Tim Berners-Lee, der Vater des World Wide Web, fordert Internetuser auf, von Mega-Unternehmen wie Google und Facebook ihre persönlichen Daten anzufordern. Dies könne ein neues Zeitalter hochpersonalisierter Computerdienstleistungen einläuten, die ein „gewaltiges Potenzial bergen, den Menschen zu helfen“.
Der in Großbritannien geborene Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) sagt, die Menge der im Netz veröffentlichter Daten sei in den vergangenen Jahren explosionsartig angestiegen und der Einzelne habe noch nicht verstanden, wie wertvoll die persönlichen Daten sind, die sich im Besitz verschiedener Internet-Unternehmen befinden: „Mein Computer weiß viel darüber, wie fit ich bin, was ich esse, und über die Orte, an denen ich mich aufhalte. Das Telefon in meiner Hosentasche bekommt mit, wie viel Sport ich mache, wie viele Treppen ich gestiegen bin und so weiter.“
Die Auswertung dieser bei Online-Unternehmen gespeicherten Daten könne unglaublich nützliche Dienstleistungen ermöglichen, wenn die Menschen selbst darüber verfügen könnten. „Die sozialen Netzwerken haben die Daten gespeichert und ich nicht … Es gibt keine Programme, die ich auf meinem Computer laufen lassen kann, und die es mir erlauben, die in allen von mir verwendeten sozialen Netzwerken, in meinem Kalender und auf meinem kleinen Fitness-Gadget gespeicherten Daten zu meinem Vorteil zu verwenden.“
Langsam würden die großen Unternehmen auf den Druck der Konsumenten reagieren und die Daten der Nutzer leichter zugänglich machen. Google etwa bietet seinen Kunden nun unmittelbaren Zugang zu allen über sie gespeicherten Daten und Facebook will den Nutzern ihre Daten schicken, auch wenn es bis zu drei Monate dauern kann, bis sie alle verfügbar sind. Wenn die Daten-Outputs verschiedener Seiten erst einmal standardisiert würden, könnten unsere eigenen Computer laut Berners-Lee immer ausgefeiltere Dienste anbieten und uns beispielsweise empfehlen, was wir morgens lesen sollten. „Sie werden nicht nur wissen, was da draußen gerade passiert, sondern auch, was ich gelesen habe, in welcher Stimmung ich bin und mit wem ich mich später noch treffen werde.“
Zurück ins offene Netz
In der Vergangenheit warnte Berners-Lee, der Aufstieg von Speichern sozialer Netzwerke wie Facebook und "closed world"-Apps wie die von Apple, die nicht von Suchmaschinen gefunden werden können, bedrohten die Offenheit und Universalität, die die Architekten des Internet bei seiner Planung als wesentlich angesehen hatten. Er sagt, er mache sich nach wie vor Gedanken über die Auswirkungen dominanter oder gar monopolistischer Unternehmen, glaube aber, dass die größere Innovationsfähigkeit kleinerer Unternehmen es unwahrscheinlich mache, dass die gegenwärtigen Netzgiganten ihre Dominanz für immer ausüben werden.
„Es ist interessant, dass die Leute immer Angst vor Monopolen hatten, solange es das Internet gibt. Zuerst gab es Befürchtungen, (der Browserhersteller) Netscape könnte totale Kontrolle über den Browsermarkt ausüben. Dann galt die Skepsis plötzlich der Marktmacht von Microsoft. Man lernt daraus, dass die Dinge sich sehr schnell ändern können. Vor dem Web, schien es, als würde Gopher [eine frühe Alternative zum world wide web] schnell das ganze Netz übernehmen. Kluge Leute sagten damals: `Es ist erstaunlich, wie schnell die Leute im Netz etwas aufgreifen, aber es ist auch erstaunlich, wie schnell sie es wieder fallenlassen.'“ Internetnutzer, so Berners-Lee, sollten sich allerdings stärker darüber im Klaren sein, dass Seiten, die ihnen als dauerhafte Fixpunkte im Netz erscheinen, innerhalb weniger Jahre verschwunden sein könnten. „Um welche Seite es sich auch immer handeln mag, wo auch immer man seine Daten speichert – man sollte sichergehen, dass man sie in standardisierter Form zurückbekommen kann. Und an Ihrer Stelle würde ich das in regelmäßigen Abständen machen, gerade so, wie man seinen Computer sichert. Vielleicht hängt es davon ab, welchen Rechner wir benutzen, ob unsere Enkelkinder sich unsere Fotos ansehen können.“
Ihm bereite die Verbreitung der sogenannten Native Apps Sorgen, wie sie für das I-Phone und das I-Pad hergestellt werden, denn sie im Netz durch Suchmaschinen nicht aufspürbar. „Jedes Mal, wenn heute jemand ein Magazin auf einem Telefon lesbar macht, ohne es über eine Web-App [einer offenen Software] anzubieten, verliert der öffentliche Diskurs eine ganze Menge an Informationen – Ich kann nicht darauf verlinken, ich kann es nicht diskutieren, ich kann es nicht liken, ich kann es nicht hassen.“
Der schnelle Fortschritt bei den Web-Apps und die hohe Funktionalität, die sie böten und die zuvor nur bei Apple und Android-Apps zu bekommen gewesen sei, sorgt laut Berners-Lee jedoch dafür, dass unterm Strich mehr Informationen ins offene Netz zurückkehren würden.
