Christian Slater ist in den Papst verliebt. Das ist das Erste, was ich von ihm persönlich erfahre. Er sitzt in einem Londoner Hotelzimmer und kämpft gegen den Jetlag an. Seit zwei Uhr morgens ist er wach, stundenlang hat er ferngesehen. „In den Nachrichten sah ich einen Beitrag über Franziskus‘ New-York-Reise, wie er Schulkinder traf. Das war ganz wunderbar. Da dachte ich: Das ist es, was wir brauchen – eine Liebesinfusion von einem mächtigen Mann, der zugleich freundlich ist.“
Verliebt ist Slater auch in Brittany, die Frau, die er vor zwei Jahren geheiratet hat. Sie arbeitet in den USA für ein Auktionshaus, und er vermisst sie sehr, während er in Europa sitzt, in einem schicken Anzug zwar, aber stoppelbärtig und mit blassen Augenlidern. „Wir haben am Telefon herumgealbert, vorhin, als ich nicht schlafen konnte“, sagt er lächelnd. „Sie hat einen tollen Humor.“ Seit sein 16 Jahre alter Sohn Jaden bei ihm und Brittany in New York eingezogen ist, ist Slater jetzt erstmals als Vollzeitvater im Einsatz. Die 14 Jahre alte Tochter lebt weiterhin bei ihrer Mutter. „Ich tue alles, was ich kann, damit mein Sohn sich wohlfühlt. Morgens mache ich ihm das Frühstück. Immer.“
Liebe, Angst und Mondschein
Slater ist all die Liebe, die ihn jetzt umgibt, noch nicht gewohnt – und er hat Angst, sie wieder zu verlieren. Das wird in unserem Gespräch schnell deutlich. Bevor der 46-Jährige aber auf seine dunklen Seiten zu sprechen kommt, schwärmt er vom Mond. Als er kürzlich nachts in einem anderen Hotelzimmer gesessen habe, wieder in einem anderen Land und mindestens genauso fern von seinem Zuhause, habe er sich die Mondfinsternis auf CNN angesehen. Bis ihm klar wurde, dass es eine Liveübertragung war. Er sei hinaus auf den Balkon getreten und habe sich gefragt, welche „Kraft“ da oben am Werk sei.
Er vergleicht sie mit der Kraft, die hinter der Serie Mr. Robot steckt. Slater spielt darin die titelgebende Hauptrolle. Nach einer Rolle in Lars von Triers Nymphomaniac (2013) ist Mr. Robot für Slater das eigentliche Comeback. Die Serieist im Frühjahr in den USA angelaufen und wurde nicht nur von der dortigen Kritik gefeiert, sondern auch im Freitag schon als „bemerkenswert“ gewürdigt (Freitag 37/2105).
Am 20. November startet die deutschsprachige Fassung bei Amazon Instant Video – ausgerechnet und ironischerweise dort. Denn das Gebaren von fiesen Großkonzernen ist eines der Hauptthemen in Mr. Robot, so wie die ungleiche Wohlstandsverteilung und die Herrschaft des sagenumwobenen einen Prozents. Die Erzählung ist durchzogen von Einflüssen des magischen Realismus: Nie kann man ganz sicher sein, was Wirklichkeit und was Täuschung ist. Drehbuchautor Sam Esmail sagte dazu in einem Interview, die Erlebnisse seiner ägyptischen Familie während des Arabischen Frühlings hätten ihn inspiriert.
