Industrielle Revolution in Benin: Wolle Pflücken, Stoffe schneiden
Reportage Wird mehr Baumwolle in Spinnereien, Webereien und Bekleidungswerken verarbeitet, könnten schon bis 2030 etwa 300.000 Arbeitsplätze entstehen. Ein großer sozialer Gewinn für das westafrikanische Land
Muriel Akouewanous Traum ist es, sich zur Textilingenieurin ausbilden zu lassen
Foto: Ace Multimedia/Guardian/Eyevine
Als Muriel Akouewanou ihr naturwissenschaftliches Studium in Cotonou beendet hatte, war es schwierig, Arbeit zu finden. Zwei Jahre lang blieb die heute 24-Jährige ohne Beschäftigung. Dann sah sie eine Werbung im Fernsehen: Es würden Textilfabriken in einem neuen Industrierevier gebaut, 40 Kilometer von Cotonou entfernt, der Stadt, in der Akouewanou mit ihren Eltern lebt. „Um ehrlich zu sein, hat mich das zunächst nicht angesprochen“, erzählt sie. „Eine solche Tätigkeit schien mir fremd. Ich hatte noch nie an Maschinen gearbeitet.“ Trotzdem bewarb sie sich und wurde in eine sechsmonatige Ausbildung aufgenommen. Zu ihrer Überraschung lag ihr die Arbeit, inzwischen verdient sie genug, um den Eltern etwas Geld abzugeben. Sie hat den Tr
Traum, Textilingenieurin in einer aufstrebenden Branche zu werden.In den vergangenen Jahren ist das westafrikanische Land nach Angaben der Regierung mit einer Jahresproduktion von 728.000 Tonnen zum führenden Baumwollproduzenten des Kontinents aufgestiegen. Bisher wurde fast das gesamte Rohmaterial exportiert, der größte Teil nach Bangladesch. Eine Initiative zwischen der Republik Benin und Arise Integrated Industrial Platforms, einem panafrikanischen Unternehmen, das teilweise Eigentum der Africa Finance Corporation ist, will künftig eine eigene Verarbeitungsbasis und damit Arbeitsplätze schaffen. Es gilt, die Baumwolle wie andere Agrarprodukte vor Ort zu nutzen, um Fertigwaren wie T-Shirts und Unterwäsche nach Europa, Asien, andere Länder Afrikas und in die USA auszuführen.Den Königsweg finden„Benin ist ein Zentrum der Landwirtschaft. Ein Land, das viele Rohstoffe produziert, vorrangig Baumwolle, Shea, Cashewnüsse, Soja und Ananas. Aber die meisten dieser Produkte wurden bislang ohne jegliche Verarbeitung verkauft“, so Letondji Beheton, Geschäftsführer der Industriezone Glo-Djigbé (GDIZ), in der die neuen Textilfabriken angesiedelt werden. 2016 verkündete der damals gerade ins Amt gekommene Präsident Patrice Talon (s. Glossar), er wolle die Wirtschaft transformieren. Sein Leitmotiv: Wir werden in diesem Land verarbeiten, was es uns zur Verfügung stellt. Geht es nach dieser Maxime, könnten bis 2030 gut 300.000 Arbeitsplätze entstehen, davon 250.000 in Spinnereien, Baumwollwebereien wie Bekleidungswerken. Die Prognose ermutigt, dass die Exporte innerhalb von zehn Jahren um bis zu zehn Milliarden Dollar steigen könnten, falls die Produktionsleistung Benins um das Vier- bis Fünffache angehoben würde.Laut Letondji Beheton haben bereits 36 Investoren Verträge für die Industriezone Glo-Djigbé (GDIZ) geschlossen. Weiterhin ist vereinbart, dass noch in diesem Jahr 50.000 T-Shirts an die US-Marke The Children’s Place gehen, es gibt Gespräche mit H&M und Zara. Die Folgen könnten erheblich sein, wenn man bedenkt, dass Benin von den Vereinten Nationen als einer der 45 am wenigsten entwickelten Staaten der Welt eingestuft wird. Fast 40 Prozent der Bevölkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze, so die UN-Reports.„Die Textilindustrie war und ist in vielen Ländern Ausgangspunkt der Industrialisierung“, meint Matthias Knappe, Programmleiter für Baumwolle, Textilien und Bekleidung. Sie sei von der supranationalen Afrikanischen Union zur Priorität erklärt worden, sagt er, weil es sich um einen Wirtschaftssektor handele, in dem man relativ leicht Arbeitsplätze schaffen könne. „Was gerade in Benin geschieht, das ist eine sehr gute und sehr zeitgemäße Initiative.“ Jodie Keane, Senior Research Fellow am Global Affairs Thinktank ODI (Overseas Development Institute), ergänzt: Die Textilindustrie sei „der Inbegriff des Industrialisierungsprozesses gewesen“, wie er von Schwellenländern Ostasiens wie Singapur, Südkorea und Vietnam vorangetrieben worden sei und Millionen Menschen aus der Armut geholt habe.Nachhaltige ProduktionKnappe fügt hinzu, dass die Lage Benins an der Westküste Afrikas ein logistischer Vorteil für Käufer in Europa, anderen Ländern Afrikas und den USA sein könne, da die Produkte nicht so weit verschifft werden müssten. Zudem habe afrikanische Baumwolle einen ökologischen Vorteil. „Es wird alles durch Regen gespeist, es gibt also keine Bewässerung, die Flüsse, Seen oder das Grundwasser anzapft wie in einigen anderen großen Anbauländern. Auch der Einsatz von Pestiziden und Chemikalien fällt um einiges geringer aus“, findet Knappe.Allerdings sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen. Nach Untersuchungen von „Cotton 2040“, einer branchenübergreifenden Plattform, wird davon ausgegangen, dass bis 2040 etwa die Hälfte der Baumwollanbaugebiete der Welt einer Klimaerosion mit hohen oder sehr hohen Risiken unterliegt. Laut Matthias Knappe gehe man Geschäften entgegen, bei denen das Prinzip „Trial and Error“ (Versuch und Irrtum) an Boden gewinne. „Es kann überall schiefgehen.