Jenseits der Diplomatie

US-Außenpolitik Trumps Schwiegersohn und Berater Jared Kushner scheint der Auffassung zu sein, er könne den gesamten Nahen Osten neu gestalten – mit möglicherweise verheerenden Folgen
THINK!-Tank: Jared Kushner und Donald Trump
THINK!-Tank: Jared Kushner und Donald Trump

Foto: Saul Loeb/AFP/Getty Images

Der gesamte Nahe Osten, von Palästina bis in den Jemen, scheint nach dieser Woche kurz davor, in Flammen aufzugehen. Die Region stand ohnehin schon auf der Kippe, doch die jüngsten Ereignisse haben die Situation noch weiter verschlechtert. Und während das Chaos jedem zufälligen Beobachter klar vor Augen treten sollte, ist die Rolle, die Jared Kusher in diesem Chaos spielt, nicht ohne weiteres für jeden ersichtlich.

Kushner ist, natürlich, der Chefberater und Schwiegersohn des US-Präsidenten. Der 36-Jährige hat in Harvard studiert und scheint Probleme damit zu haben, Formulare wahrheitsgetreu auszufüllen. So hat er es wiederholt versäumt, bei Sicherheitsüberprüfungen seine Treffen mit ausländischen Vertretern zu erwähnen. Er informierte die US-Regierung auch nicht darüber, dass er der Co-Vorsitzende einer Stiftung war, die Geld für israelische Siedlungen sammelt, die nach internationalem Recht illegal sind. (Ihm wird weiterhin nachgesagt, er habe Michael Flynn im vergangenen Dezember angewiesen, dieser solle die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates einberufen, um eine Resolution zu vereiteln, die den israelischen Siedlungsbau verurteilt. Flynn rief in Russland an.)

In seiner Rolle als Sonderberater des Präsidenten scheint Kushner zu der Ansicht gelangt zu sein, er könne den gesamten Nahen Osten neugestalten. Zusammen mit seinem neuen besten Freund, Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman, stürzt er die Region weiter ins Chaos. Der 32-jährige Kronprinz machte erst vor kurzem von sich reden, indem er etliche Mitglieder der herrschenden Elite seines Landes wegen Korruptionsvorwürfen verhaften ließ – einschließlich seiner eigenen Familie.

„Großes Vertrauen“

Tage vor Salmans beispiellosem Schritt reiste Kushner unangekündigt nach Riad, um sich mit dem Prinzen zu treffen. Berichten zufolge dauerten die Gespräche bis spät in die Nacht. Die beiden stimmten ihre Strategie ab und tauschten Geschichten aus. Man weiß nicht genau, was die beiden ausgeheckt haben, aber Donald Trump tweetete später, er habe „großes Vertrauen“ in Salman.

Doch die Allianz zwischen den beiden reicht weit über Riad hinaus. Gemeinsam drängen Saudis und US-Amerikaner verschiedene palästinensische und arabische Führungsfiguren zu einem neuen „Friedensvertrag“, der so einseitig die Wünsche und Interessen Israels berücksichtigt wie noch kein anderer zuvor.

Ahmad Tibi, ein palästinensischer Abgeordneter in der israelischen Knesset, hat die grundlegenden Konturen des Deals gegenüber der New York Times wie folgt erläutert: keine vollständige Staatlichkeit für die Palästinenser, nur eine „moralische Souveränität“ und die Kontrolle über die nicht verbundenen Segmente der besetzten Gebiete. Keine Hauptstadt Ost-Jerusalem, kein Rückkehrrecht für die palästinensischen Flüchtlinge.

Das ist natürlich in Wirklichkeit kein Deal, sondern eine Beleidigung des palästinensischen Volkes. Ein weiterer arabischer Offizieller, der in dem Bericht der Times zitiert wird, äußert die Ansicht, der Vorschlag stamme von jemandem, der keine Erfahrung habe, aber versuche, der Familie des US-Präsidenten zu gefallen. Mit anderen Worten sieht alles danach aus, als würde Mohammed bin Salman, Jared Kushner Palästina als eine Art Geschenk überreichen wollen – wehe den Palästinensern! Als nächstes kam Donald Trump und schlug sowohl jede Vorsicht als auch das internationale Recht in den Wind, indem er Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannte.

