War Facebook gut beraten, 19 Millionen Dollar für die Messaging-App WhatsApp hinzulegen? Unvoreingenommene Antworten auf diese Frage sind kaum zu erwarten - wie jede große Nachricht aus der Technologie-Branche wird auch diese von jedem Kommentator gemäß dessen eigener Sicht auf die Entwicklungen rund um Smartphones, soziale Netzwerke etc. eingeordnet werden.
Einige werden in dem Kauf den jüngsten Beweis für eine Social Media-Blase erkennen, die auf unschöne Weise platzen wird. Andere werden die kühne, entschlossene Entscheidung eines visionären CEO bejubeln.
Hier dennoch ein paar Fakten und Expertenmeinungen als Hilfe zur eigenen Einschätzung des Deals:
Wenn der Kauf abgeschlossen ist, wird Facebook vier der beliebtesten Smartphone-Apps der We
n Smartphone-Apps der Welt besitzen. Als da wären: Facebook selbst, Instagram, WhatsApp und Facebook Messenger. Ob Letzterer wirklich wie angekündigt am Leben erhalten wird, wird sich langfristig zeigen.Facebook will auf verschiedene Weise und mehrfach auf den Smartphones und Startbildschirmen der Nutzer vertreten sein. Diese Strategie war aber schon länger bekannt."Unsere Vision für Facebook ist, eine Produktreihe zu entwickeln, die dem Nutzer hilft, jeden gewünschten Inhalt mit einem Personenkreis der eigenen Wahl zu teilen. Wir wollen nicht nur das Teilen von Inhalten mit allen Freunden gleichzeitig verbessern", teilte Facebook-CEO Marc Zuckerberg Analysten jüngst mit."Unter anderem wollen wir in den nächsten Jahren eine Handvoll großartiger Neuerungen entwickeln, die nichts mit dem zu tun haben, womit man Facebook gegenwärtig in Verbindung bringt."Der durchschnittliche Smartphone-User nutzt heute in der Regel verschiedene Apps für jeweils verschiedene Zwecke – ob zum Nachrichtenschreiben, zum Fotografieren oder zum Spielen. Facebook will so viele davon wie möglich selbst anbieten. Und wo es dem Unternehmen nicht gelingt, ausreichend erfolgreiche eigenständige Anwendungen zu entwickeln, kauft es sie eben.Die Summen, um die es in diesem Fall geht, sind zugegebenermaßen atemberaubend: Vier Milliarden Dollar Cash, 12 Milliarden Dollar in Facebook-Aktien und weitere drei Milliarden Dollar in Aktien, die über die nächsten Jahre übertragen werden. Man sollte allerdings über die bloße Dollarzahl hinaus schauen. Der ehemalige Analyst Benedict Evans, der heute für die Wagniskapitalgesellschaft Andreessen Horowitz arbeitet, hält bei der Einschätzung des Bedeutung des Kaufs für Facebook andere Parameter für dienlicher:"Facebook hat zuerst ein Prozent seines Marktwertes für Instagram hingelegt und nun fast zehn Prozent für WhatsApp. Damit hat das Unternehmen nicht Dominanz im Bereich der mobilen sozialen Medien erreicht, aber zumindest zwei der Kommandohöhen eingenommen," schrieb er in einem Blogbeitrag.Der Unternehmern und Investor Martin Varsavsky äußerte sich auf seinem Blog ebenfalls zur Bewertung von WhatsApp:"Der Kaufpreis klingt hoch, himmelhoch, irrsinnig hoch. Dies stellt sich allerdings anders dar, wenn man sich in Zuckerbergs Position versetzt und so über die Sache nachdenkt: Facebook hat ein Netzwerk erstanden, dass ein sehr viel schnelleres Wachstum vorweisen kann – und bewertet wird aufgrund des Wachstums. Und Facebook hat einen Dienst gekauft, der bereits jetzt halb so viele Nutzer hat, wie Facebook selbst – und das für zehn Prozent des eigenen Werts.""Aus dieser Perspektive ist der Preis durchaus vernünftig. Man könnte WhatsApp als besseres SMS-System bezeichnen – schon jetzt wird die Hälfte aller Textnachrichten über WhatsApp verschickt. Nach der Übernahme hieß es bei der Facebook-Investorenkonferenz, das Geschäft mit den SMS sei eine 100 Milliarden Dollar-Branche – sie bricht allerdings rasch ein, da die Nutzung von WhatsApp nur einen Dollar im Jahr kostet."Keine Werbung. Vielleicht. Aber... Facebook hat Instagram gekauft, abgewartet und dann Werbung eingeführt. Bei WhatsApp solle es anders laufen, schrieb CEO Jan Koum vorgestern: "Für die Nutzer wird sich nichts verändern. WhatsApp wird autonom bleiben und unabhängig laufen."WhatsApp hat seine Politik der Werbefreiheit auch beibehalten, während die Nutzerzahlen rasant stiegen – inzwischen kann der Messaging-Dienst 450 Millionen aktive Nutzer vorweisen. WhatsApp