Neuerdings wird gerne von der Krise der Pornoindustrie gesprochen. Schuld seien sinkende Gewinne, wachsende Piraterie und eine Flut von Gratis- und Amateurpornos im Internet. Der Industrie gehe das Geld aus, hört man. Der Filmemacher Louis Theroux ging kürzlich in einem Artikel im Guardian sogar so weit, ihr einen Kampf ums „Überleben“ zu attestieren.
All diese Beobachtungen mögen stimmen. Aber es wäre ein Fehler, das als Beleg für das Sterben der Branche zu nehmen. Es zeigt sich vielmehr, dass sie sich erfolgreich von einem Modell der kleinen, zwielichtigen Akteure zu einer seriöseren Branche entwickelt, in der scharfer Wettbewerb herrscht und die von wenigen großen Firmen beherrscht wird.
Die Pornoindustrie wächst
Stephen Yagielowicz,
Stephen Yagielowicz, Autor der Branchenwebseite XBIZ, hat dazu geschrieben, es sei wie einst in in Las Vegas: „Die unabhängigen Eigentümer, abtrünnigen Gangster und visionären Unternehmer wurden von Megafirmen verdrängt, die erkannt hatten, wie man das Geschäft professioneller betreiben könnte und die Disziplin mitbrachten, mit den verbliebenen Playern eine ganz neue Ebene des Erfolgs zu erreichen“.In der Tat wächst die Pornoindustrie. Das Internet hat neue Akteure angezogen, die leichtes Geld machen wollten. Das führte zu heftigem Wettbewerb, sinkenden Preisen und damit Gewinnen – wie Theroux gezeigt hat, auch zu sinkenden Löhnen für die Darsteller. Doch die Aussonderung einiger unprofitabler Firmen und eine Welle von Übernahmen haben zu einer Konsolidierung der Pornoindustrie geführt. Diese großen Player haben eine wirtschaftliche, politische und kulturelle Macht erlangt, die die Pornoindustrie tiefgreifend verändert. Ein Indiz dafür, dass sie zu einer seriösen Mainstream-Sparte geworden ist: Sie arbeitet längst mit Kreditkarten- und Mobilfunkfirmen, Softwareentwicklern, Risikokapitalisten und Mainstream-Medienunternehmen zusammen.Ein neuer Larry Flynt – diesmal onlineWer also sind diese großen Spieler? Oft wird dabei zuerst an Hugh Hefner vom Playboy, Larry Flynt von Hustler oder vielleicht Steve Hirsch von der „Film“-Firma Vivid gedacht. Nur wenige aber haben schon von Fabian Thylmann gehört, einem deutschen Geschäftsmann um die dreißig – dem Rupert Murdoch des Porno. Er hat Manwin gegründet, ein in Luxemburg ansässiges Konglomerat mit mehr als siebenhundert Angestellten, dass so gut besuchte Seiten wie Brazzers und Digital Playground besitzt und betreibt. 2011 hat er mit dem Playboy einen Deal zur Betreuung eines Teils des Online- und Unterhaltungs-Markengeschäfts ausgehandelt. Laut Eigen-PR ist Manwin „der führende internationale Anbieter von hochqualitativer Unterhaltung für Erwachsene über Online-, Mobil – TV-Medienplattformen. Es handelt sich um den Besitzer des weltweit größten Netzwerks von Erwachsenenwebseiten mit über sechzig Millionen täglichen Besuchern.“Hier wird es interessant. Theroux behauptet, die Pornoindustrie sei aufgrund der Ausbreitung des Gratis- und Amateurpornos in der Krise. Manwin aber kontrolliert nicht nur profitable Bezahlseiten, sondern besitzt auch viele der bestlaufenden „kostenlosen“ Pornoseiten wie etwa YouPorn, PornHub, Tube8 und Spankwire. Es ist eine clevere Marketingstrategie, dass Spankwire den Usern erzählt, es sei der Ort für den „besten Gratis-Porno“ und zeige „sexuelle Eskapaden aus dem echten Leben“, „verfasst von den Usern.“ Tatsächlich stammt nämlich ein Großteil der Inhalte von Manwins Bezahlseiten und soll Lust auf mehr machen. So lassen sich mit Umsonst-Porno „zu Geld machen“.Das Geschäft mit den "Amateuren"Gleichzeitig geht die Branche mit juristischen und technischen Maßnahmen gegen Piraterie vor. Darin ähnelt ihr Geschäftsmodell dem der Musikindustrie. Statt die Pornobranche also zu zerstören, vergrößern die Gratispornos die Konsumentenbasis für Bezahlpornos. Feras Antoon, CEO von Brazzers, hat im New York Magazin gesagt, die Gratis-Pornoseiten hätten „das Gesamtuniversum der Pornokonsumenten immens vergrößert und die Anzahl derer, die zahlen, ist mitgewachsen.“Manwins Strategie scheint sich auszuzahlen, die Brutto-Einnahmen des Unternehmens sind im Jahr 2010 um vierzig Prozent gestiegen.Auch dem sogenannten „Amateurporno“wird nachgesagt, die Profite der Pornoindustrie gedrückt zu haben. Die Bezeichnung Amateur bezieht sich auf die Optik (sieht selbstgemacht aus), und es bezieht sich auf die „Mädchen“ (Unbekannte) – weniger also auf die eigentlichen Produzenten. Viele dieser Amateur-Seiten sind in Wahrheit im Besitz der Mainstream-Pornoindustrie. „Amateur“ ist nur ein weiteres Marktsegment.Beim Fernsehsender ABC sagte Yagielowicz: „Viel sogenannte Amateure sind gar keine echten Amateure – die Studios haben es inzwischen raus, für Abo-Seiten echte Pornostars wie Mädchen von nebenan aussehen zu lassen. Ich würde also davon ausgehen, dass sie das gleiche bei nutzergenerierten Revenue-Sharing-Seiten tun.“Viele kleinere Pornounternehmen sind sich dessen nur allzu bewusst. Bei einem von XBIZ ausgerichteten Branchentreffen in Miami wurden die Pornokonglomerate heftig attackiert, weil sie die Spielregeln so stark verändert haben. Geändert haben die Regeln sich tatsächlich. Nun wird die Industrie, die mit der Erniedrigung und Degradierung von Frauen Geschäfte macht, von der Wallstreet, den Medien und dem politischen Establishment ernst genommen. Statt einer Krise erlebt diese Branche eine Akzeptanz im Mainstream, die Hefner und die alte Garde in ihren schönsten Träumen nicht für möglich gehalten hätten.