Mongolischer Hitlergruß

Rechtsextremismus Ultranationale Gruppen wie das "Weiße Hakenkreuz" verehren den Nationalsozialismus und mobilisieren gegen gesellschaftliche Randgruppen. Ihr größtes Feindbild ist China

Sie führen die rechte Hand an die schwarzgekleidete Brust, dann schnellt der Arm zum Gruß an die Nation nach vorne: „Sieg Heil!“ Sie preisen Hitlers Hingabe an die ethnische Reinheit, dabei entsprechen sie mit ihren hohen Wangenknochen, ihren dunklen Augen und der braunen Haut nicht gerade dem arischen Ideal des Dritten Reichs. Nichtsdestotrotz hat eine neue Form des Nazismus eine ungewöhnliche Heimat gefunden: die Mongolei.

Einmal mehr treten auch hier Ultra-Nationale mit ihrer Mobilisierung gegen gesellschaftliche Randgruppen in einer Situation auf den Plan, da die Wirtschaft eines Landes darnieder liegt. In diesem Fall lautet das Feindbild China, die aufstrebende Macht im Süden.

Gruppen wie Tsagaan Khass („Weißes Hakenkreuz“) stilisieren sich als Patrioten, die sich gegen Kriminalität aus dem Ausland, maßlose Ungleichheit, Gleichgültigkeit seitens der Politik, gegen Korruption und für die kleinen Leute einsetzen. Doch ihre Kritiker werfen ihnen vor, Unschuldige zum Sündenbock zu machen und zu attackieren. Das US-Außenministerium warnt Reisende, dass Übergriffe auf ethnisch gemischte Paare in den vergangenen Jahren zugenommen haben – darunter auch organisierte Gewalt durch ultra-nationale Gruppen.

Der Anführer der Gruppe Dayar Mongol droht, Frauen, die mit chinesischen Männern schlafen, den Kopf kahl zu scheren. Vor drei Jahren wurde er des Mordes am Freund seiner Tochter angeklagt. Berichten zufolge soll er den jungen Mann umgebracht haben, weil dieser in China studiert hatte.

Nazi-Ikonographie

Die Anführer von Tsagaan Khass behaupten von sich, Gewalt nicht zu unterstützen, obgleich sie selbst ernannte Nazis sind. „Wir haben Respekt vor Adolf Hitler. Er hat uns gelehrt, wie man nationale Identität schützt“, erklärt ein 41-jähriges Gründungsmitglied, das sich selbst Big Brother nennt. „Wir sind mit seinem Extremismus und damit, dass er den Zweiten Weltkrieg begonnen hat, nicht einverstanden. Wir sind gegen das ganze Töten, aber wir unterstützen seine Ideologie. Wir befürworten eher den Nationalismus als den Faschismus.“

So oder so ist die Wahl des Vorbilds äußerst merkwürdig. Hitler ließ sowjetische Kriegsgefangene, die mongolisch aussahen, aussondern und hinrichten. In Europa wurden mongolische Migranten erst kürzlich wieder Opfer von rechtsextremen Übergriffen.

Nicht alle ultra-nationalen Gruppen bemühen die Ikonographie des Dritten Reichs, doch dass viele darauf zurückgreifen, lässt sich am ehesten mit der weit verbreiteten Unwissenheit über den Holocaust und über andere Kriegsverbrechen erklären. Tsagaan Khass verweist darauf, dass das Hakenkreuz ein uraltes asiatisches Symbol sei – das stimmt zwar, erklärt jedoch nicht, weshalb die Gruppe die Farben der Nazis, den nationalsozialistischen Reichsadler und den Hitlergruß verwendet. Oder weshalb auf Big Brothers Zigarettenetui ein großes Porträt des Führers prangt. Auch ihre unverfrorene Bewunderung für Hitlers Rassenlehre spricht eine andere Sprache.

