Naomi Klein schreibt also wieder über den Kapitalismus, wie schon in ihren beiden vorangegangenen Bestsellern. No Logo! wurde zum Handbuch der globalisierungskritischen Bewegung, und die Schock-Strategie zeigte, wie Kriege und Naturkatastrophen zum Vorwand für die Durchsetzung neoliberaler Strukturanpassungsmaßnahmen genommen werden. Aber nun steht nichts weniger als unser Planet auf dem Spiel.
Das Buch mit dem etwas sperrigen Titel This Changes Everything. Capitalism vs. The Climate soll die Massen mobilisieren. Klein ist wie andere auch der Meinung, dass es einen radikalen gesellschaftlichen Wandel braucht, um eine Erderwärmung von katastrophalen Ausmaßen zu verhindern. Das Problem sei der Kapitalismus in seiner extremen, deregulierten Form, nicht einfach nur zu viele Schadstoffe in der Luft.
„Wir befinden uns auf Kollisionskurs“, sagt die 44-Jährige. Vor 25 Jahren, als der erste Klimawissenschaftler vor dem US-amerikanischen Kongress sprach und die Erderwärmung ins Bewusstsein der Politik rückte, wäre vielleicht noch Zeit für sanfte Korrekturen gewesen. Doch die Regierungen waren hasenfüßig, glaubten, der Wirtschaft dürften keinerlei Beschränkungen auferlegt werden. „Während dieser Zeit“, schreibt Klein, „haben wir die Fahrbahn des CO2-Ausstoßes von einer zweispurigen Straße zu einer sechsspurigen Super-Autobahn ausgebaut.“
Als wir uns in ihrer Wohnung in Toronto treffen, ist die Autorin gerade damit beschäftigt, ihre Termine für Buchvorstellungen und Fernsehinterviews mit den Planungen für die größte Demonstration gegen den Klimawandel aller Zeiten, die am 21. September in New York stattfindet, zu koordinieren. Auf den ersten Blick passt sie so gar nicht in das Bild, das man sich von einer engagierten Umweltaktivistin macht. Sie fährt Auto (wenn auch mit Hybridantrieb), fliegt viel mehr als der Durchschnittsbürger, und in ihrem Garten steht eine bunte Plastik-Spielhütte, die höchstwahrscheinlich in China hergestellt wurde. Ist das kein Widerspruch zu ihrem ökologischen Engagement?
Nun, sie versuche nicht, Plastik und fossile Brennstoffe völlig aus ihrem Leben zu verbannen, und lasse sich nicht darauf ein, dass ihre Angewohnheiten zum Maßstab ihrer Glaubwürdigkeit gemacht werden. Denn das Problem sei auf individueller Ebene nicht zu lösen. Es reiche nicht, dass alle einfach weniger Energie verbrauchen. Sie erzählt von ihrer Heimatstadt Toronto, dort wurden gewaltige Anstrengungen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes unternommen, die dann aber durch die Entscheidung der kanadischen Regierung, Ölsande auszubeuten, gleich wieder konterkariert wurden. „Klar, dass die Leute sich da verarscht vorkommen.“
Wissenschaftler
Anders als etliche Aktivsten hält sie den Klimawandel nicht für das einzige Thema von Bedeutung. „Viele Umweltaktivisten haben eine unerträglich arrogante Art, sie glauben, es gebe nichts Wichtigeres.“ Aber überzeugte Umweltschützer wolle sie mit ihrem Buch ohnehin nicht erreichen. „Es ist mehr für Menschen gedacht, die nie ein Buch über den Klimawandel lesen würden, die sich aber mit Fragen wirtschaftlicher Gerechtigkeit befassen.“ Bei solchen Menschen glaubt Naomi Klein etwas bewirken zu können. „Wenn möglich, würde ich gerne als eine Brücke für diejenigen fungieren, die Schock-Strategie oder No Logo! gelesen haben, sich aber bislang aus welchem Grund auch immer noch nicht mit der Erderwärmung auseinandergesetzt haben.“
Obwohl sie von einem Team von Wissenschaftlern unterstützt wurde, habe sie drei Jahre gebraucht, um das Material aufzuarbeiten. Doch vorher galt es, Schwierigkeiten ganz anderer Art zu überwinden: Weil häufig viel zu abstrakt und meistens nur von Männern über das Thema gesprochen werde, hätten viele Frauen das Gefühl, nicht mitreden zu können. „Ich musste selbst auch erst mal dieses Gefühl überwinden.“
Die Idee, über den Klimawandel zu schreiben, kam Klein ungefähr zur Zeit des Kopenhagener Klimagipfels vor fünf Jahren. Der Gipfel hatte das Ziel, dass die wichtigsten Volkswirtschaften der Welt sich auf verbindliche Ziele zur Reduzierung der CO2-Emissionen verständigen. Aber legendär wurde er für sein Scheitern.
