Wie alle Männer eines bestimmten Alters werde ich regelmäßig aufgefordert, meinen Stuhlgang auf Zeichen einer etwaigen Darmerkrankung, meine Hoden auf ungewöhnliche Knoten und meine Ansichten auf Symptome von Privilegien hin zu überprüfen. All diese Dinge sind unangenehm und lästig – und alle erledigt man am besten, wenn man in einem ruhigen Augenblick der Kontemplation einmal für sich allein ist. Aber alle drei sind auch der Mühe wert.
Gerade im Zusammenhang mit Gender-Themen, aber auch bei Rassismus-Debatten gibt es immer wieder Aufregung, wenn über Privilegien gesprochen wird – und wenn Menschen, die aufgrund ihrer Geburt bestimmte Vorteile genießen, an diese erinnert werden. „Check your privileges!“ Vor allem Journalisten mögen es oft gar nicht, von ihren Lesern an ihre privilegierte Stellung erinnert zu werden. Es ist sicher kein Zufall, dass sie genau dann Probleme damit bekommen, dass Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Klassenzugehörigkeit oder ihrer ethnischen Wurzeln bestimmte Eigenschaften zugeschrieben wird, wenn sie an ihre eigenen Privilegien erinnert werden. Oder anders formuliert: wenn diese Zuschreibungen nicht in partikularer, sondern in emanzipatorischer Absicht thematisiert werden.
Es ist dabei auch nicht unbedeutend, dass Klagen über die Aufforderung zum Privilegiencheck in der Regel eher aus dem linksliberalen Spektrum kommen – nicht so sehr von rechts. Menschen, die nie den Feminismus oder Anti-Rassismus-Projekte in ihrer Gesamtheit kritisieren oder in Frage stellen würden, fangen plötzlich an, über Identitätspolitik zu murren, wenn sie daran erinnert werden, dass es doch vielleicht nicht nur eine Ursache der Unterdrückung (sei es das Patriarchat oder der Rassismus) gibt, sondern immer mehrere, die gleichzeitig wirksam sind.
Ein unsichtbarer Rucksack
Und ein Einwand ist ja richtig: Identitätspolitik – also die Reflexion, wie die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen unsere Normen und Vorstellungen prägt – kann leicht zu einer Art Unterdrückungsolympiade mutieren, bei der am Ende der gewinnt, der die meisten Diskriminierungen vorweisen kann. Der „intersektionale Ansatz“ versucht dieses Problem zu lösen. Er geht davon aus, dass Unterdrückungsformen nicht isoliert thematisiert werden können. Man dürfe auch nicht argumentieren, Ungerechtigkeiten, die nur bestimmte Teile und Gruppen der Gesellschaft betreffen, würden nur von wichtigeren Themen ablenken. Zudem sollte man sich im Klaren darüber sein, dass man mit dem, was man sagt und macht, potenzielle Verbündete möglicherweise von diesem Kampf ausschließt oder sogar zusätzlich zu deren Unterdrückung beiträgt.
In den Sozialwissenschaften sind Privilegien nach Peggy McIntoshs klassischer Metapher „ein unsichtbarer, gewichtsloser Rucksack voller Vorräte, Karten, Ausweise, Wörterbücher, Visa, Kleidungsstücke, Werkzeuge und Blankochecks“. Sie sind nicht identisch mit Macht, Kontrolle oder Reichtum und geben auch keine Garantie für das Erreichen dieser. Man sollte sich Privilegien besser als Mechanismen vorstellen, die dafür sorgen, dass Macht, Kontrolle und Reichtum dort verbleiben, wo sie sind.
Einmal konkret gesagt: Dass Männer in unserer Gesellschaft bestimmte Privilegien genießen, bedeutet keineswegs, dass alle Männer ein tolles Luxusleben führen. Natürlich gibt es viele arme Männer, die von Sozialleistungen leben und sich nicht gerade privilegiert fühlen. Das heißt aber nicht, dass die Privilegien nicht innerhalb der Gesellschaft ihre Wirkung entfalten. Sie führen unter anderem etwa dazu, dass die Führungsetagen großer Unternehmen nach wie vor überwiegend männlich besetzt sind.
Die wichtigste Eigenschaft von Privilegien ist, dass wir uns ihrer oft nicht bewusst sind. Da das Leben der Privilegierten als Norm beschrieben und erfahren wird, nimmt man andere Erfahrungen lediglich als negative Abweichungen von einem unterstellten Normalzustand wahr. Nimmt man zum Beispiel die ungleiche Bezahlung zwischen Männern und Frauen und lässt einmal die Frage beiseite, ob die genannten Zahlen und die Art und Weise der Argumentation immer stimmen, so fällt doch auf, dass fast immer davon die Rede ist, dass Frauen im Durchschnitt 20 Prozent (oder wie viel auch immer genau) weniger verdienen als Männer – und nicht, dass Männer im Durchschnitt um zwanzig Prozent überbezahlt sind. Die männliche Erfahrung wird als Maßstab und 100-Prozent-Marke gesetzt.