ist ein Jahr kostenfrei, danach kostet die Nutzung einen Dollar pro Jahr. Wird dies wirklich so bleiben können, wenn der Dienst zu Facebook gehört?WhatsApp verfügt zwar über eine enorme Reichweite, aber nicht über genug Daten, um in seiner gegenwärtigen Form für Werber interessant zu sein. Der Dienst speichert weder Namen, Alter oder Geschlecht der User, noch die versandten Nachrichten. Im Vergleich zu Facebook bietet es damit keine besonders gute Platform für gezielte Werbung.Allerdings speichert WhatsApp die Telefonnummern seiner Nutzer. Das Geschäft lässt sich also auch so betrachten: Facebook hat 19 Milliarden Dollar für die Telefonnummern von 450 Millionen Menschen bezahlt – zählt man die nicht aktiven, aber registrierten Nutzer hinzu, sind es sogar noch mehr."In einer Telefonnummer stecken jede Menge Informationen. Wenn man die erste mit alles anderen verbindet ...schlimm", sagte ein Brancheninsider gegenüber dem Guardian. Werden all diese Nummern auch außerhalb von WhatsApp dem Anzeigengeschäft von Facebook dienen? Diese Frage wird in den kommenden Monaten zu erörtern sein.Facebook hat sich die einfachste aller Messaging-Apps zugelegtEin Tumbler-Post von WhatsApp-Investor Jom Goetz zeigt ein Foto einer Notiz, die Koum auf seinem Schreibtisch aufbewahrt – in drei Zeilen hat WhatsApp-Mitgründer Brian Acton einst die Leitprinzipien des Dienstes aufgeschrieben:No Ads!No Games!No Gimmicks!Keine Werbung!Keine Spiele!Kein Schnickschnack!Die meisten WhatsApp-Konkurrenten – Line, Kakao oder WeChat in Asien oder Kik und BBM im Westen vor allem - sind zu Plattformen geworden, die eine große Bandbreite verschiedenster Leistungen anbieten. In gewissem Sinne versuchen sie alle, Facebook durch ausufernde Vielfältigkeit zu ersetzen.WhatsApp hingegen ist ein reiner Nachrichtendienst. Diese reduzierte Einfachheit hat den Dienst für Facebook so interessant gemacht.Analyst Nate Elliott warnt derweil davor, den Deal als einen Versuch von Facebook einzuordnen, die jugendlichen Nutzer einzufangen, die dem sozialen Netzwerk abhanden gehen. "Das Unternehmen muss hart arbeiten, um die jungen Nutzer zu halten", räumt er ein. "Aber Facebook arbeitet immer hart daran, alle Nutzer zu halten – und zwar unabhängig von deren Alter. Deshalb kommen die 1,2 Milliarden Nutzer immer öfter auf die Seite, statt ihr den Rücken zu kehren."Ein Hallo an die MobilfunkbetreiberEnde des Monats wird Marc Zuckerberg eine Keynote-Speech bei der Mobile World Conference der globalen Mobilfunkbetreiber halten.Bei der Einordnung des Kaufs ist auch zu bedenken, was er für die Telekommunikationsbranche bedeuten wird – immerhin werden inzwischen mehr Nachrichten über Dienste wie WhatsApp versandt, als per SMS. Es ist noch nicht lang her, da galt das "Facebook-Telefon" den Mobilfunkbetreibern als Bedrohung. Jetzt fürchtet man sich davor, dass Facebook bald das System der Mobilfunknachrichten besitzen wird."Die Position der Mobilfunkbetreiber ist sehr interessant", sagt Clark-Dickson. "Facebook als einer ihrer wichtigsten Content Partner besitzt nun eine App, die als wichtiger Katalysator für den Rückgang der Erlöse aus SMS und des SMS-Verkehrs gilt."Varsavsky hält die Pläne des sozialen Netzwerks für noch ambitionierter: "Wo wollen Facebook und WhatsApp hin? Meiner Meinung nach wollen sie mit den Telefonminuten das machen, was WhatsApp mit den SMS gemacht hat. Es überrascht, dass Facebook alle Menschen auf dem Planeten miteinander verbinden will, man dort aber immer noch keine Gespräche führen kann wie über Viber oder Skype. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so bleiben wird. Und die Vorherrschaft im Geschäft mit den weltweit versandten Textnachrichten und den weltweit geführten Gesprächen kann man sich schon einmal 19 Milliarden Dollar kosten lassen."Evans sieht das anders: "Bei mobilen sozialen Apps geht es nicht wirklich um kostenlose SMS. Wir befinden uns in einer Vor-PageRank-Phase, in der es an den richtigen Werkzeugen und Pfaden mangelt, um Inhalte und Dienste effizient zu finden und zu entdecken. Soziale Apps könnten hier eine wichtige Rolle spielen. Diese Apps könnten zu einem dritten Kanal neben Google und Facebook werden."
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