Klein wollte damals über den Kampf der reichen gegen die armen Länder schreiben und über die Verantwortung, die den westlichen Industriestaaten bei der Verursachung des Klimawandels zukommt. Sie glaubte eine Weile, ein echter und gerechter Klima-Deal könne als eine Art großer Ausgleich fungieren und Afrika und Asien für die Folgen des Kolonialismus entschädigen. Doch der Gipfel brach unter dem Gewicht der an ihn gestellten Erwartungen zusammen. Die Vertreter der afrikanischen Länder und kleiner Inselstaaten im Pazifik, die bereits heute langsam im Meer versinken, forderten ein offensiveres Vorgehen, das den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius begrenzt hätte. Die Vertreter der reichen Länder sahen darin eine Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung und lehnten den Vorschlag ab.
„Ich war nicht darauf vorbereitet, dass man diese Untätigkeit der industrialisierten Welt als Rassismus bezeichnen würde und die afrikanischen Delegierten von Völkermord sprachen. Wenn man zulasse, dass die Temperatur sich um zwei Grad erhöhe, lasse man Afrika verbrennen.“ Sie unterbricht sich. „Für mich war Kopenhagen eine niederschmetternde Erfahrung.“
Wie bereits in ihren früheren Büchern macht Klein die Ursache allen Übels in den Deregulierungen der 80er Jahre aus. Seitdem gehe die Schere zwischen Arm und Reich wieder dramatisch auseinander. Während die reichsten drei Prozent der Bevölkerung 1989 noch 45 Prozent des gesamten Reichtums besaßen, waren dies im vergangenen Jahr, neuesten Angaben der Fed zufolge, bereits 55 Prozent. Die ärmsten 90 Prozent verfügen hingegen gerade einmal über 24,7 Prozent.
„Wenn das einzige Problem, das der Kapitalismus verursacht, darin bestünde, dass die Durchschnittstemperatur ein bisschen ansteigt, wäre die Situation nicht so aussichtslos. Doch dieses Wirtschaftssystem bereitet einen ganzen Haufen Probleme und destabilisiert sogar das Selbsterhaltungssystem unseres Planeten.“ Die Umweltbewegung hat ihrer Meinung nach genug Zeit mit dem Versuch verschwendet, das Big Business zu freiwilligen Klimaschutzmaßnahmen zu überreden. „Wir brauchen eine ideologische Auseinandersetzung. Es gilt politisch noch immer als undenkbar, die Verursacher von Umweltverschmutzung direkt zur Rechenschaft zu ziehen – ganz besonders in den Vereinigten Staaten.“
Wenn es nach Klein ginge, sollten Umweltschützer den Unternehmen und dem Kapitalismus überhaupt den Kampf ansagen. In einem deprimierenden Kapitel legt sie dar, wie die größte Umweltschutzorganisation der USA, die Nature Conservancy, Geld damit verdient, dass auf einer Parzelle in Texas, die sie zu deren Erhalt erworben hatte, nach Öl und Gas gebohrt wird und beschreibt alptraumhafte Szenarien des so genannten Geo-Engineering. An anderer Stelle rechnet Klein mit Airline-Boss Richard Branson ab, der 2010 ankündigte, drei Milliarden Dollar in erneuerbare Energien investieren zu wollen. „Branson stellte sein Engagement als Alternative zu politischem Handeln dar. Er sagte: ,Wenn die Regierungen das nicht machen, dann machen wir das.‘“ Darüber kann sie sich noch immer aufregen. „Ich halte diese Einstellung für gefährlich.“
