Jeder Song eine Elegie

Popmusik Auch David Lynch wurde verzaubert: nach sieben Jahren sangen Ringo Starr und Paul McCartney erstmals wieder alte Beatles-Songs

„Elvis ist tot; das hier ist das nächste Ding.“ Dem Ereignis, das letzte Nacht in der New Yorker Radio City Music Hall stattfand, war diese Übertreibung ausnahmsweise einmal angemessen. Die letzten zwei verbliebenen Beatles Ringo Starr und Paul McCartney sangen vor sechstausend Zuschauern Kopf an Kopf With a little help from my friends. Ein erhabener Moment, dem noch nicht einmal ihre ebenfalls auftretenden Freunde einen Abbruch zu tun vermochten.

Es sagt viel über einen Abend, wenn Ringo Starr in Begleitung von Sheryl Crow Yellow Submarine singt und dies nicht der seltsamste Augenblick ist. Auf dem gestrigen Benefizkonzert unter dem Motto Change begins Within sollten Gelder für die David-Lynch-Foundation aufgebracht werden, deren Ziel neben der Unterweisung von Kindern in der transzendentalen Meditation, die Förderung des Weltfriedens ist. Außerdem soll durch den „Ozean des Bewusstseins“, wie Lynch selbst es auf der Bühne formulierte, Verständnis verbreitet werden. Die Zuschauer, von denen einige 2.000 Dollar bezahlt hatten, um die Wiedervereinigung der beiden Ex-Beatles mitzuerleben, warteten derweil. Und warteten. Und warteten.

Zweieinhalb Stunden lang wechselten sich Acts wie Moby, Jerry Seinfeld, Donovan und Crowe auf der Bühne ab, gaben ihre Kunst zum Besten und berichteten von ihren eigenen Erfahrungen mit dem Meditieren. Ex-Beach-Boy Mike Love beichtete, er sei von der „Aussicht, dass Weltfrieden möglich ist,“ zur Lynch’schen Sache bekehrt worden. Jason Donovan war in ein lilafarbenes Hemd gewandet wie ein Mitglied der Young Ones, Flöten-Virtuose Paul Horn ließ ein hübsches Solo erklingen.

Mediationen des Filmmagiers

Für den fesselndsten Teil des Warmups sorgte Lynch selbst mit einem Auftritt hinter einem Lesepult aus Plexiglas. Mit Anzug, Krawatte und erleuchteter Mine erweckte er zeitweise den Eindruck, als würde er gleich über das Auditorium hinwegschweben, eine Seance durchführen oder die Invasion eines kleinen Landes ankündigen.

Begleitet von der Schauspielerin Laura Dern und gesegnet mit jener Distanz, mit der berühmte Menschen den Problemen der Welt begegnen, erläuterte der Regisseur, wie segensreich sich seiner Meinung nach Unterricht in transzendentaler Meditation auf das staatliche Schulwesen auswirken könne. Schon Sechsjährige könnten „Lauf-Mantren“ lernen. Der Regisseur von Twin Peaks und Eraserhead zeigte dem Publikum dann ein Video, dass an Filmchen zur gesundheitlichen Aufklärung der Bevölkerung erinnerte und überdrüssige Schüler zeigte, die an STRESS litten, wie mittels eingeblendeter Schriftbeträge in Großbuchstaben zu erfahren war. Die Schüler bräuchten, hieß es weiter, VERÄNDERUNG und die Chance, sich zu TRANSFORMIEREN.

„Nun würden wir gerne einen Wind vernehmen,“ sprach Lynch, und Windgeräusche wehten durch das Auditorium. „Dieser Wind steht für das Alte und Ewige.“ Dann wollte Lynch „gerne einen Ozean sehen“, und über den Köpfen der Zuschauer erschienen wie auf einem gigantischen Bildschirmschoner abstrakte Muster, die „für den Ozean in jedem menschlichen Wesen stehen.“ Es folgte ein beseelter Auftritt Sheryl Crows, die "My Sweet Lord" vortrug und den Verfasser des Liedes, den Ex-Beatle George Harrisson einen Mann nannte, der „mit der Realität lebte, dass der Tod Teil des Lebens ist.“ So kann man es sicher auch ausdrücken.

Ein Lied für John

Es war schon nach zehn Uhr, als Starr und McCartney endlich auf die Bühne erschienen, doch von diesem Zeitpunkt an war alles andere vergessen. Zu im Hintergrund über die Leinwand flackernden Bildern der Beatles warfen sich Starr, dessen schwarzes T-Shirt ein aus Diamanten bestehendes Bild Krishnas zierte, und der mit einem weißem Hemd und Hosenträgern bekleidete „Macca“ einander in die Arme.

Trotz ihrer unveränderten Jungenhaftigkeit wurde jeder Song durch den Kontrast und das Fehlen der anderen zwei zur Elegie. Drive my Car, Can’t buy me love, Lady Madonna – es schien, als hätten sie diese Lieder nie zuvor gespielt. Als McCartney sich ans Klavier setzte, um Let it Be zu spielen und sich dann zu Blackbird selbst an der Gitarre begleitete, brach einem jedem in der Halle das Herz.

Den nach dem Tod John Lennons entstandenen Tribut-Song Here Today stimmte Macca mit den Worten an: „John liebte New York. Ein Lied für John.“ Zum Anlass des Abends sagte er lediglich: „ Der Maharishi sagte, wir sollten alle kosmisches Bewusstsein haben,“ und verkündete mit seinem Macca-Lächeln: „Welch eine Freude“ – und lieferte so den Beweis, dass weniger eben doch mehr ist.

Zum Schluss versammelten sich noch einmal alle Künstler auf der Bühne, Donovan tanzte, Crowe quälte ein Tamborin, Lynch reckte V-Zeichen in die Höhe und sagte ernst: „Peace.“ Es lag schließlich an Macca, nach Danksagungen an die „David Lynch Association“ jenen Charme zu demonstrieren, mit dem man Herzen gewinnt und Bewegungen in Gang bringt: „Yeah, Peace,“ sagte er grinsend. „Und Rock 'n' Roll.“

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Emma Brockes, The Guardian | The Guardian

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