Seit Beginn der Aufstände in der arabischen Welt wurde immer wieder gern die Beteiligung der Frauen bejubelt. Manche, wie Soumaya Ghannoushi, ließen sich sogar zu dem Urteil hinreißen, „das Stereotyp des unterwürfigen, unterdrückten Opfers sei durch die Demonstrantinnen in Ägypten, Tunesien und dem Jemen zerschlagen“ worden. Ich bin mir nicht sicher, ob die Frauen in diesen Ländern das genauso sehen oder ihre Teilhabe an den Protesten ebenfalls für etwas vollkommen Neues halten.
Es mag verführerisch sein, großartige Schlüsse aus solch bedeutenden Ereignissen zu ziehen. Wer nun aber die Sicht auf Frauen sogleich für revolutioniert hält, ist entweder naiv oder lässt es an historischer Perspektive fehlen. Neu ist das alles nicht. Wenn es zum Aufruhr kam, waren Frauen häufig ganz vorn mit dabei. Aktivistinnen wie Nawal el Sawaadi sind den arabischen Regimes seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge. Die 32-jährige Menschenrechtsaktivistin Tawakul Karman im Jemen, die jetzt an der Spitze der dortigen Protestbewegung steht, war schon lange vor deren Anfängen aktiv.
Präsidentin Tawakul
Soumaya Ghannoushi berichtet auch von der 77-jährigen Saida Sadouni, die nun „weithin als Mutter der tunesischen Revolution bejubelt wird, als Zeitzeugin der Geschichte ihres Landes und dessen Kampf für Emanzipation“. So etwas hört man jetzt häufig. Die Rolle der Frauen bei den Revolutionen ist zwar bewegend, es steckt allerdings eine psychologische Strategie dahinter, weibliche Aktivität zu feiern und zu glorifizieren, wenn sie im Rahmen eines Volksaufstandes stattfindet. Dann nämlich dienen die Frauen den Männern quasi als die ultimativen, unterdrückten Opfer, als Beweis dafür, dass die Lage so verzweifelt ist, dass sogar die Angehörigen des schönen Geschlechts den Herd verlassen und auf die Straße gehen. Es entsteht der Eindruck, Frauen kämpften nicht für ihre eigenen Rechte, sondern legitimierten lediglich die Revolutionen, indem sie gleich einem Maskottchen ihre matronenhafte Würde beisteuerten.
Die Aktivistin Tawakul Karman wurde von jemenitischen Stammesführern und Soldaten sogar gefragt, ob sie für das Präsidentschaftsamt kandidieren wolle. Es wird interessant sein zu sehen, wie viel von diesen wohlwollenden Ehrerbietungen übrig bleibt, sollte Staatschef Saleh sein Amt verlieren. Irgendwie fällt es dann doch schwer, sich vorzustellen, wie dieselben Stammesführer ihr als Präsidentin die Treue schwören.
Im kulturellen Erbe des Islam findet sich eine Fülle von Geschichten über Kämpferinnen, die an der Seite des Propheten streiten und der Folter und dem Hunger durch die Hand ihrer Feinde standhalten. Das gehört zur Geschichte der Geschlechtergleichheit in der Region. So wie Bilal ibn Rabah, der schwarze Jünger des Propheten und erste Muezzin, jedes Mal hervorgeholt wird, wenn die Sprache auf den Rassismus in der arabischen Welt kommt. Tatsächlich aber kann die Religion nicht viel vorweisen, wenn es um die Förderung der Frauenrechte geht.
Nichts ist garantiert
Vor einer Woche rief Amnesty International die ägyptischen Behörden dazu auf zu untersuchen, was es mit den „Jungfräulichkeitstests“ auf sich habe, die die Armee an Demonstrantinnen vorgenommen hat, die zuvor auf dem Tahrirplatz festgenommen wurden. Es heißt, wo der Test positiv ausfalle, sei eine Anzeige wegen Prostitution fällig. Mit anderen Worten: Auf dem Marktplatz der Rechte und Forderungen, die nach einem Machtwechsel verhandelt werden, fallen die Rechte der Frauen als erstes unter den Tisch. Nicht der Sturz von Diktatoren wird die Sache der Frauen in Nahen Osten voranbringen. Wir sollten uns nicht davon beschwichtigen lassen, dass die Männer den Frauen „erlaubt“ haben, Seite an Seite mit ihnen zu demonstrieren, und uns nicht vormachen lassen, die von der Revolution ausgelöste Dynamik sei unumkehrbar.
Nichts ist garantiert. Wenn ich eines von meiner Mutter und meinen Großmüttern gelernt habe, dann dies: Die Lage der Frauen in arabischen Gesellschaften unterliegt stetem Wandel, sie ist abhängig von der wirtschaftlichen, politischen und religiösen Stimmung, die unerwartete Fortschritte genauso ermöglicht wie jähe Rückschläge. Legt man die Behandlung der Frauen als entscheidenden Maßstab und als Bewährungsprobe für die Lebensfähigkeit eines Staatswesens an, dann ist bisher nur sehr wenig revolutioniert worden.
Eines allerdings stimmt zuversichtlich: Immer mehr Frauen aller sozialen Schichten und religiösen Zugehörigkeiten werden wachgerüttelt. Wir sollten diese Gelegenheit ergreifen und uns nicht mit dem Status Quo zufrieden geben. Wir sollten wachsam bleiben und hoffen, dass von dieser Schwesternschaft ein wirklicher Impuls ausgeht und zivile Gruppen sich organisieren, Kampagnen führen und ihren Einfluss geltend machen, statt uns darüber zu freuen, dass an Stereotypen gerüttelt wird.
Nesrine Malik ist Schriftstellerin und regelmäßige Autorin des Guardian
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