Im Unterschied zu ihren älteren Bestsellern macht Klein im neuen Buch aber keine konkreten Vorschläge, wie es anders gehen könnte, sondern setzt erst einmal voll auf den Widerstand gegen die herrschende Untätigkeit. In einem Abschnitt des Buchs, der mit „Magisches Denken“ überschrieben ist, spricht sie von einem „Augenblick des Überschäumens“ – in dem die Massenproteste, die sie sich erhofft und auf die sie hinwirken will, schließlich zu realer politischer Veränderung führen. „Ich weiß nicht, ob der Kapitalismus irgendetwas will. Das System denkt nicht wie ein Subjekt. Es denkt wie eine Ansammlung eigennütziger Einheiten, die nach Profit streben.“
Auf die Frage, warum der amerikanische Präsident in ihrem Buch kaum vorkommt, antwortet sie, Obama sei eben nur insofern interessant, als er nicht in Erscheinung getreten sei. „Er hätte den Bail-out von 2009 nutzen sollen, um in der Automobilindustrie neue Richtlinien durchzusetzen. Dass er diese Gelegenheit versäumt hat, ist für mich eine der großen Tragödien unserer Zeit.“ Vielmehr setzt Naomi Klein auf den Widerstand vieler kleiner Graswurzelgruppen und Bürgerinitiativen, die bereit sind, gegen die Konzerne radikaler vorzugehen als die etablierten grünen Parteien und Verbände, die glauben, es sei mit kleinen Korrekturen des Systems getan. Klein räumt indessen ein, dass die meisten dieser Gruppen zu sehr von weißen Männern aus der Mittelschicht dominiert werden, um sich Frauen, Afroamerikanern, Latinos zu öffnen, die am schwersten unter dem Klimawandel zu leiden haben. In den ersten Erklärungen von Occupy wurde die Erderwärmung noch nicht einmal erwähnt.
Angriffe
In den vergangenen fünf Jahren hat die Gas- und Öllobby in den USA fast eine Milliarde Dollar darauf verwendet, ein Netzwerk aus Organisationen aufzubauen, die sich jedem Versuch in den Weg stellen, die CO2-Emissionen zu reduzieren – oftmals leugnen sie rundweg, dass das Klima sich überhaupt verändert. Auf die ersten Anzeichen des Widerstands gegen das Buch, die bereits vor seinem Erscheinen auf Twitter zu verzeichnen waren, reagiert Klein gelassen. Gegenwind auch aus der Lobbyecke ist sie gewohnt. „Ich denke, ich habe schon weitaus perfidere und persönlichere Angriffe überstanden als das, was ich in Zusammenhang mit diesem Buch erleben werde.“
Das klingt bitter. Aber sie erkennt ja durchaus einen neuen Typ des Umweltaktivisten, der bereit sei, die Konfrontation mit den Unternehmen aufzunehmen. „Ich bin nicht verzweifelt, sondern vielmehr begeistert von dem, was ich sehe“, sagt Naomi Klein zum Ende unseres Gesprächs. „Die Aufgabe ist gewaltig, und wir sind noch lange nicht am Ziel. Aber ich glaube, dass wir uns bereits auf den Weg gemacht haben. Es gibt einen Weg.“
This Changes Everything. Capitalism vs. The Climate Naomi Klein Simon & Schuster 2014, 576 S., 11,80 €
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