Datenmengen sind nicht schlecht
Mit einer klaren Spitze gegen Apple restriktives Programm-Ökosystem, sagte er: „Ich sollte in der Lage sein, selbst zu bestimmen, welche Applikationen ich verwenden möchte, um mein Leben zu regeln, welche Inhalte ich mir ansehe, und welches Gerät ich verwende, welchem Internetprovider ich benutze, und ich würde diese Entscheidungen gerne unabhängig treffen.“
Kritisch sieht Berners-Lee auch die Tendenz hin zu relativ restriktiven Smartphones auf Kosten von Desktop-Computern und Laptops. „Eines der Dinge, die mir an meinem Computer gefallen, ist, dass ich auf ihm ein Programm schreiben kann oder eines herunterladen, installieren und benutzen kann. Für mich ist das von gewisser Bedeutung … und das ist es auch für die gesamte Zukunft des Internet … eine geschlossene Plattform stellt ganz offensichtlich eine ernsthafte Innovationsbremse dar.“
Höchst besorgt ist er über die Schritte einiger Laptop-Betriebssysteme, „auch diese dicht zu machen, weil wir die geschlossene Umgebung bei abgeriegelten Smartphones mögen.“ "Solch begrenzte Betriebssysteme könnten zwar die Sicherheit erhöhen, bedeuteten „auf der anderen Seite aber das Ende für den allgemeinen Innovationsraum, den Universalrechner darstellen."
Trotz aller Datenschutzbedenken, sagte Berners-Lees, die Nutzer profitierten in gewaltigem Maße von der enormen Datenmenge, die große Netzunternehmen über sie sammeln, diese müssten aber zunehmend versuchen, Grenzen bezüglich der Verwendung dieser Daten einzuziehen.
„Wenn ich in ein Geschäft gehe und mir etwas zum Anziehen kaufe, ist es hilfreich, wenn sich die Leute in dem Geschäft daran erinnern, welche Größe ich habe, denn ich kann mir Sachen unglaublich schlecht merken … Anstatt die Leute davon abzuhalten, Informationen über uns zu sammeln, bewegen wir uns auf eine Welt zu, in der die Menschen übereinkommen, die Informationen für bestimmte Zwecke nicht zu benutzen … also zum Beispiel zu gewährleisten, dass, wenn der Versicherungsvertreter der Freund eines Freundes auf Facebook ist, er diese Information nicht nutzt, um deinen Beitrag zu erhöhen.“
Die Zukunft, ein Schalter?
Die Erarbeitung einer "do not track"-Liste, die im Augenblick von der Federal Trade Commission in den USA diskutiert wird, würde seiner Meinung nach das Vertrauen der Nutzer erhöhen, dass ihre persönlichen Daten nicht missbraucht werden – sie bräuchten einfach auf ihrem Browser einfach nur „einen Schalter umzulegen“, um Internetseiten anzuweisen, ihr Onlineverhalten nicht zu dokumentieren.
Am meisten bereitet Berners-Lee die Versuche von Regierungen Sorge, ihre Kontrolle über das Netz zu verschärfen oder im Netz Spionage zu betreiben. Dies würde zur „Zerstörung von Menschenrechten“ führen. Den Plänen der britischen Regierung etwa, die Überwachung von Kommunikation auf E-Mails, soziale Netzwerke und Skype auszuweiten, und auch die gesamte Web-Nutzung von Einzelpersonen zu überwachen, steht er ebenfalls äußerst kritisch gegenüber. Sorgen macht er sich auch wegen des Cyber Intelligence Sharing and Protection Act, eine derzeit in den USA diskutierten Gesetzesentwurf, der die Möglichkeiten der Regierung erweitern würde, Patente und Urheberrechte durchzusetzen.
„Dadurch sind die Rechte von Amerikanern und quasi von Leute auf der ganzen Welt bedroht, denn was in den USA geschieht, hat tendenziell Auswirkungen auf die Menschen auf der ganzen Welt. Es ist erstaunlich, wie schnell die US-Regierung mit einer neuen und anderen Bedrohung der Rechte ihrer Bürger ankam, nachdem SOPA und PIPA durch den gewaltigen öffentlichen Protest gestoppt werden konnten.“
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