Eine Entschuldigung lehnte Mitt Romney ab. Dass er 47 Prozent der Amerikaner als von der Regierung abhängige „Opfer“ sieht – wie ein heimlich mitgeschnittenes und beim Magazin Mother Jones veröffentlichtes Video belegt –, nahm er nicht zurück. Beim Republikaner-Haussender Fox News versuchte sich der Präsidentschaftskandidat lediglich in Schadensbegrenzung. Gleichzeitig erhielt er Schützenhilfe vom rechtslastigen Drudge Report, der Auszüge aus einer Aufnahme von 1998 veröffentlichte, in der sich der heutige US-Präsident Barack Obama für „Umverteilung“ ausspricht.
Wenn das als koordinierter Versuch gedacht war, Romneys "Video-Krise" zu meistern, dann hat er allerdings nicht viel gebracht. Bereits am Dienstag wurde ein weiterer Clip veröffentlicht, in dem Romneys Ansichten über den israelisch-palästinensischen Konflikt zu hören sind. Dabei behauptet er unter anderem, die Palästinenser seien nicht an Frieden interessiert.
"Die kriege ich nicht"
Als er auf Fox News gefragt wurde, ob er sich mit seinen Kommentaren von der Hälfte der Wähler bereits verabschiedet habe, antwortete Romney: „Ich spreche davon, welche Perspektiven die Wähler haben, die ich wahrscheinlich nicht dazu bewegen kann, mich zu unterstützen. Die, die vom Staat abhängen und glauben, es sei dessen Aufgabe, umzuverteilen … Die werde ich nicht kriegen.“
Er wiederholte, dass manche Leute keine Einkommenssteuer zahlen – die Zahl liegt bei 46 Prozent –, und dafür gebe es auch gute Gründe: „Es gibt eine gewisse Anzahl von Rentnern und ehemaligen Armeeangehörigen, die keine Steuern zahlen und das ist auch in Ordnung so. Ich glaube, die Leute würden gern Steuern zahlen. Das Problem ist, dass viele verarmt sind, keine Steuern zahlen können und auf den Staat angewiesen sind.“
Der jüngste Fauxpas
Dennoch ist klar, dass die Video-Affäre dem Wahlkampf des republikanischen Kandidaten einen Schlag versetzt hat. Konservative Kommentatoren und Strategen reagierten bestürzt auf die Aussagen. Ein einflussreicher Redakteur bezeichnete Romneys Ansichten als „dumm“. Sein Wahlkampfteam wartet nun ängstlich auf die nächsten Umfragen, um zu sehen, wie viel Zustimmung dieser jüngste Fauxpas ihren Kandidaten gekostet hat. Denn der liegt schon seit Wochen wieder hinter dem amtierenden Barack Obama und agiert aus der Defensive.
Die Aufnahme mit Romneys Einlassungen über "Opfer" entstand während eines einstündigen Auftritts des Kandidaten bei einem Fundraising-Dinner in der Privatvilla des Investmentbankers Marc Leder in Florida, das jeden Teilnehmer 50.000 Dollar kostete. Weitere Auszüge sollen noch veröffentlicht werden. Damit wird es für sein Wahlkampfteam schwierig, die Wogen zu glätten und auf das Kernthema Wirtschaft zurückzukommen.
Kein Palästinensersstaat
Der letzte Clip zeigt Romney, wie er die Aussichten auf einen israelisch-palästinensischen Frieden verwirft. Das ist zwar vor dem Hintergrund seiner schon oft erklärten Unterstützung für Benjamin Netanjahu keine Überraschung. Doch weist er alle Verantwortung ausschließlich den Palästinensern zu. Das ist neu.
