Ich bin auf einem fliegenden Teppich zurück nach Bagdad gekommen! Ehrlich, ich sage es Ihnen. Es gab noch nie eine Fluggesellschaft mit einem passenderen Namen: Magic Carpet Airlines. Sie fliegt täglich von Beirut, wo ich die vergangenen drei Monate gelebt habe, in die irakische Hauptstadt. Als der Pilot den Landeanflug auf den Flughafen von Bagdad ankündigte, machte ich mich darauf gefasst, dass sich mir bald der Magen umdrehen würde, weil das Flugzeug sich 15 Minuten in Abwärtsspiralen auf die Landebahn zu bewegen würde, um innerhalb der Sicherheitszone des Flughafens zu bleiben. Aber nichts dergleichen! Die Landung war kein bisschen hektisch, sondern ganz normal: Das erste und dazu noch sehr willkommene Anzeichen dafür, dass sich etwas geändert hat.
Ich war nun beinahe zwei Jahren weg gewesen. Das Bagdad, das ich 2007 verlassen habe, war nicht die Stadt, in der ich aufgewachsen bin und die ich liebe. Sie war so anders geworden, so gewalttätig, so sehr eine andere, dass ich nicht das Gefühl gehabt hatte, mein Bagdad zu verlassen. Ich kann mich an den Augenblick erinnern, in dem mir klar wurde, dass ich nicht länger die Wahl hatte, zu gehen oder zu bleiben, sondern der Fortgang eine schlichte Notwendigkeit geworden war. Ich saß im Schlafanzug auf dem Boden vor unserem Haus, mein Vater, meine Mutter und meine Tante kauerten neben mir, alle in ihren Schlafanzügen. Zwei amerikanische Soldaten richteten diese absurd großen Gewehre auf uns und ein unnötig aggressiver Übersetzer zischte uns an: „Wir wissen, dass ihr Sprengstoff im Haus habt. Es wäre besser für euch, uns zu sagen, wo ihr ihn versteckt habt, als wenn wir das ganze Haus durchsuchen müssen und ihn schließlich selbst finden.“
Zu dieser Zeit lebten wir auf einem von der irakischen Armee bewachten Gelände, auf dem vielen aktuellen und ehemaligen Regierungsvertretern eine „sichere“ Unterkunft zur Verfügung gestellt wurde. Die kurze Amtszeit meines Vaters als Minister während Ayad Allawis Übergangsregierung im Jahr 2004, sowie die Tatsache, dass er den Wahlkampf für die Partei Irakische Nationale Einheit geleitet hatte, verschafften uns das zweifelhafte Privileg, hier zu wohnen. All diejenigen Gruppen, die aus politischen Gründen oder des Geldes wegen zu töten und/oder kidnappen bereit waren, mussten nur ein Auge auf das Tor des Geländes haben, um zu sehen, wer dort ein und aus ging. Uns zu erwischen war kinderleicht.
Die Flucht war unvermeidlich
Aber zurück zu jenem Morgen, an dem wir in unseren Schlafanzügen auf dem Boden saßen, sechs Hummel-Supertransporter am Tor und ein Dutzend amerikanische Soldaten in unserem Haus, die unsere Sachen durchsuchten und schließlich der mit einer Wollmütze bekleidete irakische Übersetzer, der immer nur wiederholte: „Keiner bewegt sich, dann geschieht auch keinem etwas!“
Es war nicht so, dass uns die Sache besonders überrascht hätte. Ehrlich gesagt, schien sie fast unvermeidbar, und zwar aus folgenden Gründen: der sunnitische Familienname, die Stammesbeziehungen, die mit diesem Namen in Verbindung stehen, der Stimmungsumschwung der öffentlichen Meinung, die sich nach der Wahl einer streng religiösen schiitischen Regierung gegen Ayad Alawi und alle, die mit ihm in Verbindung gebracht wurden, richtete und schließlich der deutlich vernehmbare Protest meines Vaters gegen das Wiedererstarken des religiösen Fundamentalismus in der Politik. Wir anderen, der Rest der Familien, waren hierbei zu Geiseln geworden.