“ Eine weitere Pandemie könnte beispielsweise bei den dann stornierten Bestellungen eine Katastrophe sein. Auch seien politische Krisen denkbar, in deren Gefolge Benin auf Handelspräferenzen der USA nicht länger zählen könne.Hinzu kommt, dass die Verbraucher umweltbewusster werden. Folglich üben die Markenunternehmen Druck auf ihre Lieferanten aus. Die Europäische Kommission hat eine Textilstrategie formuliert, die Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt und harte Bedingungen für die Einfuhr von Produkten nach Europa auferlegt.Zwischen 50 und 70 Prozent des von der neuen Industriezone in Benin benötigten Stroms sollen Beheton zufolge durch erneuerbare Energie abgedeckt werden. In den kommenden drei Jahren wird dazu ein Solarkraftwerk fertiggestellt. Die Dächer der Lagerhallen sind mit Solaranlagen ausgestattet. Der restliche Bedarf wird durch ein neues Kraftwerk und eine Gaspipeline bewältigt, die noch in diesem Jahr in Betrieb gehen soll.Placeholder infobox-1Die Textilindustrie in Afrika und Asien ist immer wieder von einem fragwürdigen Umgang mit Menschenrechten betroffen. Das reicht von sexuellen Übergriffen, zu denen es in Jeans-Fabriken im südafrikanischen Staat Lesotho gekommen ist, bis zum Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch am 24. April 2013, bei dem mehr als tausend Menschen ums Leben kamen. Hinweise von Arbeitern auf die fehlende Sicherheit des Gebäudes waren ignoriert worden, sodass es zum bis dato schwersten Unfall in der Geschichte der Textilbranche weltweit kam.Jedes Mal, wenn eine Industrie in einem wenig entwickelten Land etabliert werde, sei es zunächst „wie im Wilden Westen“. Es fehle an gewerkschaftlicher Organisation, am gebotenen Arbeitsschutz und den entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen, beschreibt Natalie Swan, Leiterin des Arbeitsrechteprogramms am Business & Human Rights Resource Centre die Situation Benins. Schon ein erster Blick zeige, dass Bekleidungshersteller hier auf ein Land träfen, das „mit einer Fülle von Vorteilen in Bezug auf kostengünstige Arbeitskräfte von sich überzeugen will. Also werden diese Bedingungen vermarktet. Das mündet in die immer wieder gleiche Geschichte, wie wir sie seit 25 Jahren oder länger erleben. Nur spielt sie sich nun an einer anderen Stelle auf dem afrikanischen Kontinent ab.“Laut Letondji Beheton erhalten die Arbeiter in der Industriezone bei Cotonou mehr als den Mindestlohn, dazu genießen sie die Vorteile eines kostenlosen Mittagessens und eines Kindergartens auf dem Werksgelände. „Aber wir sollten uns darüber im Klaren sein, damit passiert nichts Unangemessenes“, fügte Beheton hinzu.Ein starker WilleIn der Umgebung der zwei Autostunden von Cotonou entfernten Stadt Bohicon liegt das Dorf Houegnonkpa, das hilft, den Sinn für Benins Realitäten zu schärfen. Dort sind die Häuser überwiegend aus Lehm gebaut, wird auf dem Boden über offenem Feuer gekocht, gibt es weder fließendes Wasser noch einen Stromanschluss. Auch diese Dorfgemeinschaft lebt vom Baumwollanbau. Schon als der heute 40-jährige Raphaël Dovonon aufwuchs, half er seinem Vater auf den Feldern des Ortes. Inzwischen besitzt er eigenes Land und so viel Geld, um sich davon ein Haus zu bauen. Leider sei die jüngste Ernte schlecht gewesen, klagt er. Überhaupt habe sich das Wetter zuletzt spürbar verändert: „Es ist nicht mehr wie früher. Einst wussten wir, wann die Regenzeit beginnt und wann sie enden wird. Das ist lange vorbei.“Raphaël hat von den Fabriken in der Nähe von Cotonou gehört, in denen die Baumwolle, die er anbaut, vielleicht landet, um zu Kleidung verarbeitet zu werden. „Wir sind sehr glücklich darüber, dass unsere Wolle in Benin genutzt wird“, sagt er, „und dass junge Menschen dadurch Arbeit finden.“ Seine eigene Lage werde sich vorerst indes kaum verändern. Den Preis für Baumwolle legt nach wie vor ein Gremium fest, das die Landwirte und die Regierung repräsentiert. Das Dasein mit der Baumwolle werde sich nicht wie von selbst verbessern, ist Raphaël Dovonon überzeugt. Es hat recht, für Veränderungen wird ein starker politischer Wille gebraucht. Placeholder authorbio-1
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