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Lobpreisung Der Softwareentwickler Dave Winer ist einer der wichtigsten Personen des Internets, seit er vor 20 Jahren das Bloggen erfand. Dazu gehört mehr als nur technisches Wissen

In dieser Woche vor zwanzig Jahren läutete ein Software-Entwickler in Kalifornien ein neues Zeitalter unserer Kommunikation ein. Sein Name ist Dave Winer. Am 07. Oktober 1994 hat er seinen ersten Blogeintrag veröffentlicht. Er gab seiner Seite damals den Namen Davenet. Seither hat er so gut wie jeden Tag etwas darauf geschrieben. So wurde er zu einem der Älteren des Internet, der auf seine Art so bedeutend ist wie Vint Cerf, Dave Clark, Doc Searls, Lawrence Lessig, Dave Weinberger oder gar Tim Berners-Lee.

Liest man – so wie ich seit zwanzig Jahren - seinen Blog Scripting News, versteht man, warum. Dave Winer vereint Talent und Tugend auf seltene Art und Weise. Technisch gesehen zum Beispiel ist er ein äußert begnadeter Softwareentwickler. Vor vielen Jahren schrieb er eins der klügsten Programme, die jemals auf dem Apple II, dem IBM PC und dem ersten Apple Mac gelaufen sind – einen Gliederungseditor namens ThinkTank, der verändert hat, wie viele von uns über den Schreibprozess dachten. Danach schrieb Winer die erste richtige Blogging-Software, erfand das Podcasting und arbeitet an der Entwicklung von RSS mit, dem automatisierten Syndikations-System, das die versteckte Verdrahtung der Blogospäre darstellt. Und er bleibt innovativ, geht weiter an die Grenzen, schreibt weiter großartige Software.

Seine technische Virtuosität ist es allerdings nicht, die Winer zu einem der größten Blogger der Welt macht. Von ebenso großer Bedeutung ist, dass er ein klarer Denker und Schreiber ist, der politisch engagiert ist, starke Auffassungen vertritt und daran glaubt, in Diskussion mit denjenigen zu treten, die seine Meinung nicht teilen. Dennoch ist dieser meinungsstarke, kluge Menschen sensibel: Es verletzt ihn, wenn abfällig über ihn geschrieben wird. Doch auch diesen Schmerz vermag er auf philosophische Weise zum Ausdruck zu bringen.

“Wenn man zwanzig Jahre lang bloggt und Blogging-Software entwickelt“, schreibt er in einem Post, in dem er seine Karriere reflektiert, “trifft man eine Menge Leute. Und einige davon teilen die Liebe mit einem. Für mich bestand darin immer das Wunder des Bloggens. Ich kann mich sehr gut erinnern, wie ich Jahr 1999 oder 2000 auf eine Blogroll schaute und dort dutzende Namen sah. Von den meisten dieser Leute hatte ich noch nie gehört und alle hatten sie Blogs. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass es funktionierte. Aber ich erlitt einen herben Schock, als ich die Links anklickte und es darin immer um mich ging und man mich nicht mochte. Oy.“

„Wenn man Ehrungen erwartet, ist es schwer hinzunehmen, wenn diese Ehrungen in Form fauler Tomaten kommen, die mit maximaler Geschwindigkeit gegen deine virtuellen Körperteile geschleudert werden. Aber so ist es. Die Menschen bringen ihre Liebe auf die seltsamste Weise zum Ausdruck. Bei einem Workshop in Nordkalifornien habe ich das auch einmal im analogen Raum erlebt. Ich war sehr betrübt darüber. Aber hinterher wurde mir gesagt, ich sei die beliebteste Person im Raum gewesen. Das soll mal einer verstehen.“

In den zwei Jahrzehnten, seit Dave Winer das Genre mehr oder weniger erfunden hat, hat das Bloggen den üblichen Internet-Hype-Kreislauf durchgemacht: Atemlose Lobpreisungen als das nächste große Ding, rasant schnelle Verbreitung, dann das Einsetzen von Langeweile und der Beginn der Suche nach dem nächsten großen Ding. Momentan sind Microblogging – zum Beispiel Twitter – und kurzlebige Kommunikationsformen wie Snapchat der neuste Schrei. Doch auch das wird vorübergehen.

Und dann wird man feststellen, dass einige der interessantesten Dinge, die geschrieben und gedacht werden, einige der interessantesten Diskussionen, weiterhin in der Wildnis der Blogosphäre, weit weg von den Medienmarken und Onlinepublikationen mit den großen Namen zu finden sind. Dann werden Seiten wie Crooked Timber wiederentdeckt werden. Oder der erstaunliche Becker-Posner-Blog, auf dem ein Nobelpreisträger und ein angesehener amerikanischer Richter täglich wunderschön verfasste Gedanken zu großen Themen austauschen. Dann wird man wieder Light Blue Touchpaper besuchen, um herauszufinden, worüber die Computersicherheits-Forscher in Cambridge so nachdenken. Oder Freedom to Tinker , wo ihre Kollegen in Princeton dasselbe tun. Wird man dessen überdrüssig, kann man auf Larry Lessigs Blog dessen Kampagne gegen Korruption in der US-Politik verfolgen oder den wunderbaren Blog von Doc Searl aufsuchen, der es schafft, über so wirklich jedes Thema interessant zu schreiben. Und so weiter und so weiter.

Es wäre absurd zu behaupten, dass diese Fülle an Schätzen ganz und gar auf Dave Winer zurückzuführen ist. Und doch: Wenn die Geschichte des Internets geschrieben werden wird, wird sein Name zu denen zählen, die ganz oben strahlen. Denn er war der Typ, der gezeigt hat, was mit Bloggen möglich ist. Und ich für meinen Teil hoffe, dass er es auch im Jahr 2034 noch tun wird.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

John Naughton | The Guardian

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