Nachdem sie ungefähr eine Stunde lang unser Haus durchsucht hatten, zogen die amerikanischen Soldaten wieder ab, ohne einen Grund gefunden zu haben, einen von uns festzunehmen. Was sie aber gefunden hatten, war das Geld, das meine Mutter für unsere für den kommenden Tag geplante Reise nach Jordanien von der Bank geholt hatte. Wir wussten, dass wir nachsehen mussten, ob etwas fehlt, nachdem sie unser Haus durchsucht hatten. Es gelang mir noch, den Übersetzer zu erwischen und ihm zu sagen, dass 2000 Dollar fehlten. Er sagte mir, er werde sich darum kümmern.
Zehn Minuten, nachdem all die Hummeln weg waren, brachen auch wir auf. Wir waren zuhause geblieben, weil es auf der Straße zu gefährlich war. Nun hatten wir auch hier nicht mehr das Gefühl, sicher zu sein. Wir hatten es bis hierher geschafft, der uns umgebenden Realität von Entführungen und Mordanschlägen zu entgehen und wollten unser Glück nun nicht weiter herausfordern. Die meisten aus meinem erweiterten Familienkreis hatten den Irak zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen und wir hatten nun fast so viele Bekannte und Verwandte in Syrien und Jordanien wie im Irak.
Bagdad - eine von Angst und Trauer bestimmte Stadt
Wir reisten ab, wie viele, viele andere auch. 2007 schätzte das UN-Hochkomissariat für Flüchtlinge, dass ungefähr fünf Millionen Iraker seit Kriegsbeginn im Jahr 2003 ihre Heimatstadt hatten verlassen müssen; die meisten von ihnen suchten Zuflucht in anderen irakischen Städten. Als ich kurz nach Beginn des Krieges den Süden des Landes besuchte, gab es bereits Anzeichen dafür, dass einige Gruppen schiitischer Muslime Christen nötigten, in den Norden des Landes zu ziehen. Unterdessen drängten die Kurden im Norden die Araber aus Kurdistan hinaus. In Bagdad fand nicht nur eine Segregation der einzelnen Stadtteile nach Sekten- und Religionszugehörigkeit statt; um der Gewalt zwischen ihnen Einhalt zu gebieten, wurden riesige Betonmauern errichtet, welche die Grenze zwischen schiitischen und sunnitischen Vierteln markierten.
Ich kann immer noch nicht verstehen, warum die Ärzte aus dem Land vertrieben wurden. Ihnen folgten die anderen Akademiker. Listen mit den Namen von Universitätsprofessoren, Geschäftsleuten und Regierungsbeamten machten die Runde. Sie stehen auf der Liste, erzählte man uns. Auch wenn sie nicht wussten, warum - würden sie das Risiko eingehen? Natürlich nicht: Sie packten ihre Sachen und verschwanden. Wenn man nicht in die politischen und ethnischen Schubladen passte, die im Nachkriegschaos entstanden, war man draußen. Bagdad wurde zu einer von Angst und Trauer bestimmten Stadt.
Wie um jede Illusionen über den Ernst der Lage im Keim zu ersticken, wurde einer meiner Onkel von dem vermeintlich geschützten Gelände des Ölministeriums entführt. Militante Schiiten marschierten hinein, klopften an Türen, schnappten sich hohe Beamte des Ölministeriums und marschierten wieder hinaus. Eine sehr hässliche Geschichte. Es dauerte Wochen, bis wir ihn wieder frei bekamen. Niemand in der Familie spricht viel darüber. Diejenigen Familienmitglieder, die sich noch im Irak aufhielten, verängstigte die Angelegenheit zutiefst, da sie mit den Entführern verhandeln mussten, die ein Lösegeld forderten. Wer das Land bereits verlassen hatte, schüttelte es förmlich von sich ab. Die Botschaft war zu eindeutig: Dies ist nicht mehr euer Land, ihr seid hier nicht länger willkommen.