Ich bin mir, um ein anderes Beispiel anzuführen, auch durchaus der Ironie bewusst, dass ausgerechnet ich – ein heterosexueller, weißer Mann aus der Mittelschicht – gebeten wurde, einen objektiven und ausgewogenen Text über Privilegien zu verfassen. Betrachten Sie es als eine Übung von mir in Sachen Selbstironie.
Die Theorie des Privilegs wirft viele philosophische und politische Fragen auf. Die komplexen Unterdrückungsmechanismen sind nicht leicht zu fassen oder gar selbsterklärend. Es gibt Wissenschaftler, die ihr Leben mit der Diskussion der Details verbringen. Ich persönlich bin der Ansicht, dass die meisten von uns auf verschiedene Arten durch die Form unseres Wirtschaftssystems unterdrückt und ausgebeutet werden. Und ich glaube auch, dass Rassismus, Sexismus, Standesdünkel und alle anderen Formen von Unterdrückung aktiv gefördert und am Leben erhalten werden, damit der kapitalistische Verwertungsprozess nur reibungslos vonstatten gehen kann.
So können zum Beispiel auch Männer durch die Geschlechterrollen, die von der Gesellschaft vorgegeben werden, in ihrer freien Entfaltung eingeschränkt und benachteiligt werden. Man müsste daher in manchen Zusammenhängen genauso die Privilegien von Frauen anerkennen und thematisieren. Das Stillschweigen über die männlichen Opfer häuslicher und sexueller Gewalt wäre hier ein Beispiel. Die immer noch weit verbreitete Gleichsetzung von Elternschaft mit Mutterschaft wäre ein anderes Beispiel.
Zusammenhänge verstehen
Hingegen einer unreflektierten, privilegierten Mittelschichtsperspektive geschuldet, erscheint mir die Annahme, alle Menschen strebten nach Reichtum, Macht und beruflichem Aufstieg, während Opfer, die man zuhause oder in der Beziehung bringe, schlicht der Preis für ein solches Fortkommen seien. Die Aufforderung, unsere Privilegien zu überprüfen, erinnert uns an diese komplexen Zusammenhänge.
Sie weist uns darauf hin, dass wir von Leuten mit anderem sozialen Hintergrund und anderen gesellschaftlichen Erfahrungen nicht erwarten können, dass sie die gleichen politischen Ansichten vertreten wie wir. Und dass Fragen, die Randgruppen betreffen, nicht als belanglos abgetan werden dürfen. Das bedeutet aber nicht, dass die Perspektive des Privilegierten notwendigerweise falsch sein muss. Es bedeutet lediglich, dass eine solche Perspektive nicht die ganze Wahrheit enthält.
Als heterosexueller, weißer Mittelschichtsmann mit einem Interesse an Gender-Themen handle ich mir immer wieder unvermeidlich den Vorwurf ein, ich würde meine Privilegien missbrauchen, ich sei borniert und parternalistisch. Manchmal kommen mir diese Vorwürfe unaufrichtig vor. Es wirkt dann auf mich wie ein Versuch, die Diskussion abzuwürgen – oder die Stimmen, die sich an einer Debatte beteiligen, auf die erwünschten Perspektiven zu beschneiden.
Manchmal wird der Vorwurf aber auch völlig zu Recht erhoben und im Nachhinein gebe ich gern zu, mich mitunter wie ein anmaßender Idiot benommen zu haben. Aber nicht immer. Dann denke ich auch mal, dass ich meine Privilegien ausreichend reflektiert habe und trotzdem anderer Meinung bin. Und das ist dann kein Missbrauch von Privilegien, sondern eine legitime Option in einer Debatte! Ich erwarte, dass auch das anerkannt wird.
Kein Totschlagargument
Seine Privilegien zu reflektieren, sollte nicht als Totschlagargument in einer Debatte verstanden werden. Vielmehr sollten wir als in mancher Hinsicht Privilegierte es als eine Aufforderung zu einer Auszeit und taktischen Neubewertung verstehen. Ich kann daran nichts Schlechtes finden.
Sicher, sich die eigenen Privilegien vor Augen zu führen, kann irritierend und auch frustrierend sein. Doch es stört mich weniger als Äußerungen von Leuten, die für ihre Thesen über die größten Verbreitungsplattformen und lautesten Megafone verfügen. Und die diese nur nutzen, um die Akzeptanz ihres eigenen Status, die Anerkennung ihrer Werte und das Recht einzufordern, über den Ton zu bestimmen, in der die Debatte geführt wird, oder zu definieren, welche Einwände ihre Kritiker erheben dürfen. Das ist dann nämlich echt ein Missbrauch von Privilegien.
Ally Fogg lebt als freier Autor in Manchester und schreibt regelmäßig für Comment is free, das Meinungsressort des Guardian
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