der Werbung immer weiter zu optimieren. Das Ergebnis ist die Dystopie, die das Web von heute darstellt.
Freilich hätte es nicht so kommen müssen. Wenn wir bereit gewesen wären, für das Privileg zu bezahlen, wäre die Online-Geschichte anders verlaufen. Man könnte daher mit einer gewissen Berechtigung sagen, dass wir das Netz bekommen haben, das wir verdienen.
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