Slater spielt Mr. Robot, den anarchistischen Kopf einer Hacker-Gruppe, die von dem rostigen alten Rummelplatz auf Coney Island am Rande Brooklyns aus operiert. Die Truppe versucht, das größte Firmenkonglomerat der Welt, Evil Corp., zu Fall zu bringen. Slater ist durch und durch überzeugt von der Serie. „Ich habe so oft erlebt, dass die Dinge nicht zusammenfanden, wie ich sie gern gehabt hätte – darum weiß ich, was für ein Glücksfall Mr. Robot ist.“
Tatsächlich lief es in den vergangenen Jahren nicht gerade funkelnd für ihn, er spielte in einer ganzen Reihe gefloppter Projekte mit. Einer der spektakulärsten Misserfolge war ein Horrorfilm mit dem Titel Playback (Buch und Regie: Michael A. Nickles), der 2012 in die US-Kinos kam und ganze 264 US-Dollar einspielte. Andere schon fertig gedrehte Filme schafften es erst gar nicht zur Aufführung. Slater möchte aber nicht auf die Regisseure und Produzenten schimpfen, die ihm kein Glück brachten, er drückt sich diplomatisch aus: „Du musst als Schauspieler dem Team immer einen Vertrauensvorschuss geben und möchtest eigentlich auch keinem zu nah treten, weil du ja nicht weißt, wie lange du mit ihm zusammenarbeitest.“
Schon als Neunjähriger stand Slater vor der Kamera. Auch sein Vater war Schauspieler, seine Mutter war als Agentin im selben Geschäft. Der kleine Christian übernahm erst eine Kinderrolle in einer Seifenoper, bekam dann ein Broadway-Engagement – und ging bald nicht mehr zur Schule. „Ich hatte private Hauslehrer, aber sagen wir so: Das Lernen stand bei mir nicht an erster Stelle.“ Erst mit 30 machte er doch noch seinen Schulabschluss.
Sein Vater war depressiv, mit schizophrenen Schüben, Slater hatte ein schwieriges Familienleben. Neun war nicht nur das Alter, in dem er mit der Schauspielerei anfing, sondern auch das Alter, in dem er begann, regelmäßig Champagner zu trinken. Um „einen warmen Rausch der Zentriertheit“ zu erleben, wie er heute sagt.
Auch Eifersucht macht irre
Mit 15 spielte er an der Seite von Sean Connery in Der Name der Rose. Es folgten weitere internationale Erfolge wie Robin Hood – König der Diebe (1991), True Romance (1993) und Interview mit einem Vampir (1994). Mit dem Ruhm begann allerdings auch der Ärger: Einmal versuchte er, betrunken am Steuer seines Wagens sitzend, der Polizei zu entwischen, später wurde am Flughafen in New York eine Waffe in seinem Gepäck gefunden. Im August 1997 schlug er, zugedröhnt mit Tequila und aufgeputscht von Kokain, eine Frau, mit der er unterwegs war, biss einen Mann in die Brust und attackierte dann die Polizisten, die ihn festnehmen wollten. Später sagte er aus, er könne sich an nichts erinnern – außer daran, dass er sich umbringen wollte. Wegen Körperverletzung saß er schließlich drei Monate im Gefängnis. 2005 kam er abermals kurzzeitig in Haft, weil er eine Frau auf der Straße belästigt haben sollte, doch die Klage wurde fallen gelassen.
Nun, da sein Sohn bei ihm wohnt, ist all das vorbei und so gut wie vergessen. Slater hilft Jaden sogar bei den Hausaufgaben: „Ich mache Englisch und Geschichte mit ihm, meine Frau übt mit ihm Mathe. Mein Sohn ist das krasse Gegenteil von mir. Dafür bin ich auch meiner Exfrau sehr dankbar, sie hat da einen wirklich sanften und liebenswerten Menschen herangezogen. Ich war in seinem Alter bloß ein wandelnder Hormoncocktail.“
Mit 17 sei er sich selbst unwiderstehlich vorgekommen, erinnert sich Slater. „Damals war ich auf eine Art verückt – heute bin ich es auf eine andere. Das Pendel ist umgeschlagen. Wenn ich in der Küche herumhantiere, darf mir niemand dazwischenfunken. Denn ich habe ein System. Und ein System zu haben ist der Wahn, der mich heute in seinen Klauen hält.“ Damit meint er zum Beispiel, dass er bei Youtube die besten Rezepte für Frühstücksspeck suchte und dabei herausfand, dass man ihn auch im Ofen backen kann. „Schon am Abend vorher lege ich die Folie aufs Backblech. Ich bin gerne gut vorbereitet.“
Er geht auch zuverlässig vier- bis fünfmal täglich mit seinen Hunden Gassi. Eigentlich seien solche Gewohnheiten untypisch für ihn, „so was von nicht ich“, sagt Slater. „Ich wundere mich selbst, dass ich diese Dinge tue. Aber es ist mir ernst damit.“ Und wieder betont er, was er alles seiner Frau Brittany zu verdanken habe: „Bis ich sie traf, bin ich wie Forrest Gump durchs Leben getappt. Alles hängt davon ab, von welchen Menschen du umgeben bist und welche Anregungen du von ihnen bekommst. Der eine sagt ‚Lass uns feiern gehen‘, der andere: ‚Lies doch mal dieses Buch!‘ Es ist schön, wenn du mit dem zusammen bist, der dir das Buch vorschlägt, denn das bekommt einem besser, als in Clubs abzuhängen. Vielleicht hätte ich in einer früheren Phase geantwortet: ,Würg – was soll ich mit einem Buch?‘ Aber mittlerweile versuche ich, eher das zu machen, was mir eben nicht als Erstes in den Sinn kommt.“
Was macht eigentlich ...