Euer Land ist jetzt sicher
Nicht, dass es außerhalb des Irak viele Orte gegeben hätte, an denen Iraker willkommen gewesen wären. Die Regierungen der Nachbarländer murrten bereits über die „Flut“ der irakischen Flüchtlinge und die europäischen Länder revidierten in Bezug auf die Iraker ihre Asylgesetze. Das Argument war immer: „Euer Land ist jetzt sicher, also geht zurück.“ Wir flohen, wohin wir konnten: Meine Mutter blieb in Jordanien, mein Vater im Libanon, meinem Bruder gelang es, Arbeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu finden und ich konnte nach London reisen, da ich das Glück hatte, ein Stipendium vom British Council, dem Pendant des Goetheinstituts, für ein Promotionsstudium im Fach Journalismus erhalten zu haben. Was um alles in der Welt mache ich zwei Jahre später schon wieder hier?
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es unter Exilirakern einen allgemeinen Trend zur Rückkehr gibt. Wenn man nach der Truppenaufstockung der Amerikaner und der viel zitierten Verbesserung der Sicherheitslage die Nachrichten verfolgt hat, könnte man den Eindruck haben, die Iraker würden in Scharen in ihr Land zurückkehren. Die Wahrheit aber ist, dass viele von denen, die zurückkehrten, das Land nur kurze Zeit darauf wieder verließen, da ihre Häuser nun von anderen bewohnt wurden oder ihre Bezirke immer noch unsicher waren. Andere wiederum blieben, mit einem Bein im Irak, mit dem anderen in der Tür ihres Gastlandes, für den Fall, dass man wieder fliehen muss. Dies ist der Punkt, an dem meine Familie und ich gerade stehen.
Seitdem der Krieg begonnen hat, ist Bagdad für mich eine Stadt geworden, über die ich mir kein Urteil machen kann, solange ich nicht tatsächlich da bin. Wenn man sich im Ausland die Nachrichten anhört, kann das sehr verwirrend sein und gibt einem kaum einen ausreichenden Gesamteindruck. Als ich vor drei Monaten nach Beirut zog, klarte das Bild dann etwas auf. Und nun will ich sehen, ob sich die Situation wirklich verbessert hat.
Während ich mich in Beirut aufhielt, erfuhr ich, dass die libanesische Design-Beratungs-Firma, für die ich gearbeitet hatte, während ich meinen Blog aus Bagdad schrieb, wieder im Irak tätig ist und dass die irakische Regierung sich ein beeindruckendes Programm vorgenommen hat.
Ein neuer grundlegender Masterplan für den Großraum Bagdad wird gerade ausgearbeitet, ehemalige Kasernengelände werden zu riesigen zivilen Wohngebieten umgestaltet und Sadr City wird in naher Zukunft einige beeindruckende Veränderungen erleben. All dies wurde durch schrittweise Verbesserungen im Bereich der Sicherheit und Gewinnen aus den hohen Ölpreisen des vergangenen Jahres ermöglicht.
Eine U-Bahn für Bagdad? Hört sich gut an
Die Stadtverwaltung lässt sich auch von einem Selbstmordattentat nahe des Kadhima-Schreins nicht davon abhalten, auf ihrer Internetseite einen Aufruf an Architekten und Stadtplaner zu veröffentlichen, Entwürfe für die Gestaltung der weiteren Umgebung des Schreins einzureichen. Und dies nur einen Monat nach Eröffnung des Vergabeverfahrens für den Bau der Bagdader U-Bahn. Ich wusste noch nicht einmal, dass schon Pläne für das Projekt eingereicht worden waren, geschweige denn, dass es schon mit dem Bau begonnen werden kann.
Eine U-Bahn in Bagdad? Hört sich verdammt gut an, oder? Genau wie die Pläne für ein Fünf-Sterne-Hotel und Shopping Malls im Stadtzentrum oder die Pläne einer Objektentwicklungsgesellschaft aus den Vereinigten Arabischen Emiraten für ein 15 Milliarden schweres Wohnungsprojekt im Norden. OK, ich weiß, was Ihr jetzt machen werdet. Ihr werdet mir einen Link zu diesem verrückten „Bagdad Disneyland“ schicken, über das die Times im vergangenen April berichtet hat und werdet mir sagen, ich solle meine Begeisterung mal nicht übertreiben.