Normalerweise stellen sich amerikanische Präsidenten eher als neutrale Vermittler dar, selbst wenn sie tatsächlich eher mit den Israelis sympathisieren. Romney deutete dagegen an, dass er sich als Präsident nicht für die Schaffung eines palästinensischen Staates einsetzen werde und warnte, Iran würde diesen als Basis für Angriffe auf Israel nutzen. Seine Chancen, überhaupt in eine entscheidende Position zu kommen, dürfte Romney mit Bemerkungen wie diesen aber erheblich geschmälert haben: „Ich sehe ohnehin, dass die Palästinenser den Frieden nicht wollen, sondern die Zerstörung und Vernichtung und Eliminierung Israels.“
Obama hat in seiner ersten Amtszeit bis auf ein paar unverbindliche Versuche zu Beginn noch keine ernsthaften Anstrengungen zur Beilegung des Konflikts unternommen. Es gibt jedoch Hinweise aus dem Weißen Haus, dass man sich des Themas während einer zweiten Amtszeit, befreit von dem Druck der Wiederwahl, beherzter annehmen werde.
"Nicht meine Aufgabe"
Romneys Äußerungen über den Nahost-Konflikt fallen natürlich bei weitem nicht so stark ins Gewicht wie die Sache mit den 47 Prozent. Innerhalb weniger Minuten schaffte es der Kandidat, Ältere, Veteranen, Studenten, Latinos und andere Wählergruppen gegen sich aufzubringen, von denen die meisten durchaus Steuern zahlen und sich ihre Ansprüche verdient haben. „Es ist nicht meine Aufgabe, mir um diese Leute Sorgen zu machen“ – für jemanden, der behauptet, er wolle alle Amerikaner repräsentieren, zeugt dieser Satz doch von einem erheblichen Maß an Gleichgültigkeit. Das wirkt besonders stark, weil der Kontrast zwischen öffentlich und privat gesagtem so krass ist. Das bringt ihm den Vorwurf der Heuchelei ein – und das wirkt vernichtend.
Nur Stunden vor der Veröffentlichung des Videos hatte Romneys Team angekündigt, den Wahlkampf neu auszurichten, um aus der Defensive zu kommen. Die neue Strategie, sich mehr auf politische Inhalte zu verlegen statt auf Angriffe auf Obama, hielt aber kaum 12 Stunden. Seit das Video auftauchte, ist Romneys Mannschaft wieder voll mit Schadensbegrenzung beschäftigt. Die Berichterstattung in den Medien war fast ausschließlich negativ.
Obamas Kampagne reagierte schnell. Am Dienstag betonte Regierungssprecher Jay Carney, Obama sei der Präsident aller Amerikaner, nicht nur jener, die ihn gewählt haben. Darauf folgte ein neuer Wahlwerbespot, bei dem Material aus dem 47-Prozent-Clip mit Reaktionen von Bürgern zusammengeschnitten wurden. „Mir wurde wirklich speiübel“, erklärt eine Frau.
Rückzug des Kandidaten?
Es ist jedoch das Urteil der Konservativen, die Romneys Wahlkampfteam die meisten Sorgen bereiten dürfte. Einige von ihnen bezeichnen seinen Wahlkampf als den ungeschicktesten der letzten fünfzig Jahre. Der einflussreiche Herausgeber des konservativen Weekly Standard, William Kristol, bezeichnete Romneys Kommentare zu den 47 Prozent als „arrogant und dumm“. Er legte ihm nahe, zu Gunsten seines Vizekandidaten Paul Ryan auf die Kandidatur verzichten und Senator Marco Rubio zum Vizekandidaten ernennen.
Mark McKinnon, der 2008 zum Beraterteam John McCains gehörte und als einer von wenigen republikanischen Strategen überhaupt unmittelbar nach der Veröffentlichung des Videos offiziell äußerte, sagte am Montag dem Hill Magazine: „Das kommt einem Schuss ins Knie gleich, weil es eine sehr zynische Haltung offenbart. Damit drängt er die unabhängigen Wähler zur Tür hinaus.“ Es könnte helfen, viele verärgerte Demokraten zu motivieren, zur Wahl zu gehen, sagte McKinnon weiter.
Sieben Wochen vor dem Urnengang bleibt Romney immer noch Zeit, das Ruder zu wenden. Er kann noch Millionen in seine Fernsehwerbung stecken. Es könnte helfen, wenn er bei den Rededuellen mit Obama eine gute Figur macht. Das erste findet am 3. Oktober in Denver, Colorado, statt.
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