Dass sie einander einst getroffen haben, gilt als sicher. Aber haben sie's auch miteinander getan? Anthropologen spekulieren schon lange darüber, ob frühe Menschen und Neandertaler sich gepaart haben, oder ob die Entwicklung von Homo sapiens und Homo neanderthalensis völlig separat stattgefunden hat. Die moderne Genetik bringt nun endlich Licht in diese dunkle Nische der Menschheitsgeschichte, denn nachdem vor neun Jahren der Text des menschlichen Genoms veröffentlicht wurde, liegt jetzt die erste vollständige DNA-Sequenz des ausgestorbenen Verwandten vor.
Forscher des Max-Planck-Institutes für evolutionäre Anthropologie berichten in der aktuellen Ausgabe des Magazins Science, dass die DNA moderne Homo sapiens und der Neandertaler, die sie vor 400.000 Jahren von einem gemeinsamen Vorfahren geerbt haben, zu 99,7 % übereinstimmt. Die Untersuchung liefert auch den bislang stärksten Beleg dafür, dass in der Region des Fruchtbaren Halbmondes im Nahen Osten intime und durchaus fruchtbare Begegnungen zwischen den beiden Spezies stattgefunden haben.
Man nimmt an, dass kleine Gruppen des modernen Menschen vor 80.000 Jahren damit begannen, Afrika zu verlassen und im eurasischen Raum Landstriche erreichten, die dann auch von Neandertalern bewohnt waren. Die beiden könnten in kleinen Gruppen nebeneinander her gelebt haben, bis die Neandertaler vor 30.000 Jahren ausstarben.
Der kleine Neandertaler in uns
Die Forscher aus Leipzig verbrachten vier Jahre damit, das gesamte Neandertaler-Genom zu sequenzieren. Es stammt aus pulverisierten Knochenfragmenten von drei weiblichen Neandertalern, die vor etwa 40.000 Jahren in Europa lebten. Zum ersten Mal wurde es mithin möglich, die kompletten Genome von Neandertalern und modernen Menschen aus Frankreich, China, dem Süden und Westen Afrikas sowie aus Papua Neuguinea miteinander zu vergleichen. Der Vergleich zeigt, dass Homo neanderthalensis enger mit jenen Menschen verwandt ist, die Afrika verlassen haben als mit Menschen, die dort blieben. Zwischen einem und vier Prozent der DNA in modernen Europäern, Asiaten und denen, die so weit entfernt leben wie Papua Neuguinea stammt von den Neandertalern.
„Diejenigen von uns, die außerhalb Afrikas leben, tragen einen kleinen Neandertaler in sich“, sagte Professor Pääbo, der Leiter des Leipziger Forschungsteams. „Neandertaler haben sich wahrscheinlich mit dem modernen Homo Sapiens vermischt, bevor dieser sich in zwei verschiedene Gruppen in Europa und Asien aufteilte. Der Vergleich dieser beiden genetischen Sequenzen ermöglicht uns herauszufinden, worin unser Genom sich von dem unseres engsten Verwandten unterscheidet.“
Zwei Weibchen könnten genügt haben
Kreuzungen zwischen Neandertalern und Menschen müssten allerdings nicht unbedingt häufig gewesen sein. Bereits zwei weibliche Neandertaler in einer einzelnen Gruppe von mehreren Hundert Menschen hätten ausgereicht, um die nun entdeckte Spur in unserem Genom zu hinterlassen, vorausgesetzt, es handelte sich um die Gruppe, aus der alle modernen Menschen außerhalb Afrikas hervorgegangen sind.
Die neue Studie wird von der Forschungsgemeinde dennoch als sicheres Zeichen dafür gewertet, dass Neandertaler und moderne Menschen sich tatsächlich vermischt haben. „Es sagt uns mit Sicherheit etwas über die menschliche Natur“, meint Chris Stringer, Chef der Abteilung für Entstehungsgeschichte im Natural History Museum in London. Ed Green von der University of California sagt: „Wir können nicht sinnvoll darüber mutmaßen, wie die beiden Gruppen kulturell interagiert haben. Es ist aber wichtig zu wissen, dass ein Austausch von Genen stattgefunden hat und es ist faszinierend darüber nachzudenken, wie es dazu gekommen sein könnte. Das ist nicht, was manche sich vorgestellt haben. Wir haben Spuren von Neandertalern in allen nicht-afrikanischen Genomen gefunden. Das bedeutet, dass die Verbindung schon früh stattgefunden haben muss, wahrscheinlich im Nahen Osten. Sie wird von allen Nachfahren der frühen Menschen geteilt, die aus Afrika ausgewandert sind.“
Wichtige Rolle fürs Gehirn?
Die deutsche Forschergruppe muss nun untersuchen, welche Rolle, wenn überhaupt, die Neandertaler-Gene im Genom des modernen Menschen spielen. Die Studie hebt aber mehrere Gene hervor, die nur beim modernen Menschen vorkommen. Vermutlich spielen diese Erbanlagen eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Gehirnfunktionen, Merkmalen des Schädels, dem Stoffwechsel und der Bildung von Schlüsselbein und Brustkorb.
„Ein großer weiterer Schritt wird sein herauszufinden, ob die Neandertaler-Gene für uns von funktionaler Bedeutung sind", sagt Professor Stringer. Und fragt: "Haben die Nicht-Afrikaner etwas in ihren biologischen Anlagen, das von diesen Genen herrührt?“
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