... Molly Ringwald? Wie geht es Jennifer Grey? Oder Phoebe Cates? Kommt Winona Ryder klar? Muss man sich um Juliette Lewis Sorgen machen? Ist Drew Barrymore über den Berg? Kennen Menschen, die in den 80ern oder 90ern noch zu jung waren, um ins Kino zu gehen, überhaupt noch diese einst funkelnden Namen?
Fest steht: All die genannten Damen sind Generationskolleginnen von Christian Slater, und genau wie der 46-Jährige sind auch diese Schauspielerinnen in jungem Alter sehr bekannt geworden – und gerieten bald in Vergessenheit oder machten vorerst nur noch mit privaten Peinlichkeiten, Ehekrisen, Ladendiebstählen, Drogenexzessen oder ihrer Mitgliedschaft bei den Seelenfängern von Scientology Schlagzeilen. Genau das gehört aber von jeher zum Reiz Hollywoods: Ein ganzes publizistisches Feld lebt von solchen Abstürzen – der Boulevard, auch Yellow Pressgenannt. Jenes journalistische Genre wurzelt tatsächlich in der kalifornischen Filmmetropole: 1930 kam dort erstmals das Magazin The Hollywood Reporter heraus, als tägliches Fachmagazin für die Branche. Schon 1905 wurde Variety gegründet, aber auch dieses Magazin wechselte erst in den 30ern, als das Kinogeschäft seinen ersten großen Boom erlebte, in die tägli-che Erscheinungsweise.
Der Begriff „Traumfabrik“ geht indes nicht auf einen US-Amerikaner zurück, sondern auf den Russen Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg (1891 – 1967), der unter ande-rem als Kriegsberichterstatter tätig war und mit als Erster die Shoah, den Völkermord an sowjetischen Juden, dokumentierte. 1931 erschien sein Buch Die Traumfabrik: Chronik des Films, in dem er die damals noch junge Kinoindustrie eingehend analysierte. Katja Kullmann
Der Alkohol, die Drogen: Wie viel verändert sich, wenn man sich entschieden hat, die Finger davon zu lassen? „Na ja, ein Mensch kann abstinent sein und sich trotzdem verantwortungslos verhalten, ohne Rücksicht auf andere“, sagt Slater. „Vielleicht wird man dann süchtig nach Ehekrächen, um sich abzureagieren, keine Ahnung. Auch so etwas wie Eifersucht kann einen ja zum Irren machen.“ Und er setzt hinzu: „Vom Suff bin ich losgekommen, aber nicht von manchen anderen Angewohnheiten. Vom Lügen zum Beispiel.“
Was meint er damit?
„Dass man versucht, die Dinge zu manipulieren, sie so hinzudrehen, dass man gut wegkommt oder den eigenen Willen durchsetzt – wie ein trotziges Kleinkind. Das ist der Weg, den ich früher oft genommen habe. Heute traue ich mich öfter, den anderen Pfad einzuschlagen, den erwachsenen: einfach die Wahrheit zu sagen. Aufrichtig zu sein. Also mutig.“ Wenn Slater so spricht, wirkt er ehrlich. Andererseits hat es immer einen paradoxen Effekt, wenn jemand vehement behauptet: „Ich lüge nicht mehr“ – denn genau das sollte man einem notorischen Lügner besser nicht glauben, oder?
