Kaum Chancen für Justitia

Guantánamo Nach beinahe zehn Jahren Haft soll den fünf mutmaßlichen Hauptdrahtziehern der Anschläge vom 11. September 2001 nun doch vor einem Militärgericht der Prozess gemacht werden

Nach beinahe zehn Jahren Haft haben die amerikanischen Behörden nun erklärt, dass den wichtigsten fünf noch in Guantánamo Bay verbliebenen Gefangenen schließlich in einer Hauptverhandlung vor einem Militärgericht der Prozess gemacht werden soll. Sollten sie für schuldig befunden werden, würden sie wahrscheinlich zum Tode verurteilt werden.

Der mit Abstand wichtigste Gefangene ist Khalid Scheich Mohammed – bekannt als KSM. Zusammen mit dem Mitangeklagten Ramzi bin al-Shibh gilt er als Drahtzieher der Anschläge vom elften September. Die anderen sind KSMs Neffe Ali Abdul Asis Ali, Walid bin Attash und Mustafa Ahmed al-Hawsawi. Alle fünf wurden zwischen 2002 und 2003 in Pakistan festgenommen.

Das Militärtribunal stellt das vorerst letzte Kapitel einer außergewöhnlich komplizierten und verwirrenden Justizodyssee dar, welche die Aussichten darauf, dass den Angeklagten ein fairer Prozess gemacht wird, bereits beträchtlich geschmälert hat. Diese Männer sind über Monate und Jahre hinweg in geheimen, auf der ganzen Welt verstreuten "Black Sites" der CIA festgehalten worden. KSM wurde im Laufe der fast dreieinhalb Jahre, die er nach seiner Verhaftung im Jahr 2003 im Dschungel der Geheimgefängnisse verbrachte, 183 Mal mit der Waterboarding-Methode gefoltert, die zwar keine körperlichen Spuren hinterlässt, aber das Opfer glauben macht, es sei dabei zu ertrinken. Nach Guantánamo kam KMS erst im September 2006.

Eines der umfassendsten Geständnisse aller Zeiten

Er erzählte eine ganze Menge über die Planung der Anschläge vom elften September als auch über seine Rolle bei zahlreichen anderen Anschlägen und Attentatsplänen. Allerdings, so erklärte er 2006 erstmals gegenüber dem Roten Kreuz, erzählte er den Beamten, die ihn verhörten, was sie wissen wollten, damit sie aufhörten, ihn zu foltern.

Während des ersten Combatant Status Review Tribunals im Jahr 2007 gestand er eine außerordentliche Anzahl von Terroranschlägen, von denen er sich für viele wirklich verantwortlich zeichnet, während es sich bei anderen um eher vage Ideen handelte: die Anschläge vom elften September, den Anschlag auf das World Trade Centre von 1993, die Enthauptung des Journalisten Daniel Pearl, die Rekrutierung des Schuhbombers Richard Reid, den Anschlag auf den Nachtclub in Bali, einen Plan zur Bombardierung des Panamakanals, zur Ermordung des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter, Papst Johannes Paul II., Bill Clinton und des pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf, Pläne zur Sprengung der Brooklyn Bridge, des Sears Towers in Chicago, des Flughafens Heathrow, des Big Ben, des New York Stock Exchange, mehrerer Atomkraftwerke, des Nato-Hauptquartiers in Brüssel und zahlreicher anderer Ziele. Es handelte sich um eines der umfassendsten Geständnisse aller Zeiten.

Im Februar 2008 gab das US-Verteidigungsministerium bekannt, dass gegen sechs der Guantánoamo-Insassen Anklage erhoben worden war – bei ihnen handelte es sich um dieselben, die vor ein paar Tagen angeklagt wurden, sowie einen Araber, der den Flugzeugentführern des elften September zu Hilfe kommen sollte, aber keine Einreisegenehmigung für die USA erhalten hatte. Als die Verhandlung vor dem Militärgericht dann im Juni 2008 begann, hörten die 35 Journalisten, die das Geschehen in einem angrenzenden Raum mitverfolgten, wie KSM in diesem zunehmend nach einem Schauprozess aussehenden Verfahren jeglichen Rechtsbeistand ablehnte.

Unerwarteter Weise erklärten die Angeklagten den Militärrichtern dann im Dezember 2008 plötzlich, sie wollten auf schuldig plädieren. Drei Monate später wiesen sie in einer Erklärung zu den neun Hauptanklagepunkten die meisten gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück und versuchten, ihre Taten zu rechtfertigen. Sie alle unterzeichneten das Dokument als „Schura-Rat des elften September“. Bald darauf wurde das Militärverfahren eingestellt.

Bürokratisches und juristisches Chaos

Während dieses bürokratische und juristische Chaos die Aussicht auf ein faires Verfahren weiter schmälerte, ergriff KSM die Gelegenheit, sein Image aufzufrischen und sich als Märtyrer für eine gerechte Sache darzustellen. Trotz seiner Inhaftierung in Guantánamo sind zwei neue Fotografien von ihm erschienen, die das Rote Kreuz an seine Familie weitergegeben hat. Anstelle des bekannten Bildes eines ungepflegten Mannes in einem weißen Schlafanzugoberteil, das bei seiner Festnahme gemacht worden war, zeigen die neuen Bilder einen lächelnden Mann mit einem langen, buschigen Bart, der mehr wie ein Guru als wie ein Massenmörder aussieht. Die Bilder erwecken den Eindruck, als gehe es ihm prächtig.

Im November 2009 folgte ein weiteres Desaster für die amerikanische Justiz: Auf Druck der neuen Regierung unter Präsident Obama wurde bekanntgegeben, alle fünf Angeklagten würden in ein Gefängnis in New York überführt, um dort vor ein Zivilgericht gestellt zu werden. Es hatte den Anschein, als würde der Gerechtigkeit schließlich doch noch Genüge getan. Doch es sollte auch dieses Mal wieder anders kommen. Trotz der Bemühungen des neuen Präsidenten, hielt eine Mehrheit der Mitglieder des US-Kongresses an der Überzeugung fest, die Guantánamo-Gefangenen sollten nicht auf amerikanischem Boden vor ein Zivilgericht gestellt werden. Im Januar 2011 sah sich Präsident Obama dann schließlich in einem erniedrigenden Akt gezwungen, den National Defence Authorisation Act (NDAA) zu unterschreiben, der untersagt, dass Regierungsgelder auf die Überführung von Guantánamo-Gefangenen auf das amerikanische Festland verwendet werden.

Im April 2011 erklärte ein offenkundig verärgerter Generalstaatsanwalt Eric Holder dann erneut, die Männer sollten in Guantánamo vor eine Militärkommission gestellt werden. Dieser steht nun unmittelbar bevor. Kann nach den Foltervorwürfen, den Geständnissen, der Ankündigung eines Urteils, dem Scheitern eines militärischen wie eines zivilen Verfahrens noch irgendjemand erwarten, dass der Gerechtigkeit dieses Mal Genüge getan wird?

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Nick Fielding | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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