„Wir müssen als Nation gewährleisten, dass unser Blut rein ist. Das ist eine Frage der Unabhängigkeit“, erklärt der 23-jährige Battur und weist darauf hin, dass die Mongolei weniger als drei Millionen Einwohner hat. „Wenn wir uns mit den Chinesen vermischen, werden sie uns langsam verschlingen. Die mongolische Gesellschaft ist nicht besonders reich. Fremde kommen mit viel Geld und könnten sich unsere Frauen holen.“

Big Brother bekennt, dass er mit diesem Gedankengut durch nationalistische Gruppen in Berührung gekommen sei, die nach dem Zerfall der Sowjetunion in Russland entstanden. Die Mongolei zählte zu den Satellitenstaaten. Der speziell mongolische Dreh ist die anti-chinesische Haltung und die wird immer populärer. „Zwar ist der ultra-rechte Diskurs den meisten Mongolen zu extrem, doch es scheint einen allgemeinen Konsens darüber zu geben, dass China imperialistische Absichten hege, „böse“ sei und die Mongolei einnehmen wolle“, erklärt Franck Billé von der Universität Cambridge, der über die Darstellung von Chinesen in der Mongolei forscht.

Heimliche Machtausweitung

Hip-Hop-Lieder wie Don’t Go Too Far, You Chinks der Band 4 Züg – dessen Refrain lautet: „shoot them all, all, all“ – werden in vielen Bars und Clubs aufgelegt. Moderne Mythen kursieren: Einige glauben, Peking habe eine gezielte Geheimstrategie, durch die chinesische Männer dazu ermuntert werden sollten, mit mongolischen Frauen zu schlafen.

Und doch behauptet Tsagaan Khass, man heiße gesetzestreue Besucher jeglicher Ethnie herzlich willkommen und auch Big Brother kann sich von seiner gastfreundlichen Seite zeigen. Mir etwa schüttelt er zur Begrüßung begeistert die Hand: „Obwohl Sie britische Staatsbürgerin sind, sind Sie immer noch Asiatin, das macht sie cool.“

Von den jüngeren Mitgliedern, so sagt er, habe er gelernt, weniger extrem zu sein. Die Gruppe scheint sich neu zu erfinden – „kriminelle Elemente“ werden ausgeschlossen, eine gute Ausbildung ist Vorraussetzung für die Aufnahme. Einer der neuen Anführer ist Innenarchitekt. Kritiker jedoch fürchten, dass die Ultra-Nationalen sich einfach nur kultivierter geben – und still und leise ihre Macht ausweiten. Tsagaan Khass arbeitet nach eigener Aussage „eng“ mit anderen Organisationen zusammen und denkt über eine Fusion nach.

„Einige Leute verschließen komplett die Augen vor der Realität“, sagt Anaraa Nyamdorj vom mongolischen Zentrum für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle. „Aber wir können nicht länger leugnen, dass es ein Problem gibt.“ Seit dem Frühjahr hat das US-Außenministerium eine Zunahme fremdenfeindlicher Übergriffe verzeichnet. Im Länderbericht der UN wird ein heimtückischer Überfall auf drei junge transsexuelle Frauen aufgeführt. Eines der Opfer machte öffentlich eine ultra-nationale Gruppe dafür verantwortlich und erhielt darauf umgehend Morddrohungen.

„Die Unterstützung der Bevölkerung wächst“, kritisiert Enkhjargal Davaasuren, Direktorin des staatlichen Zentrums gegen Gewalt. Sie fürchtet, dass das Selbstbewusstsein der Ultra-Nationalen weiter zunimmt und die Opfer zuviel Angst haben, um an die Öffentlichkeit zu gehen. Davaasuren verweist auf ein Youtube-Video aus dem vergangenen Jahr, auf dem zu sehen ist, wie ein Mann äußerst grob das lange Haar einer Frau abrasiert. Das Opfer vergräbt sein Gesicht in den Händen, doch ihrem zusammengekauerten Körper ist die Angst anzusehen.

Andere in Ulan Bator glauben, die Bewegung habe ihren Zenit überschritten und die bedrohliche Haltung sowie die Rede von 3.000 Anhängern seien nur Bluff.

Javkhlan, eines der führenden Mitglieder von Tsagaan Khass, beharrt darauf, die Gruppe sei nicht anderes als ein Organ "zur Vollstreckung der Gesetze": „Wir führen Kontrollen durch. Wir gehen in Hotels und Restaurants und stellen sicher, dass dort keine mongolischen Mädchen der Prostitution nachgehen und keine Ausländer die Gesetze brechen. Wir gehen nicht einfach da durch und prügeln alle zusammen. Wir überprüfen unsere Informationen und stellen sicher, ob sie stimmen.“

Sie seien dabei auf die Polizei und den Druck der Medien angewiesen, fügt er hinzu. Doch was, wenn diese scheitern? „Wir versuchen Gewalt zu vermeiden“, sagt er. „Sie wäre für uns das allerletzte Mittel.“

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Tania Branigan | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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