Was mich aber in Bezug auf all diese Projekte hoffen lässt – nicht auf die Disneyland-Sache, das wäre dumm -, ist das, was ich im Fernsehen im Laufe der vergangenen zwei Wochen aus der Stadt Karbala gehört habe. Die Stadt hatte gerade das Ashura-Fest beendet – das 10-tägige Gedenken an einen der meistverehrten Imame des schiitischen Islam. Im Fernsehen wurde viel über die Feierlichkeiten berichtet und was ich sah, war Meilen von dem schäbigen Stadtzentrum entfernt, das ich 2003 besuchte, als ich für Newsnight einen Film über die Ashura-Festivitäten machte. Geld und relative Ruhe vorausgesetzt, kann man es schaffen.
Was die politische Ebene angeht, so war meine Unterstützung für den gegenwärtigen Premierminister Nouri Maliki nie so groß wie während der Verhandlungen über den Status der Truppen (status of forces agreement) mit den UA. Hier schien es einmal so, als könnte die irakische Regierung sich durchsetzen. Ja, die Verhandlungen waren chaotisch und da irakische Parlament verhielt sich schließlich wie ein Haufen Kindergarten-Kinder, der Premierminister und sein Kabinett kämpften hart mit den amerikanischen Unterhändlern. Es war großartig, das mitanzusehen und ist hoffentlich ein Zeichen politischer Reife.
Meine Mutter verbrachte vor kurzem vier Wochen in Bagdad. Sie wohnte in meiner Wohnung im Stadtzentrum, in der ich jetzt wohne. Sie war sehr positiv angetan und erzählte jedem, wie sehr sie es genossen habe. Ohne uns etwas zu sagen, besuchte sie Verwandte in Karbala und Najaf und fuhr mit dem Taxi durch Bagdad. Alles, worüber sie sich beschwerte, als sie uns von ihren Abenteuern erzählte, war der Verkehr, und dass alles so teuer geworden sei. Als aber auch meine Tante herkommen wollte, um sich ein Bild von der Lage zu machen, rief eine Mutter sie an, um ihr zu sagen, sie hoffe, sie habe nicht zu euphorisch und optimistisch gewirkt – sie sei einfach sehr aufgeregt gewesen, wieder zurück zu sein.
Jetzt, wo auch ich zurück bin, sage auch ich mir, ich sollte meinen Optimismus zügeln. Man darf nicht vergessen, dass in Mossul bis vor kurzem Christen aus ihren Häusern vertrieben wurden, dass immer noch jede Woche Hunderte bei Selbstmordanschlägen getötet werden, und dass sich die Situation angesichts der kommenden Provinzwahlen wieder verschlechtern könnte. Strom- und Wasserversorgung funktionieren immer noch mehr schlecht als recht, lange Ausfälle sind immer noch die Regel.
Ich möchte mich wieder als Bagdader fühlen
Und ich bin mir nicht sicher, ob ich in die Stadt zurückgekehrt bin, die ich verlassen habe. Hat sie das, was sie durchgemacht hat, so sehr verändert, dass sie mir fremd geworden ist? Ich hoffe nicht. Ich möchte mich wieder als Bagdader fühlen, ich möchte meinen Führerschein wiederhaben und die Straßen entlang fahren, die ich einst geliebt habe. Ich möchte den Büchermarkt besuchen und mir die Galerien ansehen. Ich habe gehört, dass sogar das Irakische Nationalmuseum wieder für den Publikumsverkehr geöffnet ist. Nachdem es zu einer Quelle von Furcht, Besorgnis und Trauer geworden war, möchte ich, möchte ich mich in Bagdad wieder heimisch fühlen.
Die geschäftigen und belebten Straßen vom Fulghafen zu meiner Wohnung sind ein gutes Omen und die Begrüßungsworte meiner Tante „Gut, dass du wieder da ist, es wird dir gefallen“, geben mir noch mehr Hoffnung. Drücken sie mir also bis zu meinem nächsten Eintrag die Daumen, dass mich Bagdad genau so herzlich begrüßen wird, wie sie es getan hat.
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