Am Rande einer humanitären Katastrophe

Aber es geht nicht allein um Israel. Der Jemen steht am Rande einer humanitären Katastrophe, die weitgehend auf die saudische Blockade des Landes zurückzuführen ist. Trump hat sich in der vergangenen Woche schließlich gegen die saudische Maßnahme ausgesprochen. Aber es heißt, sowohl das State Department als auch das Pentagon hätten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate im Stillen schon seit einiger Zeit dazu gedrängt, ihren Krieg gegen den Jemen (als auch gegen den Libanon und Katar) für eine Weile herunterzufahren – und damit wenig Erfolg gehabt. Warum? Weil die Vertreter Saudi-Arabiens und der Emirate glauben, das Weiße Haus würde ihr hartes Vorgehen „stillschweigend billigen, insbesondere Donald Trump und dessen Schwiegersohn und Chefberater, Jared Kushner“, so die Journalistin Laura Rozen in einem Bericht.

Das Bündnis zwischen Kushner und Salman scheint insbesondere Außenminister Rex Tillerson zu ärgern. Kushner hält das Außenministerium angeblich vollständig aus seine Plänen für den Nahen Osten heraus. Besonders bedenklich hält Tillerson Bloomberg News zufolge die Gespräche Kushners mit Salman über ein mögliches militärisches Vorgehen Saudi-Arabiens gegen Katar. Das State Department macht sich Sorgen wegen all der unvorhersehbaren Folgen, die dies haben könnte – einschließlich einer Verschärfung des Konflikts mit der Türkei und Russland und vielleicht sogar einer militärischen Reaktion durch den Iran oder ein Angriff der Hisbollah auf Israel.

An dieser Stelle sollte die Diplomatie des State Department einsetzen. Der US-Botschafter in Katar könnte zwischen den beiden sich bekriegenden Parteien vermitteln und versuchen, eine Lösung des Patts zu finden. Was also hat der US-amerikanische Botschafter in Katar zu der Allianz zwischen Kushner und Salman zu sagen? Nichts, da es noch immer keinen offiziellen Botschafter in Katar gibt. Und was ist mit dem US-Botschafter in Saudi-Arabien? Dieser Posten ist ebenfalls vakant. Die US-Botschafter in Jordanien, Marokko, Ägypten? Vakant, vakant, vakant. Was ist dann mit dem Assistant Secretary for Near Eastern Affairs, ein wichtiger strategischer Posten zur Durchsetzung der US-Politik in der Region? Auch für diesen Posten ist niemand nominiert worden. Und der Deputy Assistant Secretary for Press and Public Diplomacy? Unbesetzt.

Es ist zum Teil dieses Führungsvakuum im Hause Tillerson, das es Kushner ermöglicht hat, seine mächtige Allianz mit Salman zu schmieden – sehr zum Nachteil der Region. In ihrem Bestreben, den Iran zu isolieren, verursachen Kushner und Salman einen Sog der Zerstörung. Der Krieg im Jemen wird immer intensiver geführt. Katar steht enger an der Seite Irans als jemals zuvor. Ein Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern scheint kaum mehr möglich. Der libanesische Premierminister ist von seinem Rücktritt zurückgetreten und der saudische Staat muss dem Ritz-Carlton ein kleines Vermögen bezahlen, damit es wichtige Mitglieder der Herrscherfamilie wegen Korruptionsvorwürfen festhält.

Es gibt eine lange Tradition amerikanischer Politiker, die glaubten, sie wüssten, was das Beste für den Nahen Osten sei, während sie ihre autokratischen Verbündeten in der Region auf Kosten der einfachen Leute unterstützen. Doch das Kushner-Salman-Bündnis steht auch noch für etwas anderes. Sowohl in den USA als auch in Saudi-Arabien verteilt sich die Macht auf immer weniger Hände. Und wenn immer weniger Leute im Raum sind, ist irgendwann keiner mehr da, um diesen Männern zu sagen, welchen Schaden sie mit ihren Ideen anrichten. Wer wird sich trauen, ihnen zu erklären, dass sie bereits gescheitert sind?

Moustafa Bayoumi ist Autor des Buchs How Does It Feel To Be a Problem? Being Young and Arab in America

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Moustafa Bayoumi | The Guardian

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