Slater sagt, bei ihm habe das Lügen viel mit dem Alkohol und den anderen Drogen zu tun gehabt. „Die Lügen gehen zwangsläufig damit einher. Denn du schämst dich, wenn du zu tief in den Suff oder die Räusche abrutschst. Also wirst du viele Dinge abstreiten, die du in der Nacht zuvor unter soundso viel Promille getan hast. Als Erstes lügst du deine Eltern an, dann deine Lehrer, deine erste Freundin, und immer so weiter. Bis es zur Gewohnheit wird.“
War es schockierend, zu merken, dass die körperliche Abstinenz gar nicht das Schwierigste an seinem Heilungsprozess war? Sondern dass auch die Psyche hinterherkommen, sich umgewöhnen muss?
„O ja! Es kann sehr schmerzhaft sein, wenn Emotionen, die du lange Zeit weggestopft hattest, plötzlich wieder ans Licht kommen. Du willst den Schmerz vermeiden, wo immer es geht. Manche bringen es dann so weit, dass sie überhaupt keine Gefühle mehr zulassen – und dann ist man weg. Ein paar Menschen, die mir nahestanden, sind daran zugrunde gegangen.“
Der Schauspieler River Phoenix, der 1993 mit gerade mal 23 Jahren an einer Überdosis Heroin und Kokain starb, war so ein Mensch. Slater war mit ihm befreundet. „Es ist auch schwierig, wenn man auf Reisen ist …“, sagt Slater. Und er setzt plötzlich die Tasse ab, die er seit dem Beginn unseres Gesprächs in der Hand gehalten hat. „Dieser Kaffee macht mich wirklich geschwätzig. Ich muss mich bremsen. Jedenfalls ... – ja, es kann sehr, sehr schwierig sein.“
Andere Prominente, die einmal abgeglitten sind und sich wieder gefangen haben, sagen klassischerweise: „Ich war ein versoffenes Arschloch, aber jetzt bin ich vollkommen geläutert.“ Was Slater so sympathisch macht, ist, dass er seine Story anders erzählt: Ja, er sei früher versoffen gewesen, das sei nun vorbei. Kein Arschloch zu sein, daran arbeite er aber noch immer.
Vom Grapscher zum Feminist
Hat sich der Mann, den die US-Webseite Gawker vor einigen Jahren noch einen „seriellen Grapscher“ nannte, inzwischen auch ein bisschen zum Feminismus bekehren lassen? „Nicht nur ein bisschen!“, ruft Slater und lacht. Und ist sofort beim Thema „ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern“, das seine Kollegin aus True Romance, Patricia Arquette, bei der diesjährigen Oscar-Verleihung effektvoll aufbrachte. „Es ist frustrierend, dass wir in einer Gesellschaft leben, die sich nur so langsam wandelt. Wie ein dickes Schiff braucht sie ewig für jede Drehung.“
Wenn wir schon bei der Langsamkeit des Wandels sind: Wie sehr nervt es ihn eigentlich, mit Leuten wie mir zu reden, die ihn immer noch nach seinen Erfolgen aus den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts befragen? Er lacht wieder, diesmal ziemlich trocken. „Natürlich war das toll damals. Ich bin froh, bei Filmen mitgemacht zu haben, die vielen noch in Erinnerung sind. Aber manchmal kann es einen auch entmutigen. Es ist ja wirklich sehr lange her …“ Umso mehr freue er sich, dass fremde Menschen ihm nun „Hey, Mr. Robot“ hinterherriefen. „Das tut gut.“
Zum ersten Mal seit langem kann Slater also wieder den Geschmack des Erfolgs genießen. Und er gibt sich alle Mühe, dabei vernünftig zu bleiben, „den richtigen Weg zu nehmen“, wie er sagt. „Leicht ist es nicht. Selbst wenn man äußerlich ganz ruhig scheint, kann es sein, dass im Kopf ein Riesenzirkus tobt.“
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