Last Exit Bagdad

US-Truppenabzug Barack Obama hat Bagdad zu einem Zeitpunkt besucht, da Bedenken wachsen, die US-Truppen würden zu zeitig abgezogen. Die Gefahr eines Bürgerkriegs ist immer noch real

Es gibt sie noch immer, die Spannungen zwischen den verschiedenen Sunniten-Gruppen und der schiitisch geführten Koalitionsregierung unter Premier Al-Maliki. Sie entladen sich in Anschlägen mit Autobomben, in Attentaten auf Schiiten in Bagdad. Verantwortlich sollen die in Mesopotamien wiedererstarkende al-Qaida, abtrünnige Mitglieder der Baath-Partei oder extremistische sunnitischen Paramilitärs sein. Sie könnten einen Vorgeschmack auf das bieten, was die Menschen erwartet, wenn die Amerikaner nach Obamas Rückzugsplan im Sommer die Städte verlassen.


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Die nächste Testphase folgt im Herbst, wenn die Vorbereitungen für die landesweiten Wahlen im Dezember beginnen. Der Premierminister konnte bei den Regionalwahlen im Januar Boden gewinnen, indem er die säkular-nationalistische Karte spielte und mehr auf soziale als auf ethnische und religiöse Themen setzte. Die Frage, ob der politische Wille vorhanden ist, die sektiererischen Bestrebungen zu unterbinden, wird durch beständige Zweifel ergänzt, ob es der irakischen Armee und Polizei gelingt, diese Abstimmung ohne Hilfe der Briten und Amerikaner abzusichern.

Ein durch und durch falsches Signal

Die politischen Führer der Sunniten beklagen sich, Maliki habe es nicht vermocht, ehemaligen Anhängern Saddam Husseins Arbeitsplätze zu verschaffen und sunnitische Kämpfer in die nationale Armee zu integrieren. Indem sie ihre Gewehre auf al-Qaida richteten, halfen sunnitische Milizen wie die Söhne des Irak – Teil einer so genannten Erweckungsbewegung, die vom früheren US-Kommandeur, General David Petraeus, gefördert wurde – den Erfolg der US-Offensive 2007/08 zu gewährleisten. Nun wird befürchtet, die Söhne des Irak könnten wieder in alte Aufstandsgewohnheiten zurückfallen. Die erbitterten Kämpfe, die sich diese Formationen vor einer Woche im Osten von Bagdad mit Regierungstruppen lieferten, gaben einen Vorgeschmack.

Aber nicht allein diese Entwicklung bereitet Sorge. Dass Obama es bislang noch nicht geschafft hat, einen neuen Botschafter zu entsenden, um Ryan Crocker zu ersetzen – das ist nach Ansicht von John Kael Weston, einem früheren in Bagdad stationierten Beamten des US-Außenministeriums, ein durch und durch falsches Signal an die Iraker. Präsident Obama hatte zunächst den ehemaligen Centcom-Kommandeur General Anthony Zinni für den Job in Bagdad ernannt, um es sich dann peinlicherweise anders zu überlegen und Christopher Hill den Vorzug zu geben, dem Nordkorea-Gesandten der Regierung Bush. Nun hängt Hills Nominierung in der Bürokratie des Senates fest. Ein Posten, der nach Ansicht von Außenministerin Hillary Clinton dringend besetzt werden müsste, bleibt vakant.

Exit-Programm sorgt für Hektik

Wenn in den kommenden Monaten 12.000 US-Soldaten aus den Provinzen Anbar und Bagdad abgezogen werden, wird es entscheidend sein, ob die dort ansässige Erweckungsbewegung auch nach diesem Rückzug die Zentralregierung unterstützt. Oder sich erneut als Widerstandskraft empfindet. Aufhalten lässt sich das wohl nur, wenn die Regierung in Bagdad diese Milizionäre in die offiziellen Sicherheitskräfte holt. Und das ohne Wenn und Aber.

Ab August 2009 sollen noch 50.000 (von heute 140.000) US-Soldaten im Irak stehen – bis Ende 2011 werden auch die gegangen sein. Die Iraker stehen unter Zeitdruck, ihre innere Sicherheit aus eigener Kraft zu garantieren, verfeindete Gruppen auszusöhnen und einen wirtschaftlichen Aufschwung zu bewirken. General Ray Odierno, Oberkommandierender der US-Truppen im Irak, plädierte öffentlich dafür, den Rückzug zu verlangsamen und über einen größeren Zeitraum hinweg zu strecken. Er wurde in Washington überstimmt. Vielleicht hat Obama aber auch Glück, und der Irak fliegt nicht auseinander, sondern schafft es, sich bis 2011 für eine unabhängige nationale Souveränität zu rüsten. Aber es geht alles ein wenig zu hektisch vonstatten, was Risiken birgt. Und wenn der US-Präsident mit seinem Exit-Programm scheitert, werden seine jetzigen Prioritäten, den Krieg in Afghanistan und Pakistan zu gewinnen, ein konstruktives Verhältnis zum Iran aufzubauen und die Beziehungen zur islamischen Welt zu polieren – wieder vom Moloch Bagdad in Frage gestellt werden.


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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Simon Tisdall, The Guardian | The Guardian

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